Die verblödungsgerecht portionierte Heuchel-Republik

Lesedauer 6 Minuten

Leih mir deine Ohren NSA, mit meinen darf ich hier nicht zuhören

Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht„.

Da war wieder so einer. Einer dieser Sätze, diesmal von Regierungssprecher Steffen Seibert, bei denen man sich fragt, wie weit die Heuchelei noch gehen möge. Diesmal ging sie soweit, pardon, flog sie mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bis nach Washington, um mit der US-Regierung über die bekannt gewordenen Schnüffeleien ihres Geheimdienstes NSA in Deutschland reden zu können. Da drüben wollte man aber Klartext ….. heucheln.

Friedrich, einem Freund der gepflegten Datenspeicherung, gelang dort nicht viel mehr als der Nachweis seiner Anwesenheit. Schon vor seinem Abflug aus Deutschland war klar, mehr als Symbolpolitik zur Beruhigung der heimischen Wähler wird nicht rauskommen. Spätestens nach dem Besuch wissen wir: Ein Telefonat hätte auch genügt.

So aber gab der Innenminister nach dem Besuch im Weißen Haus einen Satz zum Besten, der diese Nullnummernreise noch verdeutlicht. „Alle Gesprächspartner hier verstehen, dass es in Deutschland und Europa eine große Sensibilität gibt beim Schutz der Privatsphäre„.

Wow! Im Weißen Haus versteht man diese Sensibilität. Doch im Subtext schwingt die Wahrheit dieses Satzes mit: Aber eure Sensibilität ist uns schei..egal. Punkt!

Doch so offenherzige Antworten musste Friedrich von seinen „Freunden“ nicht befürchten. Die NSA-Auftraggeber würden mit solchen Antworten zwar nicht sein Weltbild als Befürworter von Überwachung aller Art anknacksen, doch hätte er mit derart ehrlichen Antworten nicht nach Haus kommen dürfen. Hatte er doch schon kurz nach Bekanntwerden der NSA-Auswüchse noch davon gesprochen, dieser „Anti-Amerkanismus geht mir auf den Senkel„. Sieht man sich Aufnahmen mit ihm aus den letzten Tagen an, könnte man meinen, statt Schnürschuhen trägt er jetzt öfter Slipper.

Karikatur © Klaus STUTTMANN/ Berlin
Karikatur © Klaus STUTTMANN/ Berlin

In der Bundesregierung kommt man sich jetzt etwas „stasig“ vor.

Seit der 29 jährige Edward Snowden, ein früher Leiharbeiter bei der National Security Agency der USA deren Spähprogramm Prism enttarnte und damit für die bis dato größte Enthüllung der Geheimdienstgeschichte sorgte, schämt man sich in Berlin. Hatte Snowden doch im SPIEGEL-Interview erklärt, der US-Geheimdienst stecke „unter einer Decke mit den Deutschen.

Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles was ich mache und sage aufgenommen wird„, rechtfertigte Snowden seinen Geheimnisverrat. „Sie haben keine Ahnung, was alles möglich ist. Der amerikanische Geheimdienst NSA hat eine Infrastruktur aufgebaut, die es erlaubt, fast alles abzufangen. Wenn ich in ihre E-Mails oder in das Telefon ihrer Frau hineinsehen wollte, müsste ich nur die abgefangenen Daten aufrufen. Ich kann ihre E-Mails, Passwörter, Gesprächsdaten, Kreditkarteninformationen bekommen.“

Welche Deutsche Behörde schützt die Deutschen Bürger vor dieser Schnüffelei?

Gute Frage! Nächste Frage. Genauso wie die NSA in der Regel (im Inland) keine amerikanischen Staatsbürger ausschnüffeln darf, genauso wenig darf der deutsche Geheimdienst BND deutsche Staatsbürger (im Inland) ausspähen. Doch beide dürfen, wie andere Geheimdienste auch, im Ausland alles ausspähen.

Was läge da in Deutschland nahe, einen „befreundeten“ Geheimdienst, im aktuellen Fall die NSA um Hilfe bei inländischer Informationsbeschaffung zu bitten. Im Gegensatz zum BND kommen die ja an alle deutschen Daten.

