Bürgerversammlung: SO macht man es richtig!

Lesedauer 9 Minuten

Dieser Beitrag wurde bisher 325 x aufgerufen.

Sofern man vom Grad der Gesichtsrötung den Grad der Gehirntätigkeit ableiten kann, hatte Bürgermeister Christian Staudter am 25.Februar 2010 in den ersten Minuten der Stadtratssitzung einiges zu überdenken. Mit hochrotem Kopf saß er etwas gedankenverloren in seinem Stuhl und nutzte ganz offensichtlich den Fachvortrag eines Feuerwehrkommandanten zum Nachsinnieren über einen vorangegangenen Wortwechsel: Ein Stadtrat hatte des Bürgermeisters „Bürgerfreundlichkeit“ offen in Frage gestellt und ihm beinahe eine gegen ihn gerichtete Abstimmungsniederlage beschert. Nur dem glücklichen Umstand zweier bei dieser Stadtratssitzung entschuldigt fehlender Stadträte der CSU war es zu verdanken, dass ein von der Union Land zu Beginn der Sitzung eingebrachter Antrag zur Geschäftsordnung scheiterte. Der eingebrachte Antrag „Neuorganisation der Bürgerversammlungen“ wurde mit 8 zu 10 Stimmen abschlägig beschlossen und nicht in die Tagesordnung aufgenommen.

Mit der USB-Fraktion stimmte auch der größte Teil der Freien Wähler gegen diese Neuorganisation. In deren Reihen hatte man die Verärgerung großer Teile der Geisenfelder Bevölkerung über die ihrer Meinung nach „bürgerunfreundliche“ Auswahl der Veranstaltungsorte der Bürgerversammlungen wohl nicht vernommen. Eventuell bewertete man den Antrag bei den FW-lern politisch infantiler: als in der Sache zwar richtig, aber eben aus der falschen Ecke kommend. Geisenfelder Stadtratsarbeit eben.

Er habe sich bei der Ausgestaltung der Bürgerversammlungen nichts vorzuwerfen führte Bürgermeister Staudter am Ende der Stadtratssitzung unter dem Tagesordnungspunkt „Bekanntgaben“ aus.

Stadtrat Wittmann: „Herr Bürgermeister, sie wissen gar nicht, wie viel sie von ihrem Image kaputt gemacht haben!“

(Link zum Wortwechsel Bürgermeister-Stadtrat)

„Es muss dem Bürgermeister möglich sein, die Bürgerversammlungen so zu legen wie er es für richtig hält“ rechtfertigte er sich. Er habe die Veranstaltungsorte und die dazu eingeladenen Ortsteile nach „themenbezogenen“ Gesichtspunkten ausgewählt. Diese Art der Festsetzungen sei auch „nichts neues in Geisenfeld“, er habe extra nachgesehen.„Da gibt es unter meinen Vorgängern etliche Beispiele“.

Es ist schon eine bemerkenswerte Art und Weise, eine Vorgehensweise damit zu begründen, wenn es in der Vergangenheit auch schon so gemacht wurde, kann diese Handlungsweise in der Gegenwart nicht falsch sein und somit ist sie automatisch richtig! Die Absurdität und das kafkaeske dieser Auffassung erschließt sich z.B. bei genauerer Betrachtung verschiedenster Lebensumstände. Jeder Richter müsste einen vor ihm stehenden Übeltäter straflos ziehen lassen, sofern der nur schlüssig nachweisen könne, vor ihm hätten Andere ebenso gehandelt. Es ginge doch nicht darum, aktuell die Richtigkeit einer Handlung festzustellen, sondern diese Vorgehensweise als richtig anzuerkennen, da sie in der Vergangenheit schon mindestens einmal so stattfand. Schweizer Banker tun sich zunehmend schwer, Schwarzgeldbestände deutscher Steuerhinterzieher damit zu begründen, da die Schweiz früher auch schon Zufluchtsort für Schwarzgeld aller Art gewesen sei, könne frisches, in die Schweiz transferiertes Schwarzgeld jetzt nichts unrechtes sein.

