Europa unter deutscher Führung ? – „Ruiniere deine Nachbarn“

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An welchen Werten orientiert sich die „europäische Wertegemeinschaft“ eigentlich derzeit?

Was hatten wir in Europa doch für ein Glück, als 1886 das französische Volk den Amerikanern ihre „Freiheitsstatue“ schenkte. Zumindest die größere der Vielen. Nicht auszudenken, stände die 92,99 Meter hohe „römische Göttin der Freiheit“ samt Sockel nicht in New York, sondern an der europäischen Küste des Mittelmeeres. Womöglich noch mit der Originalinschrift „Gebt mir eure Müden, eure Armen,… bemitleidenswerten Abgelehnten, geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren….

England droht noch damit doch in Österreich läuft bereits seit 24. Juni ein Volksbegehren mit dem Ziel, Österreich möge aus der „EU austreten“ und der Bevormundung durch „Brüssel in fast allen Lebensbereichen eine klare Absage zu erteilen“. Ungarn will die Grenze zu Serbien mit einem 4 Meter hohen Zaun abriegeln und keine zurückgeführten Flüchtlinge aufnehmen.

Ist Europa bereits tot?

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Von der „Mächtigsten Frau“ Europas hörte man nichts, als sich am Freitag frühmorgens im Anschluss an das Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs der belgische Regierungschef Charles Michel der Presse anvertraut. Die nächtliche Debatte sei ein „unwürdiges Spektakel“ gewesen. In dieser Debatte ging es vorwiegend um Flüchtlingsfragen und die -schlussendlich gescheiterte- Festschreibung eines verbindlichen Quotensystems zur Flüchtlingsverteilung in den EU-Ländern.

Als sich auch bei diesem Treffen abzeichnete, „dass Europa nicht unbedingt immer in der Lage ist, den hehren Ansprüchen zu genügen, die es in die Außenwelt trägt(Jean-Claude Junker) tauchte die deutsche Bundeskanzlerin, Europas „inoffizielle Führungsfigur“ (spon) wieder mal ab.

Mögen die Bundesbürger auch noch so unter der unsolidarischen Haltung zumeist osteuropäischer Mitgliedsländer stöhnen und die ersten Schulturnhallen wegen des ungebremsten Flüchtlingsansturms zu Flüchtlingsunterkünften umbauen, Merkel sieht noch keine Mehrheit für eine Lösung im Sinne Deutschlands und schickt die internationale Presse lieber mit den sattsam bekannten Vorwürfen an die Griechen „in die Nacht“ (Pressekonferenz)

Skandalisierendes GREXIT Geschrei, Zäune, Austrittsbestrebungen und irritierendes Russlandbashing.

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Sie wartet eben so lange zu, bis sie merkt wo sich die Mehrheit bildet. Und da setzt sie sich drauf“ beschreibt Lothar de Maiziere, erster und letzter frei gewählter Ministerpräsident der DDR Merkels Zögerlichkeit. „Ich denke aber, statt aussitzen müsste sie mehr zu erkennen geben, was sie will“ kritisiert de Maiziere in einem SZ-Interview die derzeitige Kanzlerin, die er dem damaligen Kanzler Kohl als Ministerin vorschlug.

Was will Merkel ? Besser gefragt, weiß sie noch was sie wollen MÜSSTE?

Europa retten, die Griechen, den Euro, die vermeintlich guten Beziehungen zu den USA oder doch zu allererst die Interessen Deutschlands -in einem den selbstgesteckten Zielen und Werten verpflichteten Europa- angemessen vertreten?

Ist Europa wirklich schon tot, oder ist man sich „der Säulen Demokratie, Solidarität, friedliches Zusammenleben, Fortschritt und Wohlstand“ im Kanzleramt noch bewusst, auf denen das gemeinsame Europa errichtet wurde, fragt Jens Berger in den „NachDenkSeiten„.
Es mag bedauerlich sein, wie sich ein großer Teil der deutschen Bürger die bekanntermaßen auf Meinungsumfragen setzende Kanzlerin von deutschen Medien als unüberwindbare Autorität im europäischen Machtgefüge hochstilisieren lässt. Andernorts ist man da wacher!

