Dieser Beitrag wurde bisher 26 x aufgerufen.
Die Situation in Pfaffenhofen mit Blick auf die Arbeit der Caritas Schuldnerberatung.
Von vielen Dingen wünschte man sich, man hätte mehr davon. Und obwohl dieser Wunsch auf Schulden sicher nicht zutreffen dürfte, ein Zuviel davon also nicht wünschenswert wäre, haben Privatpersonen in Deutschland jede Menge davon.
Vom Baby bis zum Greis ergibt sich rein rechnerisch eine private Schuldenlast von etwa 2.500 EUR pro Person. (Insgesamt mehr als 209 Milliarden Euro). Im Jahr 2017 war für ca. 260.000 Personen in Deutschland die Schuldensituation so beunruhigend, dass sie eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchten. Sie blickten auf eine drohende Schuldenfalle, konnten ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr in ausreichendem Maß nachkommen und wussten nicht mehr weiter.
Wie passt das zu den Meldungen über die gute Wirtschaftslage und dem im letzten Quartal 2017 auf einen Rekordwert von 5.857 Milliarden Euro gestiegen Geldvermögen der privaten Haushalte?
„Der Trend zur Beratung ist ungebrochen“
berichtet Tanja Holzhey, Dipl.-Rechtspflegerin bei der „Sozialberatung für Schuldner im Caritas Zentrum Pfaffenhofen“, und verweist auf die in den letzten Jahrzehnten zahlenmäßig stetig ansteigenden „Klientinnen und Klienten“ wie sie die in Pfaffenhofen und der Außenstelle in Manching vorsprechenden Beratungsfälle nennt.
„Bei vielen müssen wir jedoch erst ein Bewusstsein für die Situation schaffen in der sie sich befinden“.
Die Schuldner- und Insolvenzberatung der Caritas versteht ihre Tätigkeit auch als pädagogische und psychosoziale Dienstleistung und gehe somit weit über die reine Schuldnerberatung hinaus. Unter Einbeziehung der intellektuellen und finanziellen Ressourcen der Ratsuchenden und der Prüfung ob Schuldenbereinigung, Regulierung oder die Einleitung eines Insolvenzverfahrens angestrebt werden sollte, „stehe vor allem die Erarbeitung existenzsichernder Maßnahmen“ betont Holzhey.
Uns geht’s doch gut, oder?
Und obwohl der Landkreis Pfaffenhofen nicht zu den strukturschwachen Regionen Deutschlands gehört, in der Regel ist in diesen Regionen die Verschuldung deutlich höher als in Gegenden, in denen geringe Arbeitslosigkeit und eine sehr gute Struktur nachgewiesen werden, ergeben die in der Schuldnerberatung der Caritas in Pfaffenhofen erhobenen Fallzahlen ein etwas differenziertes Bild für diese Annahme.
Vergleicht man die im Jahr 2017 in Pfaffenhofen gelisteten Beratungsfälle mit denen der vom Statistischen Bundesamt für den gleichen Zeitraum bei 528 von insgesamt rund 1.400 bundesweit tätigen Beratungsstellen erhobenen, stolpert man über einen bemerkenswerten Widerspruch hinsichtlich der medialen Jubelmeldungen über außerordentlich gute Konjunktur und annähernder Vollbeschäftigung in unserer Region.
Gern geglaubte konjunkturelle Gesetzmäßigkeiten betreffen nicht jeden.
Diese Meldungen implizieren zwar einen damit im Zusammenhang stehen sollenden Wohlstand, verbreiten somit unterschwellig den Glauben an eine lange Zeit gültige, in der Realität jedoch von der Einkommenssituation längst abgekoppelte konjunkturelle Gesetzmäßigkeit, („Konjunktur bedeutet Arbeit“, „Arbeit bedeutet Einkommen“, „Einkommen bedeutet Wohlstand“) und vernebeln somit -entweder absichtsvoll oder in Ermangelung freier Hirnareale- die zum Teil äußerst prekäre Lebenssituation vieler Bürger im Landkreis mit neoliberalen Kalendersprüchen.