In mehreren Anläufen versuchte der Bürgermeister am Ende dieser erfrischend argumentativ geführten Stadtratssitzung dem Stadtratsgremium seine Sicht der Dinge näher zu bringen und gab damit einen unfreiwilligen Einblick in seine Kompetenz als Verwaltungschef.

In totaler Verkennung seiner Aufgabenstellung als Bürgermeister irrlichterte er zwischen den Unterschieden bedarfsmäßig abzuhaltender Anliegerversammlungen und der regelmäßigen Einberufung von Bürgerversammlungen zur Unterrichtung der Bürger über wichtige Gemeindeangelegenheiten umher.

„Ich habe bei den verschieden Ortsteilen angefragt: liegt bei euch was an. Nein! Dann komme ich auch nicht“. Das war es, so sieht er seine Arbeit mit und am Bürger. Fernab von der Bayerischen Gemeindeordnung und weit abseits jeder anderen Bürgerversammlung in Bayern.

Gibt es im Rathaus keine Verwaltungsliteratur? Liest dort keiner die monatlich eingehende Zeitschrift des Bayerischen Gemeindetages? Darin werden nicht nur Fachartikeln zur Durchführung von Bürgerversammlungen abgedruckt sondern auch regelmäßig Seminare zum Thema „Bürgernahes Auftreten für Bürgermeister“ angeboten.

Sogar die vom Bürgermeister festgelegte Tagesordnung der Bürgerversammlungen ist eine Zumutung.

Wo Bürgermeister Staudter einen Kurzbericht vorsieht, geben andere Bürgermeister einen ausführlichen Rechenschaftsbericht ab. Zum Beispiel über die vergangene und zukünftige Lage der städtischen Finanzen. Dabei reicht es aber nicht, nur den Betrag der Rücklagen zu nennen (wie in der Stadtratssitzung geschehen) sondern zusätzlich die bereits fest verplanten Anteile dieser Summe offen zu legen. Dann erübrigt es sich auch gleich, sich entrüstete über einen im Faschingszug skizzierten Pleitegeier als „unverschämt“ und „unverantwortlich“ zu mokieren.

Wirklich „unverschämt“ wäre es, als Bürgermeister den Einwohnern Geisenfelds einen mit 5 Millionen Euro prall gefüllten Stadtsäckel mit frei verfügbaren Rücklagen vorzugaukeln, und dabei zu wissen, dass davon 4 bis 4,5 Millionen durch gültige Beschlüsse oder unabwendbare Maßnahmen bereits verplant oder gebunden sind. Das dann mit der verbleibenden halben Million selbst bei „eBay“ ohne Verschuldung keine Mehrzweckhalle zu bekommen sein dürfte, müsste sogar einem ehemaligen Berufsschullehrer einleuchten.

Gänzlich „unverantwortlich“ wäre es dann noch, die bisher vom bayerischen Staat nicht „bezuschussbare“ Nordumfahrung zu bauen, sobald ein „konkreter Planungsbeginn“ der Südumfahrung vorliegt. Weiß Geisenfelds Bürgermeister denn nicht, dass mit dem Beginn einer Planung nicht automatisch der Bau einer Straße verbunden sein muss? Am Ende der Planung könnte die Erkenntnis stehen: unrealisierbar! Zu viele K.O-Kriterien. Geisenfeld bekäme keine Südumfahrung, damit keinen Zuschuss für die Nordumfahrung und bliebe somit auf den Gesamtkosten eines zudem umstrittenen Projektes sitzen. Ob die Nordumfahrung dabei nun 10 / 12 oder 15 Millionen gekostet hätte, der Pleitegeier bräuchte sich um Familienplanung keine Sorgen mehr machen. Er könnte im Geisenfelder Rathaus seine Verwandtschaft auch gleich mit unterbringen.

Argumente, Erklärungen oder Ausflüchte werden nicht schon dadurch stichhaltiger, weil man(n) sie mit hochrotem Kopf vorträgt.