Hinter dieser Fassade der überwunden geglaubten Deutschtümelei, dem Stolz auf die von Europa und der Welt beneidete deutsche Wirtschaftskraft blickt man von außerhalb mit Argwohn auf Deutschland und entdeckt hinter den Schwaden der deutschen Selbstbeweihräucherung wenig schmeichelhaftes.

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Ruiniere deinen Nachbar

Worauf lässt sich in einem seit Jahren in der Krise steckenden Europa die Wirtschafts- und Finanzkraft Deutschlands zurückführen? Der englische „Guardian“ sieht sie in Deutschlands “beggar-thy-neighbour”-Politik. Auf Deutsch: Ruiniere deinen Nachbar! “Aber erst nachdem es seine eigene Bevölkerung ruiniert hat”.

Der Artikel „Greece is a sideshow“ von Aditya Chakrabortty, den man, ACHTUNG ÜBERRASCHUNG, auf „theguardian.com“ auch in deutscher Übersetzung lesen kann, beschäftigt sich mit Europa, den an der Realität zerschellenden moralischen Schuldzuweisungen an die griechische Regierung und dem von Deutschland vorgegebenen “ Drecksjobs“, einem „falschen Model für den europäischen Kontinent“.

Die Arbeiter in Frankreich, Italien, Spanien und dem Rest der Eurozone werden durch einen epischen Lohnstopp im gigantischen Land in ihrer Mitte ausgebootet„.
Das ist explizit was die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und der IWF Griechenland sagen: „Entlasst Arbeiter, zahlt denen, die noch einen Job haben, weniger und kürzt die Renten der Pensionäre„.

Griechenland ist aber nur ein Nebenschauplatz

Die diplomatischen Prügel, die der griechischen Partei Syriza verabreicht wurden seit sie an die Macht gekommen ist, können nur als Beispiel Europas an die spanischen Wähler gewertet werden, die versucht sein könnten Syrizas Schwesternpartei Podemos zu unterstützen. Wagt euch zu weit nach links, heißt die Nachricht, und euch widerfährt die gleiche Behandlung„.
Unter diesem deutschen Spardiktat und der Unnachgiebigkeit gegenüber Schuldnerstaaten „verwandelt sich das noble europäische Projekt in einen düsteren Marsch auf den Tiefstand„. Soweit der „Guardian“.

Ein Witz, wenn Deutschland von anderen verlangt seine Schulden zu bezahlen, es selber aber nie tat!

Zu allem Überfluss macht nun aber Thomas Piketty, französischer Star-Ökonom und Professor an der Paris School of Economics auf einen peinlichen Fleck auf der deutschen Weste aufmerksam. In einem Zeit-Interview vom 27. Juni erinnert er an die deutsche Schuldnerhistorie und den „erschreckenden Mangel an geschichtlichem Erinnerungsvermögen„.
Deutschland sei dasVorzeigebeispiel für ein Land, das in der Geschichte nie seine öffentlichen Schulden zurückgezahlt hat„.

Wenn ich die Deutschen heute sagen höre, dass sie einen sehr moralischen Umgang mit Schulden pflegen und fest daran glauben, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen, dann denke ich: Das ist doch ein großer Witz! Deutschland ist das Land, das nie seine Schulden bezahlt hat. Es kann darin anderen Ländern keine Lektionen erteilen„.

Falsche moralische Überheblichkeit, ein an die Quoten amerikanischer „Leichtlohnarbeiter“ heranrückender „deregulierter“ deutscher Arbeitsmarkt und eine schleichende Demontage von Bürgerrechten durch „Datenschutzreformen“ in digitalen Infrastrukturen.