(In Bayern werden nur noch 53 % aller Beschäftigten nach Tarif bezahlt *(1). Der „Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ zeigt auf, dass die inflationsbereinigten Bruttostundenlöhne der abhängig Beschäftigten im Zeitraum von 1995 bis 2015 in den unteren vier Dezilen (Zehntelschritten) gesunken sind*(2). Vereinfacht ausgedrückt verdienen 40 Prozent der Beschäftigten heute weniger als noch Mitte der 90er Jahre)
Gingen die Schuldneranfragen im Landkreis zurück? Nein, nicht wirklich!
Die bei der Caritas Schuldnerberatung für Pfaffenhofen für das Jahr 2017 mit 353 angegebenen Beratungsfälle liegen zwar merklich unter den Fallzahlen des Jahres 2016, ( 476 Beratungen) doch sind diese geringeren Zahlen nicht auf den Rückgang hilfeansuchender Personen zurück zu führen, sondern auf personelle Ausfälle in der Beratungsstelle , die vor allem in den Monaten Mai bis September 2017 dazu führten, das man Schuldner- und Insolvenzberatung nur eingeschränkt bedienen konnte und Klienten an andere Stellen verweisen musste.
Versucht man nun -rein rechnerisch- diese 4-5 Monate der eingeschränkten Beratungstätigkeit in ein -diesen Umstand kompensierendes- Verhältnis zu allen Monaten des Jahres zu setzen, (Halbe Bearbeitungszahl für 4 Monate) bekommt man -zurückhaltend gerechnet- für das Jahr 2017 eine Fallzahl die in etwa der Fallzahl des Jahres 2016 entspricht: 470 Beratungen!
Zieht man nun davon die Anzahl der Telefon-Kurz- oder Pfändungskontenbescheinigungsanfragen ab (43% in 2017) verbleiben 268 „echte“ Beratungsfälle.
Damit läge die Zahl der Beratungsfälle in Pfaffenhofen um einiges höher als die deutschlandweit vom Statistischen Bundesamt für 2017 ermittelten Beratungsfälle von durchschnittlich 240 Fällen.
12 % mehr Schuldnerberatungen im Landkreis Pfaffenhofen als im Rest der Republik
Für eine wirtschaftlich prosperierende Region wie Pfaffenhofen ein bemerkenswerter Umstand. Macht er doch in unserer Region etwas transparent, was Creditreform-Aufsichtsrat Helmut Rödel bei der Vorstellung des aktuellen “SchuldnerAtlas 2017“ bilanzierte und auch für unsere Region Gültigkeit haben dürfte: „Obwohl es uns in Deutschland gut geht, geht es vielen schlecht„.
Waren es noch vor einigen Jahren die Heranwachsenden, die sich durch falsche Tarifwahl bei Mobilfunkbetreibern, dem ungezügelten Kauf diverser Klingeltöne und anderweitiger Spielereien verschuldeten, ist heute die Altersgruppen der 30-40-Jährigen, zumindest im Landkreis Pfaffenhofen, die größte Gruppe (31,50 %) die beraten wurde.
Danach kommen die 40-50-Jährigen mit 25,50 %, dicht gefolgt von den 50-60-Jährigen mit 25,00 %. Platz 4 belegen die 25-30-Jährigen mit 9,00 %. Mit 4,50 % sind die über 65-Jährigen vertreten und die 18-25-Jährigen noch mit 2,50 % als kleinste Gruppe.
„Es gibt aber auch Fälle die kann man nicht regeln“ schneidet Frau Holzhey einen wunden Punkt an und verdeutlicht diese Aussage sogleich anhand eines Beispiels:
Klient K ist bereits seit Herbst 2014 in der Schuldnerberatung. Seine Schulden sind an sich noch überschaubar und belaufen sich auf ca. 6.500 €. Er hat ein Alkoholproblem und ist darüber hinaus psychisch sehr instabil, kommt alleine nicht gut zurecht.
