Ist es gut, wenn die Leser der Heimatzeitung alles wissen?

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Die Mächtigen kontrollieren ist unser Geschäft – sie loben und über Sauereien hinwegsehen macht das Leben des Journalistenmenschen aber leichter. Wie mir auch das folgende Erlebnis zeigte: Ein Unternehmer und Lokalpolitiker hatte in einem Dorf eine alte Mühle zur Kleinkunstbühne ausgebaut. Der abendliche Lärm der anfahrenden Fahrzeuge und das Gejohle der wegfahrenden Besucher störten den Nachbarn gewaltig. Dieser beschwerte sich und holte ständig die Polizei. Also heuerte der Chef zwei Schläger an, die dem Nachbarn eine Abreibung verpassten.

Alsbald verdichtete es sich zur Gewissheit, dass es sich um eine Auftragsarbeit handelte. Wir recherchierten den Fall und stellten unseren Lokalpolitiker bloß. Es war nicht die eigentlich schlimme Reaktion, dass dieser samt Hund in meinem Büro auftauchte und mit dessen Leine meinen Schreibtisch verprügelte. Nein, die Öffentlichkeit reagierte ganz anders als vom stolzen, investigativen Journalisten erwartet: „Der arme Mann. Haben die das schreiben müssen?“ Auch da war eine Lokalzeitung aus dem System ausgebrochen.

Und als wir in Schwabach seitenweise über die möglichen Gefahren durch Sondermüllverbrennung und –deponie berichteten, wurden wir auch gefragt: Von Politikern: „Ist Ihnen das Ansehen unserer Stadt völlig egal?“ Von Maklern: „Ist Ihnen klar, was sie mit Leuten anstellen, die gerade ihr Haus verkaufen wollen?“ Aber auch von Pfarrern: „Denken Sie nie daran, was diese Angst mit den Menschen anrichtet?“

Darin steckt die immer gleiche Frage und Aufforderung: „Übertreibe es nicht mit deiner Freiheit. Sei so, dass wir uns auf dich verlassen können. Sei bitte einer von uns.“ Eigentlich verachten wir dich dafür. Aber für uns alle ist es besser so. Wir können dann einschätzen, was wir von Dir zu erwarten haben.
Ja, dazugehören ist Teil unseres Berufs. Wir können das nie völlig vermeiden. Die Frage ist nur, wie weit wir es zulassen. Und wie wir damit umgehen. Denn Distanz muss möglich sein. Wir müssen in der Lage sein, auch dem gefühlt besten Kommunalpolitiker eins überzubraten – wenn er es verdient hat. Nähe darf nicht zur Beißhemmung führen.

Aber genauso klar ist: Auch ein Journalist, so sehr er gelegentlich die Zähne fletscht und vielleicht sogar zubeißt, will geliebt werden. Und in dieser Hinsicht bescherte mir mein berufliches Schicksal die härteste Prüfung im Jahr 2005: Ich wurde ein Gesellschaftsreporter der Nürnberger Nachrichten. Ich war also verantwortlich für jenes Redaktions-Ressort, bei dem du auch heute noch viel schneller 1000 Freunde hast als bei Facebook. Und bei dem du von jeder größeren Veranstaltung nicht unter 20 „Gefällt mir“-Schulterklopfern nach Hause gehst. Weil da immer genug Leute sind, die etwas von dir wollen. Menschen, die genau wissen, dass ein Journalist, und erst recht ein Mann, besser funktioniert, wenn er gelobt wird.

Große Fragen der journalistischen Ethik begegnen dir in dieser Arbeit. Sollst du als einziger die Rechnung verlangen, wenn bei einer Restaurant-Eröffnung 300 nutzlose Freibiergesichter kostenlos versorgt werden. Musst du den Kuss der Schönheitskönigin abwehren? Sind Aquarelle auch dann noch Kunst, wenn sie in einem kommerziellen Umfeld gezeigt werden? Werde ich als Juror beim Presssack- und Blutwurst- Wettbewerb zum Komplizen der Landmetzger und bin fortan als Ansprechpartner für Vegetarier verbrannt? Und ist der Artikel über die im Laserlicht durchgeführte Vorstellung eines neuen Oberklasseautos schlichte Schleichwerbung oder eine lesenswerte Information?

Anders gefragt: Darf ein neuer BMW für dein lokales Publikum ähnlich wichtig sein, wie ein neues Telefon von Apple für die Welt als solche?

Ich meine: Nähe zu verweigern, ist Quatsch, ist Ängstlichkeit. Ob du trotzdem Distanz halten kannst, ist eine Frage deiner persönlichen Qualität. Du musst dich nicht einfangen lassen. Du kannst es als Gesellschaftsreporter mit Ironie lösen. Das mag zunächst irritieren, aber es wird schließlich auch von den Betroffenen akzeptiert. Denn Berichte, die von einem unabhängigen Journalisten kommen, werden aufmerksamer gelesen, als devotes Geschreibsel.

Aber das alles beantwortet nicht die Frage, ob sich ein Journalist nicht auch gemein machen darf. Ich sage: Aber sicher darf er das. Ich sage sogar: Er soll es. Solange er die Kontrolle behält. Denn, wie gesagt, wir alle wollen diese Welt ein bisschen besser machen. Wir haben diesen Beruf nicht gewählt, weil wir als empfindungslose Roboter Texte schreiben oder redigieren wollen. Zumal wir so, bei aller Seriosität, zu Erzeugern von Langeweile werden.

Wenn ich etwa mitbekomme, dass ein bestens integrierter Jugendlicher abgeschoben werden soll, weil oder obwohl seine Familie aus Afghanistan stammt, nehme ich mir natürlich die Freiheit, die menschliche, die moralische Seite höher zu gewichten als die strenge Auslegung geltender Gesetze.

Wenn meine Zeitung in der Adventszeit Spenden für Bedürftige sammelt – muss ich dann als unbeteiligter Zuschauer dastehen? Oder sage ich immer wieder und auch laut, dass ich das gut finde?

Wer oder was soll mich hindern, bei Fällen von offensichtlicher Ausbeutung mit Leidenschaft Position für die Beschäftigten zu beziehen?

Und wenn sich zeigt, dass Neonazis eine Stadt für sich erobern wollen, bin ich ohne Wenn und Aber auf der Seite der Gegendemonstranten. „Kein Fußbreit für Nazis“ – warum sollte ich mich mit diesem Satz nicht gemein machen?

Es ist einfach ein Unterschied, ob ich mich mit einer Region gemein mache, weil ich glaube, dass man es von mir erwartet. Oder ob ich mich mit einer Sache gemein mache, weil ich es selbst für richtig halte.

Das berühmte Wort von Hanns-Joachim Friedrichs ist für mich also allenfalls eine Mahnung, den vermeintlichen Freunden nicht zu leicht auf den Leim zu geben. Er erinnert mich daran, dass ich auch das für mich Gute und Wahre immer wieder überprüfen muss. Er bewahrt mich vor Fanatismus. Aber er ist kein Lehrsatz, den jede und jeder immer und überall beachten müsste.

Ich halte es mit der Antwort, die Georg Restle, der neue Chef des WDR-Magazins „Monitor“, im „medium magazin“ auf die Frage „Wann ist ein Journalist ein guter Journalist?“ gegeben hat: „Wenn er ein unbestechlicher Menschenfreund ist.“ Mein Fazit ist also klar: Wer sich nie gemein macht, hat kein Herz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, danke für Eure Aufmerksamkeit. Und nicht vergessen: Schreibt was Schönes.

Klaus Schrage

(Klaus Schrage blogt auch. Auf „Hirndübel“ geht es weniger um kluge Auslese, sondern ums Auflesen origineller Nachrichten. Bevorzugt aus dem Nürnberger Raum.)

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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