Umgehungsstraße- Die „Idioten“ sind jetzt im Internet.

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Aufgewärmtes schmeckt oft besser. Zumindest bei Eintöpfen. Doch ein 14 Monate alter verbaler Ausrutscher, mit dem man(n) mal so nebenbei Kritiker des Bürgermeisters als „Handvoll Idioten“ abqualifizierte, bleibt auch dann noch ungenießbar, wenn er mit frischen Erläuterungen nachgewürzt wird.

Er sei von der Resonanz „einfach überwältigt“ ließ sich Geisenfelds Rathauschef in der örtlichen Zeitung zitieren. Gemeint waren nicht die in der Stadt zu beobachtenden Faschingsvorbereitungen, sondern die Zahl der von ihm eingeladenen rund hundert Geburtstagsgäste die er im Rathaussaal begrüßte. Waren am 13. Februar 2010 offensichtlich alle Geladenen zu seinem 60. Geburtstag auch erschienen.

Neben den üblichen Grußworten, Lobhudeleien und anderweitig die Realität ausblendenden Schmeicheleien tat sich besonders ein Stadtratskollege und langjähriger Freund des Bürgermeisters mit seinen Glückwünschen hervor. Wer so wie du bei zentralen kommunalpolitischen Zielen die große Mehrheit der Geisenfelder Bevölkerung hinter sich weiß„, verpackte Günter Böhm eine schwache Vermutung in eine von ihm gewohnte Art des Wissens, „der hat es nicht nötig, sich von einer Handvoll Idioten verrückt machen zu lassen„. (Zitat aus GZ, 15.Feb.2010)

Wen meinte Böhm mit „Idioten“, waren welche im Raum, saßen eventuell welche im Stadtrat und vor allem: An welchem Thema machte Böhm den Geisteszustand dieser nicht näher bezeichneten Gruppe fest? Weitergehende Erklärung Fehlanzeige!

Jedoch fühlten sich durch diese „Behauptungen ins Blaue hinein“ nicht wenige angesprochen. Besonders Geisenfelder Umgehungsstraßengegner sahen sich durch dieses „Idioten“-Zitat verunglimpft.

Gab es doch in den zurückliegenden Tagen vor Bürgermeister Staudter 60. Geburtstag nur ein beherrschendes Thema in der Stadt: Die Geisenfelder Umgehungsstraßen!

Wird es eine Nordumfahrung, eventuell in Kombination mit einer Südumfahrung oder keine der beiden Umgehungsstraßen geben?

Frei nach Christian Morgenstern, dass „nicht sein k a n n , was nicht sein d a r f.“ (aus „Die unmögliche Tatsache„) versuchte der Rathauschef den Eindruck zu vermitteln, Gegner gäbe es keine und alle in der Stadt seien für die Nordumfahrung. (Wobei er -je nach Jahreszeit- nur bei gleichzeitigen oder auch ohne gleichzeitigen Bau der Südumgehung dafür war)

Doch dieser kolportierte Eindruck lag weit abseits der reellen Wahrnehmung der Geisenfelder Bürger. Nur hatten diese Bürger bis Januar 2010 auch keine zweite Informations- oder Meinungsplattform in der Gemeinde. Sie waren gänzlich auf die Berichterstattung und Sichtweise der örtlichen Zeitung, und der darin oftmals ungeprüft abgedruckten städtischen Einflüsterungen angewiesen.

Das sollte sich am 1. Januar 2010 schlagartig ändern! Plötzlich fand man eine neue Plattform im Internet, die sich vorwiegend mit Geisenfeld, dort agierenden Lokalpolitikern und anderen Aktualitäten beschäftigt. Die Berichterstattung auf „Bürgersicht.de“ hatte begonnen. Wie sich an Zugriffszahlen und Kommentaren schnell zeigte, zur Freude vieler, aber natürlich nicht aller!

Besonders Geisenfelds Bürgermeister war überrascht. Verlor er doch schlagartig die „Deutungshoheit“ über die von ihm favorisierten Themen und sah sich dabei einer kritischen Betrachtung seiner Amtsführung und seines Stils ausgesetzt. Für einen Autokraten eine „Majestätsbeleidigung“.

Hatte er sich doch im Dezember 2009, vor einer Stadtratssitzung händeschüttelnd bei einem einsam als Zuschauer im Rathaussaal sitzenden Bürger bedankt. Er, der Bürgermeister habe diesen Bürger nun schon bei mehreren Stadtratssitzungen gesehen, und nun wolle er sich bei ihm „für das kommunalpolitische Interesse“ bedanken. Wenig später schaltete genau dieser Bürger die neue Internetplattform „Bürgersicht“ frei.

