In Geisenfeld erinnert man mit „RESTLICHT“ an die Judenverfolgung

Lesedauer 4 Minuten

Doch wie ernst nimmt man es mit der Geschichte der Judenverfolgung am Ort?

Ein sonniger Sonntagnachmittag im Mai. Auf dem Geisenfelder Stadtplatz haben sich zusammen mit den Mitgliedern der Geisenfelder Stadtkapelle mehr Offizielle als interessierte Zuschauer zusammengefunden, um den Freiluftgästen der Bar PAPARAZZI zu ihrem Nachmittagscafé eine ganz besondere Zugabe zu bieten. Direkt neben ihren Tischen wartet die Geisenfelder Stadtkapelle auf ihren Einsatz. Der kommt, sobald der Bürgermeister und eine Landtagsabgeordnete an einer der Ecken des Platzes ihre Redebeiträge abgeliefert haben.

Dann gibt es großes Kino. Zumindest akustisch. Musik aus dem Spielberg-Film „Schindlers Liste“ wurde angekündigt, die Geschichte geretteter jüdischer Zwangsarbeiter im zweiten Weltkrieg. Damit auch dem letzten hier auf dem Stadtplatz klar wird, wofür die Aufregung gut sei und was es mit dem mitten auf dem Platz aufgebauten, durchlöcherten Baldachin für eine Bewandtnis hat:

Hier geht es irgendwie um Juden.

Auch um die Reichspogromnacht. Um die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Um Erinnerungskultur. Erinnerung an die Jahre zwischen 1933 und 1945. Nichts davon hat zwar einen direkten Bezug zur aktuellen Jahreszeit, doch Erinnern, zumal an dieses sehr, sehr dunkle Kapitel deutscher Geschichte, ist auch unabhängig von Jahreszahlen und Zeiten ein legitimes Unterfangen.

Der Baldachin, eine transportable Skulptur mit dem Namen RESTLICHT, erinnert, wird zumindest die Landtagsabgeordnete in ihrer Rede erwähnen, an eine provisorische Behausung, wie sie für die Geschichte des Judentums typisch sei. Zusätzlich wurden mit den Jahreszahlen 1938 bis 1945 die dunkelsten Jahre für die europäischen Juden in die Skulptur gestanzt.

Für die nächsten 6 Wochen, danach wird die Skulptur in München aufgestellt, können die Geisenfelder auf dem Stadtplatz an der Skulptur ein Zeichen setzen gegen das kollektive Vergessen. Ein Anliegen, das, wie der Bürgermeister und frühere Berufsschullehrer in seiner Ansprache hervorhob, ihm auch bei seinen Schülern wichtig war.

Redner-3

War das schon alles?

Als geschichtsbewusster Besucher der Auftaktveranstaltung „Erinnerungskultur heute“ mag man sich mit dieser als zeitgemäß und innovativ gebenden Form des Gedenkens nicht sofort anfreunden. Wo und wie genau erschließt sich die „Vielzahl an formalen und inhaltlichen Bezügen zur jüdischen Kultur“, die der Schöpfer der Skulptur, der Münchner Bildhauer Werner Mally in einem Begleittext propagiert?

Wenn hier in den nächsten 6 Wochen nicht noch etwas substanzielles, also ein örtlicher Bezug zu den Jahreszahlen 1933 bis 1945 folgt, bleibt dieses künstlerisch ambitionierte aber anonyme „Erinnern“ nur eine fadenscheinige Inszenierung in Geisenfeld.

Aufschlussreicher wäre es, diesbezügliches Erinnern mit Geisenfeld zu verbinden.

Für jedes künstlerisch laue Lüftchen gibt es sonst von der Stadt bezahlte Hochglanzblättchen. Nur für Erinnerungs-KULTUR soll es allein ein Stahlgestell ohne ortsbezogenen Begleittext richten?

Wie wäre ein lokaler Bezug zur Erinnerungskultur verbunden mit echtem Geschichtsunterricht statt zeitlich zwar dunkler, aber doch nur nachempfundener Stadtstorchlyrik?

Um sich an dunkle Nazizeiten zu erinnern, könnte man wirklich spannenden Fragen in Geisenfeld nachgehen:

  • Wie war das mit dem Wasserturm und der jüdischen Baufirma?
  • Wohin sind die in ihrer Mehrzahl jüdischen Hopfenhändler verschwunden?
  • Warum bekam die damalige Judengasse plötzlich einen anderen Namen und warum wird dieser andere Name bis heute beibehalten?
  • Wie war das mit den jüdischen Mitbürgern unter den Nazis in Geisenfeld?
  • Wer waren der/die aufrechten Geisenfelder, die Juden bei sich zu Hause versteckten (JA, davon gab es nicht viele  in Deutschland, aber in Geisenfeld gab es mindestens einen dieser Aufrechten! Wobei ihm desshalb „aufrechte“ Geisenfelder Nazis übel mitspielten)

Was könnte man sich in den nächsten 6 Wochen nicht alles unter dem Baldachin auf dem Stadtplatz erzählen.

Wenn man es nur ernst mit dem Erinnern in Geisenfeld nehmen würde!

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

Schon gelesen?

Geisenfeld -Protest der Landwirte nimmt kein Ende

Landwirte in Oberbayern auf dem Weg zu einem Protesttreffen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert