Nachbetrachtung der Stadtratssitzung vom April : Esperanto, Lärmschutz und emotionale Beschlüsse.

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„Es ist Unterricht!“ Diesen Hinweis der im Brotberuf als Rektorin der Grund- und Hauptschule Geisenfeld nachgehenden 2. Bürgermeisterin Gabriele Bachhuber hatten die Stadträte vor einer Stadtratssitzung noch nie gehört. Der Hinweis galt den anwesenden Schülerinnen und Schülern der beiden 9. Klassen der Hauptschule Geisenfeld, die sich im Rahmen des „Planspiels Kommunalpolitik“ an diesem Abend mit der Arbeit des real existierenden Geisenfelder Stadtrats beschäftigten. Das, was sie in der ersten -und einzigen- Stunde ihrer Anwesenheit miterleben konnten, war die denkbar ungeeignetste Lehrstunde für ein vorurteilsfreies Verständnis für die Abläufe politischer Entscheidungsprozesse. Die bange Frage, „wenn denn Politik für sie überhaupt ein Thema ist“ aus dem Vorwort der begleitenden Projektbeschreibung der „Friedrich Ebert Stiftung“, muss man als Beobachter dieser Sitzung folgendermaßen beantworten: „Dann ist bei den jungen Zuschauern die vermutete Politikverdrossenheit durch „echte“ Kommunalpolitiker nur verstärkt worden“.

Was wurde denn den ca. 40 Neuntklässlern unter dem Tagesordnungspunkt 1 -von insgesamt 16- geboten? Ein Sachvortrag über die Errichtung einer Schallschutzmaßnahme im Ortsteil Ilmendorf mit abschließender Beschlussfassung sollte es werden. Und was wurde es? Um es mit der Wortmeldung von Stadtrat Wittmann auf den Punkt zu bringen: „Wir haben zwar hier hinten nichts verstanden, aber das ist jetzt eben so“. Das lag zum Einen an der Vortragsweise der, auch nach lautstarker Aufforderung vieler Stadträte partout nicht lauter sprechen wollenden Fachfrau (Dipl.Geogr.-Univ.) für „Schalltechnische Berechnungen“, und zum Anderen an dem technischen Kauderwelsch der vermutlich in Esperanto vorgetragenen Ausführungen. Dient die Plansprache Esperanto i.d. Regel der Verständigung zwischen Menschen verschiedener Völker, so unterlief dieser „Fachvortrag“ mit seinen Pegeltabellen, den briefmarkengroßen roten und gelben db(A) Ausprägungen und seinen Tag- und Nachtemissionskontingenten noch die niedrigste Form von Unterrichtungsmaßstäben aufrecht gehender, bayerischer Muttersprachler. Innerhalb dieser einen Stunde erkannten einige Stadträte die Sinnlosigkeit einer Lärmschutzwand, andere wiederum das genaue Gegenteil. Der Rest dürfte nur „Bahnhof“ verstanden haben.

Das schlagendste Argument hatte, wie schon in der vergangenen Sitzung, Stadtrat Dr. Hollweck.“ Wenn ich sie richtig verstanden habe, (er saß relativ nahe an der Fachfrau) so ergeben ihre Berechnungen nach Errichtung einer Lärmschutzwand eine Verminderung von 2 db(A). Die Verringerung um diese Größenordnung kann aber keiner wirklich wahrnehmen. Jetzt frage ich die Kollegen, warum sollen wir bis zu 320 000,-€ ausgeben, für etwas, das gar nichts bringt?“ Um bei einer weiteren Wortmeldung nachzuschieben: „In einem früheren Beschluss haben wir die Errichtung einer Lärmschutzwand in Ilmendorf auf Grund von Emotionen getroffen! Mit den jetzt vorliegenden Zahlen sehen wir: Der damalige Beschluss war falsch!“ Sowohl „Fachfrau“ wie Bürgermeister widersprachen seiner Auffassung. Die „Fachfrau“ konkretisierte, 2 db(A) Schallverringerung seien doch „mehr als nichts“ und Bürgermeister Staudter wurde mit einem Satz unfreiwillig konkret.

“ Wir werden immer Beschlüsse auf Grund von Emotionen treffen“.