Wie halten andere Städte und Gemeinden ihre Bürgerversammlungen ab.

Schauen wir uns nachfolgend an, wie andere Städte und Gemeinden Bürgerversammlungen -formal- in Bayern abhalten.

So ist es gewollt, so wird es üblicherweise gemacht und so erwartet der Bürger das.

„Echte“ Bürgerfreundlichkeit eben.

Vorbemerkung:

Auszug aus „Wegbeschreibung für die kommunale Praxis“ (Friedrich Ebert Stiftung)

Mit der Aufnahme der gesetzlichen Bestimmungen über die Bürgerversammlung wurde die Unterrichtung der Bürger über das kommunale Geschehen verbessert. Damit wird eine umfangreichere Information aller Einwohner und Bürger sichergestellt, um deren Urteilsfähigkeit und das Interesse für das gemeindliche Geschehen zu verbessern. Die Bürgerversammlung wird für ein besonders geeignetes Mittel angesehen, um den notwendigen Gedankenaustausch zwischen der Gemeinde und den Einwohnern/Bürgern durchführen zu können. Die Versammlungen dienen dem Zweck, die Einwohner und Bürger über wichtige Gemeindeangelegenheiten aus dem Selbstverwaltungsbereich zu informieren, die Meinung der Bürgerschaft zu erkunden sowie Vorschläge und Anregungen zu diesen Angelegenheiten entgegenzunehmen und in den kommunalen Willensbildungsprozess einfließen zu lassen.

Die Grundlage in Bayern: Gemeindeordnung (GO) für den Freistaat Bayern (Auszug)

Art. 18

Mitberatungsrecht (Bürgerversammlung)

(1) 1 In jeder Gemeinde hat der erste Bürgermeister mindestens einmal jährlich, auf Verlangen des Gemeinderats auch öfter, eine Bürgerversammlung zur Erörterung gemeindlicher Angelegenheiten einzuberufen. ……….

(Anmerkung Bürgersicht: Erörtern heißt, zu einer Problemstellung abwägend, also von verschiedenen Seiten betrachtend, Stellung zu nehmen.)

(2) Gemeindebürger können auch selber Bürgerversammlungen beantragen…………

(3) 1 Das Wort können grundsätzlich nur Gemeindebürger erhalten. 2 Ausnahmen kann die Bürgerversammlung beschließen; der Vorsitzende soll einem Vertreter der Aufsichtsbehörde auf Verlangen das Wort erteilen. 3 Den Vorsitz in der Versammlung führt der erste Bürgermeister oder ein von ihm bestellter Vertreter.

(4) 1 Empfehlungen der Bürgerversammlungen müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten vom Gemeinderat behandelt werden. 2 Diese Frist und die Frist nach Absatz 2 Satz 1 ruhen während der gemäß Art. 32 Abs. 4 Satz 1 bestimmten Ferienzeit.

Die Umsetzung / Ausführung:

Die Bürgerschaft der Stadt soll nicht nur über wichtige Gemeindeangelegenheiten unterrichtet und durch die Erörterung von Gemeindevorhaben aufgeklärt werden, sondern darüber hinaus Gelegenheit erhalten, sich zu allen gemeindlichen Fragen zu äußern. Die Bürgerversammlung ist ein effektives Mittel zur Herstellung einer engen Verbindung zwischen Gemeindebürgern und Gemeindeverwaltung.

Hier ein Link zur Altmühltalgemeinde „Böhmfeld“. Schauen sie sich den langen „Kurzbericht“ des Bürgermeisters einer 1.625 Einwohner zählenden Gemeinde an.

