Sie sind kreditwürdig. Ihr „Scorewert“ nicht?

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Verbraucherrechte ab 1. April neu geregelt.

Die Vase im Online-Shop „Kostfastnix.de“ hat es ihnen angetan. Ab damit in den Warenkorb. Jetzt nur noch Namen und Lieferanschrift eingeben, „Zur Kasse gehen“ anklicken und der Kauf auf Rechnung ist perfekt. Denkste. Das System schlägt ihnen unter „Zahlungsart“ ausschließlich den Kauf per „Nachnahme“ vor. Sie, oder eventuell auch nur ihre Nachbarn sind anscheinend nicht kreditwürdig. Ihr bei „Schufa und Co“ automatisch abgefragter „Scorewert“ war zu niedrig.

Zum 1. April 2010 tritt eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes in Kraft. Sie regelt den Umgang mit Verbraucherdaten zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit und stärkt die Informations- und Auskunftsansprüche von Verbrauchern.

Dass umfangreiches Datenmaterial über jeden Bundesbürger in unzähligen Datenbanken verwaltet, abgespeichert und in vielfältigerweise verarbeitet und untereinander abgeglichen wird, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben.

Aus dieser Datenfülle, einerseits von unüberlegt handelnden Personen wegen eines vermeintlichen Vorteils freiwillig preisgegeben, andererseits von Auskunfteien, Adresshändlern und professionellen Datensammlern akribisch erhoben und gesammelt, bedienen sich alle Akteure im Wirtschaftskreislauf. Im Rahmen eines ihre eigene Überlebensfähigkeit sichernden „Risiko Managements“ versuchen sie bereits im Vorfeld einer Kundenbeziehung zu entscheiden, wen sie unter welchen Bedingungen als Kunden wollen und wen nicht.

Kreditinstitute und Unternehmen prüfen vor Vertragsabschluss den sogenannten „Scorewert“ eines Kunden, der Rückschlüsse auf dessen Kreditwürdigkeit erlauben soll. Sie bedienen sich dabei Auskunfteien, die den Scorewert aus Daten der Kunden errechnen. Diesen Wert kennt der Kunde in der Regel nicht. Bestenfalls glaubt er zu wissen, seine bei der „Schufa“ liegenden Daten -die er aus einer Abfrage seiner eventuell vorliegenden „Negativmerkmale“ mittels einer „Schufa Selbstauskunft“ abfragen ließ- werden hier genutzt. Zum Teil ja, zum Teil nein. (Das bis vor kurzem eine „Selbstauskunft“ bei der Schufa zu einer Verschlechterung der eigenen Kreditwürdigkeit führte war weitgehend unbekannt. Selbst eine harmlose Anfrage nach Kreditkonditionen führte zur negativeren Einschätzung des Zahlungsverhaltens des bei der Bank anfragenden Kunden) Zum Teil waren selbst diese Daten nicht korrekt.

Ein Bericht im Auftrag des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) zeigte im Sommer 2009 erhebliche Mängel der bei „Schufa und Co“ gespeicherten Daten.

Mehr Rechtssicherheit bringt nun das zum 1. April 2010 in Kraft tretende Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG).

Es regelt,

welche Daten über Verbraucher von Banken und anderen Unternehmen an Auskunfteien übermittelt werden dürfen,

 

 

welche Daten Auskunfteien und Banken bei der Vorhersage des künftigen Zahlungsverhaltens von Verbrauchern berücksichtigen dürfen und

 

 

welche Informations- und Auskunftsansprüche die Verbraucher gegenüber den Banken und Auskunfteien haben.

Was ist ein „Scorewert“?

Unter „Scorewert“, oder genauer dem „credit scoring“ versteht man ein Punktbewertungsverfahren. Ein bei Privatkrediten, im Versandhandel aber auch bei Gewerbetreibenden angewandtes Verfahren zur Abschätzung des Risikos. Dabei werden bestimmte Merkmale/Parameter (wie Adresse, Alter, Geschlecht, Nationalität, Familienstand, Kinderzahl, Bildungsstand, Religionszugehörigkeit, berufliche Qualifikation, Arbeitgeber, Einkommen, Vermögen, Dauer des Mietverhältnisses, Gesundheitszustand, Anzahl von Verträgen, Konten und Kreditkarten, Zahlungsverhalten und Informationsbereitschaft des Kunden) mit Punkten (scores) bewertet. Die Gesamtzahl der so vergebenen Punkte führt zur Einstufung in eine Risiko-Klasse.

Und jede Branche, jede Bankengruppe und jeder Telekommunikationsanbieter hat unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe. Zusammengefasst in sogenannten „Scorecarts“. Spielt zum Beispiel bei einer Genossenschaftsbank ein häufiger Wohnortwechsel eine größere Rolle in der Bewertung, so legt vielleicht eine Filiale der Sparkassengruppe ihren Fokus eher auf die Anzahl der Konten. Sowohl häufiger Wohnortwechsel wie auch eine größere Anzahl von Bankbeziehungen könnten ein Indiz dafür sein, dass …… . Ja für was eigentlich?

(Falls sie jetzt denken, da frage ich doch meinen Bankberater -warum meine Bewertung so ist wie sie ist- haben sie falsch gedacht. Der freundliche Herr (oder die Dame) der ihren Kredit gerade abgelehnt hat weiß selber nichts genaues. In der Bank werden ihre persönlichen Daten in den Computer eingegeben, man wartet etwas und ein „System“ spuckt ihre Bewertung, ihren „Score“ aus. Eine nackte Zahl.Diese Zahl entscheidet über ja oder nein, über hohe oder noch höhere Zinsen. Ihr Bankberater kennt nicht mal die einzelnen Parameter in der auch für ihn unsichtbaren „Scorecard“)

Warum „Scoring“?

