Deutschlands Kritik an Russland ist unangemessen

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Der junge Soldat von 1944, dessen Bruder damals schon irgendwo in russischer Erde verscharrt war, gesteht, dass er sich gefreut hat, als Helmut Kohl mit Boris Jelzin in die Sauna ging, als Wladimir Putin und Gerhard Schröder mit dem Schlitten ausfuhren. Und dass ihm nicht ganz wohl war, als Angela Merkel dem russischen Präsidenten ein Gerichtsurteil vorwarf, das, bei aller berechtigten Kritik, der deutschen Rechtsprechung näher stand als stalinistischen Säuberungen.

Gut fand der Soldat von einst es wiederum, dass Merkel acht Ressortchefs mit nach Moskau nahm, denn dies war ein Zeichen dafür, was Russland uns bedeutet. Er wundert sich aber über manchen Kommentar, in dem Frau Merkel für ihren Mut gefeiert wird, Putin die Leviten zu lesen.

Auf die Gefahr hin, von empörten Verfechtern der allgemeinen Menschenrechte zurechtgewiesen zu werden: Ich bin Wladimir Putin dankbar dafür, dass er nicht einfach geantwortet hat: Kümmern Sie sich um Ihre eigene Innenpolitik, ich kümmere mich um unsere. Dankbar bin ich ihm auch dafür, dass er noch nie, offenbar auch nicht unter vier Augen, deutschen Kritikern zu bedenken gab: Es mag ja sein, dass ich Russland nicht so regiere, wie Frankreich oder Deutschland heute regiert werden.

Aber seid ausgerechnet Ihr Deutschen dazu berufen, uns Demokratie und Menschenrechte beizubringen? Dass er sich dies verkneift, zeigt, dass ihm die Partnerschaft mit Deutschland viel wert ist.

Wenn uns die Partnerschaft mit Russland ebenso viel wert ist, dann sollten wir uns eines abgewöhnen: das Kritisieren von oben herab, die Belehrung des Zurückgebliebenen durch den Fortgeschrittenen, des nicht so Guten durch den ach so Guten.

Kritik wird für den Kritisierten annehmbar, wenn der Kritiker nicht nur bemängelt – und in Russland ist vieles zu bemängeln -, sondern auch selbstkritisch fragt: Wer bin ich, der ich kritisiere? Was gibt mir das Recht zur Kritik? Frieden gibt es nicht einmal in der Familie ohne selbstkritische Reflexion. Sie kann auch zwischen Völkern nicht schaden.

*Erhard Eppler, 85, war fast 20 Jahre lang Mitglied der Grundwertekommision der SPD. 1968-1974 Minister unter den Bundeskanzlern Kurt Georg Kiesinger, Willy Brand und Helmut Schmidt. Von 1981 bis 1983 und von 1989 bis 1991 Kirchentagspräsident der Evangelischen Kirche Deutschlands. Er ist Träger des Großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland.


Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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