Jeder Bürger der Gemeinde ist berechtigt zu erscheinen und hat Rederecht. Jeder Gemeindebürger hat die Möglichkeit, Anträge und Anfragen zu stellen, Anregungen und Anliegen vorzubringen. Fragen sind, soweit möglich, an Ort und Stelle zu beantworten. Die Redezeit zu einem Thema sollte auf eine Zeit von max. 10 Minuten je Redner begrenzt bleiben. (z.B. in München)

Zur Leitung der Einwohner-/Bürgerversammlung gehört es, die Sitzung zu eröffnen, die Tagesordnungspunkte aufzurufen, das Wort zu erteilen und zu entziehen, die Aussprache zu eröffnen und schließlich die Bürgerversammlung zu schließen. Der Bürgermeister muß die Sitzung objektiv und unparteiisch leiten. Bei der Worterteilung ist die Reihenfolge der Wortmeldungen maßgebend. Der Versammlungsleiter hat im übrigen jederzeit das Recht, aus formellen Gründen das Wort zu ergreifen. Rechtsmißbrauch läge jedoch dann vor, wenn er – um seine eigene abweichende Meinung zur Geltung zu bringen – den jeweiligen Redner unterbricht oder stört.

Die Einwohner-/Bürgerversammlung ist kein beschließendes Organ; es wird ihr daher nicht das Recht eingeräumt, Beschlüsse zu fassen, die Stadtrat oder Bürgermeister binden. Sie kann lediglich Empfehlungen abgeben. Diese müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten vom Gemeinderat behandelt werden. (Antrag: Der Gemeinderat möge beschließen….)

Dazu das Protokoll einer Bürgerversammlung der Stadt Freilassing aus dem Jahr 2009. Wie dort Abstimmung in Bürgerversammlung laufen.

Trotz der Gefahr, Bürgermeister Staudter nachfolgend eine Anregung für eine erneute Schwemme von Informationsbroschüren zu geben -mit denen er nach Ansicht nicht weniger Stadträte „Dauerwahlkampf“ betreibt- soll hier die „Broschüre Bürgerversammlung 2008“ der 6000 Seelen-Gemeinde Grasbrunn angeführt werden. Sehr ausführlich und informativ. Muss man nicht unbedingt nachmachen. Um den „Kulturetat“ nicht erneut überziehen zu müssen, reicht auch eine ausführliche Veröffentlichung als pdf-Datei im Internet.

Wir von Bürgersicht glauben, ihnen liebe Leserinnen und Leser, sehr geehrte Stadträte und Stadträtinnen nun ausreichend Informationen angeboten zu haben. Zumindest viel mehr Informationen, als sie es von offizieller Seite gewohnt sind. Somit haben sie alle Möglichkeiten, sich auf die Geisenfelder Bürgerversammlungen vorzubereiten. Dort erwarten wir einen „bürgerfreundlich“ handelnden Bürgermeister, eine gesittete Aussprache und im „öffentlichen Interesse“ gestellte Anträge.

Sofern dort auch alle gestellten Anträge behandelt werden? Einer „Bürgersicht“ vorliegenden Schilderung zufolge, wurde eine Antragstellerin vom zufällig auf dem Rathausgang stehenden Bürgermeister angesprochen, freundlich begrüßt und über den Grund ihres Rathausbesuches befragt. Sie wolle einen Antrag für die Bürgerversammlung abgeben. Der Bürgermeister bot an, diesen Antrag gleich selber entgegen zu nehmen. Nach der Aushändigung eines verschlossenen Kuverts bat der Bürgermeister darum, das Schreiben doch gleich lesen zu dürfen. Eventuell könne man die Angelegenheit gleich an Ort und Stelle besprechen und klären. Auf die Zustimmung hin, er dürfe den Antrag zwar gleich lesen aber trotzdem solle er auf der Bürgerversammlung eingebracht werden, bat der Bürgermeister in sein Dienstzimmer. Beim Durchlesen des Antrags war es wieder da. Das rote Gesicht. Wortreich und sichtlich erregt versuchte der Bürgermeister seine Ansichten dazu darzulegen. Danach verließ er überhastet, wort- und grußlos „sein“ Zimmer und ließ die Antragstellerin verdattert zurück. (Die Antragstellerin und auch der Antrag sind „Bürgersicht“ bekannt)

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

Schon gelesen?

Geisenfeld -Protest der Landwirte nimmt kein Ende

Landwirte in Oberbayern auf dem Weg zu einem Protesttreffen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert