Deppenzepter der Selbstdarsteller – Der Selfie-Stick

Lesedauer 4 Minuten

Selfies sind „nur“ ein Nervfaktor. Doch mit Selfie-Sticks entwickeln sie sich zur Gefahr

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Ich und Mona? Ein Selfie mit leicht verformten Gesichtern könnte ich davon hinbekommen. Doch ich zusammen mit Mona Lisa? Ginge schon nicht mehr. Um ein wirklich gelungenes Foto von uns beiden zu Stande zu bringen bräuchte ich einen „Selfie-Stick„. Doch diese „Deppenzepter“ sind nicht nur in Mona Lisas Zuhause, im Louvre, verboten. Warum nur?

Das Smartphone, der kleine Hochleistungs-Computer für zwischendurch, hat Rolle und Funktion ehemals unverzichtbarer Alltagsbegleiter übernommen.

In ihm vereinen sich Kreditkarte, Brieftasche, Geldbörse, Freund, Freundin, Hund, Kofferradio, Fotoapparat, Terminkalender, Navi, Tamagotchi vergleichbares Elektronikspielzeug, Cassetten- oder CD Player, Fotosammlung, Videokamera oder Fernseher. (Woow, die Aufzählung hat mich jetzt doch überrascht)
Sollte der Akku wegen des ständigen Gebrauchs dieser smarten Vielfalt zwischendurch schwächeln, fühlen sich viele amputiert, verloren in der Zeit und wähnen sich anderen gegenüber nicht existent oder nur bedingt überlebensfähig.

Dieses AllzweckTELEFON, richtig gelesen, telefonieren, und zwar mobil, war einstmals die primäre Funktion dieser 24/7 Begleiter, es veränderte Berufsbilder, Freizeitgestaltung, Verhaltensweisen und bisher als solche nicht erkannte Selbstdarsteller.

Schlapphüte müssen Personen nicht mehr physisch nachstellen, sie können bequem am Bildschirm hinter dem Träger der freiwillig getragenen „Wanze“ nachspüren. Spielpartner müssen nicht mehr mit einem am Tisch sitzen, man sucht sie sich weltweit in der freien Wildbahn des Web. Statt miteinander zu reden, gibt man den asozialen „Phubber„, starrt auf sein Display, um im günstigsten Fall seinem Gegenüber eine Nachricht über einen Internet-Nachrichtendienst zu schicken. „Wie geht’s dir. Du tippst heute so langsam“?

Ehemals graue Mäuslein entdecken plötzlich den Selbstdarsteller in sich und „verbindet sich“ ungehemmt mit „Allen die mich kennen“ oder denen, die unvorsichtigerweise den „Freund“ oder „like“ Button gedrückt hatten. Rudimentäre, verquaste Texte bereichern die Displays dieser Welt, Statusänderungen schwirren durch Mobilfunkfrequenzen und werden nur noch von obskuren Fotos kafkaesker Lebenssituationen übertroffen.

ICH auf der Spitze der Funkantenne auf dem monsterhohen Gebäude. Eine Selfie-Symbiose aus Wahnsinn und schneller Datenverbindung.

Doch bevor die Selfieritis im Laufe des Tages beginnt, steht man Frühmorgens als Untoter im fahlen Licht des smarten Displays an Bus- U- und S- Bahnhaltestellen, vor noch nicht geöffneten Ladentüren oder der Eingangstür des Arbeitsplatzes, und checkt im Internet die Webcam im Büro, ob Kollegen die Kaffeemaschine bereits angeworfen haben.
Falls nicht, noch schnell per „WhatsApp“ die Meldung absetzen, man befinde sich auch heute unter den Lebenden. Natürlich nicht, ohne ein Selfie von sich im kurzen Hemd in der kalten Dunkelheit mitzuschicken.

Über den Tag verteilt folgen Selfies von sich am streikenden Kopierer, mit dem dürftigen Kantinenessen, mit der neuen Kollegin, dem Aktenberg und der Feierabend anzeigenden Büro Uhr. Was dieser ICH-war-auch-dabei Selfie Fußballer Podolski kann, kann ich schon lange.

Endlich. Gute und perspektivisch spektakuläre Selbstporträts kann man ja nur in seiner freien Zeit machen. Mit dem armverlängernden Selfie-Stick.

[youtube]https://youtu.be/OlO-hS3ZnTI[/youtube]

ICH im Metropolitan Museum of Art. Tolle Panorama-Selfie. Bis ich am Schniedel von Tullio Lombardos Adam hängenblieb. Das kleine Ding war richtig teuer.

ICH als Zuschauer beim Radrennen. Ganz nah an den Fahrern. (In der BILD beschwerte sich doch glatt ein Radprofi, er wäre an einem Stick hängen geblieben)

ICH im Freizeitpark in der Achterbahn. (Soll dabei dem vor mir sitzenden Kind die Nase gebrochen haben.Muss mir die Bilder noch mal genauer ansehen)

iim-zwHD72ICH im Meer. Spektakulärer Wellengang. (Fanden die Rettungsschwimmer auch, als sie mich rauszogen)

ICH und meine Freunde im Auto. Hab sogar gefilmt. War super witzig. Nicht so lustig war das plötzliche Ende der Fahrt.

Diese Auswüchse mit Stangenfotos führen dazu, dass Deppenzepter immer öfter verboten werden. „NO SELFIE STICKS“ heißt es in Fußballstadien, Museen, Schlössern, Freizeit-und Disney-Parks in aller Welt.

Da sich diese Stangen aber auch über und durch Sitzreihen schieben lassen, werden Open-Air-Veranstaltungen, Filmtheater, Festspielhäuser, Buse und Bahnen bald folgen.

Selbstdarstellern bliebe nur noch der öffentliche oder private Raum.

Doch Vorsicht, das kann nicht wirklich beruhigen.

Denn, denkt man die Selfie-Möglichkeiten der ICH-verliebten Selbstdarsteller , der Essensposter und Standortknipser zu Ende, werden die ICHlinge bald von billigen Selfie-Drohnen begleitet.

ICH, 24 Stunden live in der Cloud abrufbar!
Ob man das noch einfangen kann?

(Artikel wurde inspiriert durch „Noch zu stoppen: Der Siegeszug des Deppenzepters“ von Sascha Steinhoff auf heiseFOTO)

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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