(diese Einlassung lässt für die nächste Stadtratssitzung nichts gutes ahnen. Am 20. Mai soll die endgültige Beteiligung der Stadt Geisenfeld an einer 3-fach Turnhalle behandelt werden. Dafür gibt es auf Seiten der Stadt objektiv keinen Bedarf. Aber der Wunsch dafür ist da. Das heißt, bei sachlicher Abwägung müsste man sich die ca. 1,5 Mio Euro Beteiligung an den Baukosten sparen. Aber bei emotionaler Betrachtung?)

So ging es munter hin und her. Der in Rede stehende Ortsteil „sei verlärmt“. Nach DIN 1805 sei der Verkehrslärm in einer Höhe von 2, 40 Meter in der Nacht um 3 db(A) zu hoch. (Aber irgendwie doch noch im gesetzlich vertretbaren Rahmen)

Eine Vielzahl von Wortmeldungen war in ihrer Schlussfolgerung von keinerlei Sachverstand getrübt oder durch nachvollziehbare Zahlen belegbar und ganz allgemein nur von persönlichen Auffassungen getragen. Ein Stadtrat hatte entweder eigene Zahlen zur prognostizierten Lärmentwicklung der dafür verantwortlichen B16 oder führte die vermeintlich unangreifbaren Aussagen einer höheren Instanz an. „Ich habe Zahlen aus dem Landratsamt. Der LKW-Verkehr wird zukünftig um 40% ansteigen“. Ein anderer verteidigte mit ähnlich nebulöser Taktik die angedachte Lärmschutzwand mit „den demnächst um 150 bis 200 zusätzlichen, täglichen LKW durch den erwarteten Vollbetrieb von Kaufland“. Selbst ein weiterer Ausbau der bereits ausgebauten B16 wurde in einer imaginären, völlig vernebelten Glaskugel gesehen.

Und dazwischen immer wieder die Ausführungen einer zumindest die Lippen bewegenden Fachfrau. Stadträte fragen, Fachfrau präsentiert Grafik. Fachfrau erklärt, Bürgermeister fasst mit sehr lauter Stimme vermeintlich verstandenes zusammen. Stadträte stimmen ab.

Ohne sich als Beobachter nun sehr weit aus dem Fenster lehnen zu müssen kann man behaupten: Der Großteil der in dieser Stunde auf dieser Stadtratssitzung Anwesenden hat nur die Hälfte verstanden. Sowohl verbal wie auch sachlich/fachlich.

Aber keiner der Stadträte hatte den Mut dieses Chaos vorzeitig zu beenden. Sie hätten sicherlich über die Beschlussvorlage „Beratung und Beschlussfassung zum vorliegenden Lärmschutzgutachten“ und damit zur endgültigen Errichtung dieser Lärmschutzwand abgestimmt.

Dankenswerterweise, aus welchen Gründen auch immer, entschied sich Bürgermeister Staudter anders. Als Beschluss gab er zur Abstimmung „die Lärmschutzwand weiter zu verfolgen. Besonders hinsichtlich der Kosten und einer eventuellen Verlängerung auf 350 Meter der bisher angedachten ca. 200 Meter.“ Der Beschluss wurde mit 15 zu 3 angenommen. (Die Stadträte Staudt, Fuchs und Böhm fehlten)

Was die Zuschauer nicht wussten -aber die Stadträte- : Bei dieser „Lärmschutzwand“ ging es nicht nur um Lärmschutz alleine. Es ging auch um Grundstücke und Bauplätze. Im „Subtext“ eines diese Wand befürwortenden Stadtrats konnte man den Eigennutz durchaus erahnen.

Liebe Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen aus Geisenfeld. Bitte, bitte glaubt daran:

Demokratie ist gut. Wir haben nichts besseres. Selbst Kommunalpolitik kann für die Bürger gut gemacht werden. Sie wird zwar nicht immer und überall gleichgut umgesetzt. Eure Stunde im Geisenfelder Stadtparlament sollte euch aber nicht die Lust an Politik nehmen. Es geht natürlich auch besser. Auch in Geisenfeld!

In Esperanto : Seid nicht „malkontenta“ (unzufrieden). Euer „aŭskulti“ (zuhören) wegen der “ bruo muro“ (Lärmwand) war nicht „tute“ (völlig) „vane“ (umsonst/vergeblich).

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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