Dort konnte man nun in schöner Regelmäßigkeit unter anderem von Stadtratssitzungen, bisher nicht gekannten Umgehungsstraßenaktivitäten und weiteren Besonderheiten im Umgang mit den Geisenfelder Bürgern lesen. Die Welt der Geisenfelder Verwaltung war damit aus den Fugen geraten. Dort, wo die bisher gewohnte Berichterstattung endete, fing „Bürgersicht“ erst richtig an. Die Geisenfelder bekamen ein besseres Gefühl dafür, was in ihrer Stadt so lief.

Als Stadtrat Böhm seinen „Idioten“-Spruch losließ, gab der erste Stadtrat sein „Nein“ zur Umgehungsstraße zu Protokoll, es gab unter großer Bürgerbeteiligung erste -privat initiierte- Informationsveranstaltungen zur Umgehungsstraße und eine erste Petition von Grundstückseigentümern lag dazu im Bayerischen Landtag. Aus einer angeblich nicht vorhandenen Zahl wurde in kürzester Zeit eine nicht mehr zu übersehende Menge von Umgehungsstraßenkritikern.

Wer war nun gemeint mit der „Handvoll Idioten“?

Im Artikel „Idioten, Niederschriften und Verbote“ vom 17. März 2010 findet sich hier auf „Bürgersicht“ folgende Textpassage:

“Sie können sicher sein, mit der “Handvoll Idioten” sind nicht die Grundstückseigentümer gemeint”. Mit dieser Bemerkung versuchte Geisenfelds Bürgermeister Christian Staudter auf seiner ersten Bürgerversammlung (4. März 2010) einen, auf Umgehungsstraßengegner gemünzten verbalen Ausrutscher seines Freundes und Fraktionssprechers der Rathaus-USB Günter Böhm zu relativieren. Ob bewusst oder unbewusst, mit dieser nüchternen Präzisierung umriss der aus seinem früheren Broterwerb auch in der “richtigen Formulierung von Meinungen” bewanderte Berufsschullehrer den verbleibenden Kreis der “Idioten” sehr deutlich: Bürgerinnen und Bürger Geisenfelds.

Hatte man also im März 2010 vom Bürgermeister persönlich diese Erklärung erhalten, so gab es ein Jahr später erneut eine, diesmal anders lautende Erklärung. Der Bürgermeister verlas nun auf der Bürgerversammlung vom 4. April 2011 in Nötting, eine von Böhm selbst verfasste Erklärung.

Inhalt: Der „Idioten“-Ausspruch beziehe sich auf „Macher“ einer Kampagne im Internet, die aus „persönlichen Rachemotiven“ den Bürgermeister und seine Familie „diffamieren“ wollen. Erläuternd „ereiferte sich Staudter„, so die Heimatzeitung vom 7. April, bei dem „Idioten“-Spruch gehe es nicht um Menschen, die um ihre Rechte kämpfen, sondern um „anonyme Angriffe unter der Gürtellinie„, wobei alles schlecht gemacht würde „was Bürgermeister, Verwaltung oder ehrenamtliche Helfer auf die Beine stellen„.

Zumindest ist Geisenfelds Bürgermeister nicht mehr mit Blindheit gegenüber Gegnern der Umgehungsstraße geschlagen. Er sieht sie nun zumindest. Was die neuerliche Erklärung und die ergänzenden Einlassungen des Bürgermeisters dazu anbelangt, kann man über die Gründe nur spekulieren.

Geht hier die Angst um? Die Angst davor, doch zu vielen auf die Zehen getreten zu sein?

Statt konkret Bürger zu beleidigen, doch lieber einen Schritt zurück, und ohne Beweisführung anonyme „Macher einer Kampagne im Internet“ beleidigen?

Warum traut man sich nicht, Ross und Reiter zu benennen? Sollte man bei dieser erneuten Erklärung die Internet Plattform „Bürgersicht“ im Blick gehabt haben, so würden das die „Macher“ und sicher auch die Leser von Bürgersicht gerne erfahren.

Doch die in der Erklärung enthaltenen Vorwürfe könnten eigentlich mit „Bürgersicht“ nichts zu tun haben.

Bürgersicht“ ist weder anonym noch handelt es sich dabei um eine Kampagne. Auf dieser Seite findet sich kein einziger Artikel, dem man auch nur ansatzweise nachsagen könnte, er sei aus „persönlichen Rachegefühlen“ geschrieben worden. (An wem wollte man sich rächen?Am Bürgermeister? Warum?) Die restlichen Vorwürfe, sofern sie gegen „Bürgersicht“ gerichtet wären, sind so abstrus, das selbst oberflächliche Leser sie nicht erheben würden.

Was bleibt nun vom „Idioten“-Spruch eines Geburtstagsgratulanten?

Die feige Haltung eines Sprücheklopfers, der es am Ende „so“ nicht gemeint haben will!

Würden er oder der Bürgermeister demnächst Ross und Reiter nennen, also in ihrer Beschuldigung konkreter werden, könnte man die Dinge ja substanziell und objektiv klären lassen!

Für fast alles gibt es in der deutschen Rechtsprechung Paragrafen. Nur nicht für Feigheit!

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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