Er ist im Haus auch an den Sozialpsychiatrischen Dienst angebunden. Durch den Alkohol hat er immer wieder seine Arbeitsstellen verloren und in der Folge ALG II bezogen.
Es tauchten im Laufe der Beratung auch weitere Gläubigerforderungen auf, von denen K „nichts wusste“ bzw. die teilweise auch neu entstanden sind. Wegen des ALG II-Bezugs ist eine Zahlung der Verbindlichkeiten kaum möglich.
„Aufgrund der psychischen Verfassung und aufgrund seines Handelns, das Entstehen neuer Verbindlichkeiten zum Beispiel, konnte auch ein Insolvenzverfahren von unserer Seite nicht befürwortet werden, da er hier zuverlässig sein müsste, und gemäß der Insolvenzordnung „wohl verhalten“ zeigen muss. Die Schuldenregulierung musste zurückgestellt werden, da zunächst die psychische Stabilisierung des Klienten stattfinden und er zudem Einsicht zeigen muss“.
Sind die Mitarbeiter der Caritas Schuldnerberatung in Pfaffenhofen ausweislich ihrer Beratungszahlen jetzt besonders fleißig oder sind die verschuldeten Einwohner unseres Landkreises, eventuell anders als im restlichen Deutschland, einer Beratung gegenüber besonders aufgeschlossen?
Ich glaube weder noch. Die hier thematisierten Zahlen belegen m.E. erneut nur den bereits oben angeführten Befund: „Obwohl es uns in Deutschland gut geht, geht es vielen schlecht„. Und nur die Zahl der Letzteren steigt!
Und noch etwas fällt auf. Nicht nur die Anzahl der Bürger denen es schlecht geht steigt, es steigt auch die Zahl derer, denen es besonders schlecht geht da sie ihre Schulden insgesamt nicht mehr begleichen können. Sie sind „Über“schuldet!
Wie kann es sein, das bei guter Konjunktur Privatpersonen sogar „Über“schuldet sind,
(ihr Leben also krisenhafte Züge aufweist da das Einkommen trotz Reduzierung ihres Lebensstandards nicht mehr zur fristgerechten Schuldentilgung ausreicht) und die Quote der Überschuldeten zum vierten Mal in Folge auf aktuell 10,04 Prozent der Bevölkerung über 18 Jahre angestiegen ist?
Haben diese über 6,9 Millionen überschuldeten Bürger nun alle über ihre Verhältnisse gelebt?
Einige sicherlich. Doch sieht man sich die Verschuldensgründe der in Pfaffenhofen von der Caritas beratenen Bürgerinnen und Bürger an, entdeckt man als Auslöser für eine Notlage zwischen Krankheit an erster, und Arbeitslosigkeit an dritter Stelle, dazwischen nicht etwa Konsumverhalten als Auslöser, sondern den Faktor Niedriglohn an zweiter Stelle als Auslöser der Verschuldensgründe.
„In einem Land in dem wir gut und gerne leben“
konnte man unlängst auf vielen Plakaten lesen. Als wollte man den Menschen auch im Landkreis Pfaffenhofen damit nahelegen, wie sie ihre Situation einzuschätzen hätten. Naja ….. frühestens nach dem Lesen des vereinnahmenden Wörtchens „wir“, jedoch spätestens nach verarbeiten des schwammigen Konstrukts „gut leben“ durften sich Millionen Menschen in Deutschland und nicht wenige in Pfaffenhofen als ausgegrenzt betrachtet haben.
*(1) Tarifbindung im Freistaat besonders stark gesunken
*(2) Armutsbericht (pdf)/ Text: Seite 59 unten/Grafik: Seite 60