„Die Kreditentscheidung basiert auf der Annahme, dass die Zukunft der Vergangenheit ähnelt – ohne diese Annahme könnten Kredite nicht vergeben werden.Es gibt aber keine Kausalität im menschlichen Verhalten, d.h. dass wir nicht mit Sicherheit im voraus wissen, ob jemand seinen Kredit zurückzahlen wird oder nicht.“

 

(Prof. Dr. René-Claude Urbatsch)

Scoring steht primär für das Zählen von Punkten. Im erweiterten Sinne wird es für analytisch statistische Verfahren benutzt, aus wenigen erhobenen Daten anhand von Erfahrungswerten, die in Score-Cards beschrieben werden, zu Risikoeinschätzungen zu kommen. Die Motivation dabei ist, wie oben bereits beschrieben, Risiken zu vermeiden und auf Basis einer statistisch unterfütterten Methode objektivierte Entscheidungen zu erhalten. Web-Shops sind darauf angewiesen.

Während ihrer Bestellung im Internet können im Hintergrund komplexe elektronische Bewertungsvorgänge ablaufen:

Hat man über den zu bewertenden Kunden keine ausreichenden Daten, zieht man hilfsweise die seiner Nachbarn, die der gesamten Straße oder die des Ortsteils heran. Nicht besonders genau (trennscharf) aber bei mathematisch richtiger Gewichtung doch aussagekräftig. (die Bewertung der Zahlungsmoral/Kreditwürdigkeit eines Internetbestellers aus München-Grünwald dürfte selbst ohne Namensnennung anders ausfallen als die eines Bestellers aus München-Hasenbergl)

Eventuell wollten sie bei ihren Bestellangaben auch nur politisch korrekt tricksen. Sie haben von Datensammlern genug, wollen nicht alles preisgeben und gaben bei ihrer Erstbestellung im Shop ein falsches Geburtsdatum an. Gut gedacht aber schlecht gemacht. Abgesehen davon, dass in Deutschland als eindeutiges Merkmal zur Identifizierung allein das Geburtsdatum herangezogen wird (in den USA die Sozialversicherungsnummer) könnte ihr korrekt angegebener Vorname „Kevin“ zu Irritationen geführt haben.

Ihre Eltern konnten sich einer bestimmten Modeerscheinung nicht entziehen und wollten ihrem Sohn einen im Jahr 1991 trendigen Namen geben. Der Schauspieler Macaulay Culkin hatte mit seiner Rolle in dem Film „Kevin – Allein zu Haus“ bei Mama und Papa einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Aber auch in Datenbanken. Im zeitlichen Umfeld der ersten zwei „Kevin“-Filme (1991-1992) verzeichnete man eine Häufung dieses Vornamen. Dieser Name, verbunden mit einer Ortsangabe aus dem Bayerischen Wald und einem Geburtsdatum von unter 1980 wirft Fragen auf. Ein gut eingestelltes Bestellsystem wird hartnäckig auf Bezahlung per Nachnahme bestehen.

Aber auch ohne ihr Zutun kann man ihnen einen schlechten Index verpassen. Sie haben das Pech in einer unterdurchschnittlichen Kaufkraftzone zu wohnen. Um sie herum geht der Gerichtsvollzieher aus und ein. Sie sind von sogenannten „harten Merkmalen“ umzingelt. Sofern über sie persönlich wenig belastbare Daten vorliegen könnten bei ihrer Online-Bestellung eben die Daten ihrer Nachbarschaft genutzt werden. Die Anzahl der gerichtlichen Mahnbescheide, der eidesstattlichen Versicherungen oder Haftbefehle werden von Schufa & Co genauestens registriert. Auch diese Daten könnten ihren „Scorewert“ verschlechtern.

Kombiniert man die hier vorgestellten soziodemografischen Daten nun noch mit „Lifestyle-Daten“, Regional- und Statistikdaten, Markt- Konsum- und Gebäudedaten, Daten aus Erhebungen des Kaufverhaltens und den Daten aus den vielfältigen Bonuspunktesammelkarten ergibt sich ein einfaches Bild: Das Bild des gläsernen Verbrauchers.

So mancher Google-Street-View Phobiker in unseren Rathäusern sollte eigentlich gelernt haben: Der Zug ist längst dort wo es wirklich weh tut und viel weiter als Google je fahren wird.

Man blickt uns auch ohne zusätzliche Gebäude- und Straßenbilder schon lange in unsere Gärten, Zimmer und Schränke. Bei Google dürfen wir noch unsere Badehosen beim plätschern im heimischen Pool anbehalten. Woanders sind wir schon nackt, risikovermessen und genauestens katalogisiert.

Ab 1. April 2010 dürfen wir nun auch wissen wie genau!

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Hier sollten sie sich informieren:

Auf der Web-Site des Verbraucherschutzministeriums (BMELV) können sie sich über ihre neuen Rechte informieren. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Thema Scoring.

Möchten sie hinter die Kulissen einer Auskunftei blicken?

Was die „Schufa“ für Deutschland, ist die Firma „D & B“ für Deutschland und die restliche Welt. Erleben sie einen, in schönstem schweizer Dialekt gehaltenen Vortrag (in 5 Teilen) zum Thema “ Kundenscoring als strategischer Erfolgsfaktor“.

[media id=16 width=425 height=344]Sofern sie sich nicht alle 5 Teile ansehen möchten zeigen wir hier den am besten zum Thema passenden Teil 2. Lernen sie dabei : 1+1 = 3

Die anderen Teile können sie sich durch anklicken direkt auf YouTube ansehen:

Teil1 / Teil 3 /  Teil 4 /  Teil 5

 

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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