Ist das die Richtschnur für die „neuen Werte“ in Europa?

Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“ (Artikel 3 im Vertrag über die Europäische Union (in der Fassung des Lissabonner Vertrags)).

Die „Wertegemeinschaft“ EU. Was waren noch mal die Werte?

Am Abend der Euroeinführung sprach der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine von der “Vision eines vereinigten Europas, die über die graduelle Angleichung von Lebensstandards, einer Vertiefung der Demokratie und dem Erblühen einer wahren europäischen Kultur„.
Im Einzelnen waren die Werte die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.

Nachfolgend ein ausgewählter Blick in „realita“ auf diese Werte.

Achtung der Menschenwürde – (aber doch nicht für den gewählten griechischen Ministerpräsident)
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder: Ministerpräsident Alexis Tsipras sei “ein freche(s) Bürschchen” und solle sich “hinter die Ohren schreiben”, dass die – von Berlin inspirierten – EU-Vorschriften einzuhalten seien (Aus NachDenkSeiten)

Freiheit– (hier Presse- und Meinungsfreiheit)
Nach dem er Polizei und Justiz in Ägypten massive Verstöße gegen die Menschenrechte, Folter und Misshandlungen vorwarf, wurde der von Ägypten zur Fahndung ausgeschriebene arabische TV-Moderator Ahmed Mansour – trotz Zweifeln an diesem Haftbefehl- am 20. Juni in Berlin festgenommen. Deutsche Regierungsstellen setzten sich über die von Interpol vorgebrachten Warnungen hinweg (Interpol hielt die Verfolgung für politisch motiviert.) Nach Prüfung des Auslieferungsverfahrens durch die Berliner Generalstaatsanwaltschaft wurde am 22.Juni „die Entlassung des Betroffenen“ angeordnet.

Demokratie – (Nicht öffentlich ist doch nicht gleich geheim))
Spionieren unter Freunden geht gar nicht“. Dieser Satz der deutschen Bundeskanzlerin hatte die Halbwertzeit eines Kasten Weißbiers. Die Vorsteherin der deutschen Demokratie, einer Staatsform in der die Macht vom Volk ausgeht, lässt es zu, dass das eigene Volk von fremden Völkern (Staaten) ausspioniert wird. Ging man als Bürger zunächst davon aus, dieses „spionieren“ verstoße gegen deutsche Gesetze, konnten daran interessierte plötzlich erfahren, dass diese Praxis durchaus erlaubt sei. Möglich machten dies Nebenabreden, zwischenstaatliche Vereinbarungen oder Bündnis-Statuten. Allesamt zwar nicht unbedingt geheim, doch vor dem Bürger gut versteckt und zum Teil „nicht öffentlich“.

Eine Vernebelungstaktik, die recht anschaulich im Fall der „Vorratsdatenspeicherung“ versucht wurde anzuwenden. Bevor eine in Sachen „Netzpolitik“ engagierte Website eine „geheime Nebenabrede“ zur Vorratsdatenspeicherung auf ihrer Internetseite veröffentlichte, wurde die Existenz dieser „geheimen Nebenabrede“ in einer Bundespressekonferenz zunächst von der Sprecherin des Bundesjustizministerium vehement geleugnet. In einer darauf folgenden „Bundespressekonferenz wurde das so hingedreht, dass diese geheime Nebenabrede zwar existiert, aber es gar keine geheime Nebenabrede sei, sondern eine nicht-öffentliche Nebenabrede“.(Netztpolitik.org)

In einem Blogbeitrag auf Tilo Jungs Website „Jung und naiv“ formuliert Paul Kunitzer eine seiner Meinung nach zielführende Frageform, die Journalisten in ihren Auskunftsersuchen gegenüber Regierungsvertretern zukünftig -bei Vernebelungsgefahr- anwenden sollten:
Gibt es Erkenntnisse oder Hinweise oder erkenntnis- und hinweisähnliches mündliche oder schriftliche Überlieferungen und Korrespondenzen in geheimer, sehr geheimer, total geheimer oder nicht öffentlicher Weise oder verschweigen sie uns absichtlich Erkenntnisse und Hinweise zu ….“