Wir haben keine Hinweise darauf, dass ausländische Geheimdienste in Deutschland gegen Gesetze verstoßen„. Von den Spähaktionen der NSA habe man erst aus Zeitungen erfahren, versicherte Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Erneut ein toller, aber luftleerer Satz.

In Deutschland brauchen bestimmte Nationen nicht um Erlaubnis bitten. Die Bundesrepublik hat sie bereits erteilt. Mit Wissen und dem Segen der Bundesrepublik haben die 3 westlichen ehemaligen Siegermächte auch nach der Wiedervereinigung Sonderrechte.

Die USA kooperieren nicht nur mit deutschen Geheimdiensten, durch ein Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut wurde den Amerikanern die Lizenz zum Schnüffeln auf eigene Faust erteilt. (Josef Foschepoth, Historiker und Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg in seinem Buch „Überwachtes Deutschland“)

In seiner derzeitigen Verfassung (siehe obige Aussage) kann uns der deutsche Verfassungsschutz nicht schützen. Das Wesen von Geheimdiensten ist ja gerade ihre unauffällige Arbeitsweise. Selbst in den geistlosesten Spionagefilmen nutzte der Oberspion nie ein Formular, in dem er der Justizbehörde des auszuspionierenden Staates seine Tätigkeit ankündigte, indem er um Erlaubnis zur Übertretung einheimischer Gesetze nachsuchte.

Für wie verblödungsgerecht portioniert hält man die Deutschen mittlerweile?

Wie stilbildend und machtvoll konnte treudoofes Politikergeschwafel, aufmerksamkeitsstarke aber nur Pseudo- und nutzloses Wissen verbreitende Boulevardmedien und Wirklichkeit vorgaukelnde Fernsehprogramme die Psyche der bundesrepublikanischen Bevölkerung deformieren?

Was sagt es über den Grad der Verdummung aus, wenn zum Beispiel hunderte deutsche Twitter-Nutzer sich als „Follower“ einer Taube mit eigenen Account eintragen (@SistineSeagull), nur weil die sich bei der letzten Papstwahl auf den für das Ergebnis des Konklaves wichtigen Kamin des Vatikans verirrte? Oder „Hannah Spears“, dem Hund von Britney Spears auf Twitter folgen wollen.

Welches Verständnis von Datenschutz bleibt hängen, wenn im Vorabendprogramm des ZDF die Bürosachbearbeiterin Miriam Stockel bei den „Rosenheim-Cops“ die scheinbar aktuelle Variante des bei Polizeibehörden gültigen Datenschutzes vorführt.

Da werden mal schnell auf Zuruf Wohnungen von Zeugen oder Verdächtigen durchsucht, deren Bankkonten, die Kontostände und die dabei aufgelaufene Historie abgefragt. Die dafür zwingend erforderlichen juristischen Zwischenschritte sind der umtriebigen Bürosachbearbeiterin nicht bekannt.

Der Bürger sieht’s und begreift es nach der zwanzigsten Folge als Realität.

Schließlich kennt er derartiges auch aus den ach so realistischen amerikanischen Polizeiserien. Schlimmstenfalls erinnert sich der so berieselte Fernsehzuschauer dunkel daran, etwas von einem „zweiten Zusatzartikel des Patriot Acts“ gehört zu haben.(Kommt auch immer in diesen Serien vor) Seit dieser Bin Laden diese beiden Türme in New York einstürzen ließ, ist dieser „Act“ doch jetzt an die Stelle dieses ominösen Grundgesetzes getreten.

Noch Fragen zum Datenschutz?

Vielleicht noch die:

Muss ich dem Mann von der NSA, der gerade bei mir vor der Haustür steht, wirklich die PIN-Nummern für mein Online-Banking nochmal geben? Die müsste er doch schon lange über meinen schlecht verschlüsselten WLAN-Router abgesaugt haben!

Aufgemerkt

In Deutschland, besser noch in Europa sollten wir nicht der allzu einfachen amerikanischen Regel verfallen, wegen einer ständig beschworenen Terrorgefahr die Realität der Selbstbestimmung nicht erst an zweiter Stelle hinter einer noch so attraktiv präsentierten Freiheitsphantasie anzusiedeln. Von dieser Phantasie bliebe am Ende nur staatliche Allmacht übrig!

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Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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