Gleichheit – (siehe zum Beispiel Homo Ehe)

Rechtsstaatlichkeit – (geeignete Stichwörter Gustl Mollath, Murat Kurnaz, Ahmed Mansour siehe oben)

Wahrung der Menschenrechte – (Was im Innenverhältnis gelten sollte, muss noch lange nicht außerhalb gelten)

Polen– Halbnackte, Kapuzen tragende Gestalten in Geheimgefängnissen auf ihrem Weg nach Guantanamo Bay, einem Marinestützpunkt der US Navy auf Kuba.

Mittelmeer– im Wasser treibende, aufgeschwemmte, tote Körper.

Ukraine– verwahrloste, geschundene und hungernde Flüchtlinge in von der EU finanzierten Gefängnissen.

Afghanistan– Tausende zerfetzte Körper von Kindern, Frauen und Männern, ein als Begleit- oder Kollateralschaden deklarierter Euphemismus für tote Zivilisten, die im Drohnenkrieg gegen die von den USA selbstgezüchteten Al-Qaida-Ablegern aus einem US-Stützpunkt in Deutschland abgeschossen wurden.

Sind das die Werte, wie sie in Europa und für Europa verstanden werden sollen?

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Europa ist nicht perfekt. Doch anstatt dieses Völkerverständigungsprojekt weiter zu entwickeln, verstetigen sich die Zukunftsängste der jungen und mittleren europäischen Generationen, werden wirtschaftliche über soziale Interessen gestellt und man unterwirft sich zunehmend  – die Befindlichkeiten des eurasischen russischen Nachbarn negierend-  einer auch den europäischen Kontinent dominieren wollenden US-amerikanischen Hegemonialmacht.

Und sollte etwas dran sein, an der Dominanz Deutschlands in Europa, dann sollte sich Kanzlerin Merkel jetzt etwas zurück nehmen. Die politischen Auseinandersetzungen mit Griechenland haben gezeigt, wie schnell man die Nazikeule gegen Deutschland schwingen möchte und auch kann. Die unsägliche überhebliche Selbstüberschätzung aus der Hitlerdiktatur, „Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen“ haben noch Viele in Europa nicht vergessen.

Merkel täte gut daran, die derzeit auf Kosten der anderen europäischen Länder in Deutschland erzielten Handelsüberschüsse nicht als Blaupause einer „Sparpolitik für alle“ zu verstehen, sondern sie in HANDLUNGSüberschüsse zugunsten der Erhaltung der Einheit Europas umzumünzen.

Ausriss-BildDie Entbehrungen der von ihr und ihrem Finanzminister gegen den Rat namhafter Ökonomen verordneten Austeritätspolitik, könnten besonders in den Südländern Europas sonst sehr bald als Zumutung empfunden werden. Deutschland frisst sich auf unsere Kosten satt. (Deutsche Zinsgewinne mit Schuldtiteln googeln)

Auf die deutschen Medien darf man für diese Einsichten nicht zählen.

Seit geraumer Zeit agieren diese nur noch staatstragend, regierungsfreundlich, gefühlig und wirken auf merkwürdige Weise gleichgeschaltet. Bestes Beispiel -erneut- die „Griechenbasher“ von BILD.

In unfreiwilliger Komik zeigen sie auf ihrer Titelseite vom 30.Juli die unter dem „Griechen Drama“ leidende Kanzlerin. Zumindest in Griechenland wird man das vollkommen anders sehen. Dort “leiden die Griechen“! Unter wem wohl?

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Alle Karikaturen auf dieser Seite mit freundlicher Genehmigung von Klaus Stuttmann, Berlin

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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