Waffenlieferungen – Die Schreie nach mehr

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Es begann mit Stahlhelmen ……..

Statt meiner sonst üblichen schriftlichen Einführung zu einem von einer anderen Website übernommenen Text, schien es mir diesmal ausreichend, dem Text von Jens Berger nur ein Video von Anton Hofreiter voran zu stellen. Dieses Video stellt Hofreiters Aussagen aus dem Jahr 2014 seinen im Jahr 2024 gemachten gegenüber. Das er heute zu Waffenlieferungen in die Ukraine eine aggressive, diametral entgegengesetzte Ansicht gegenüber seiner vor 10 Jahren noch zurückhaltenden Sichtweise vertritt, zeigt exemplarisch an nur einer Person, wie sich die von Jens Berger nachfolgend in verschiedenen Phasen beschriebenen Eskalationsschritte von Zurückhaltung zu Extrempositionen wandelten.

Von Jens Berger

Vor etwas mehr als zwei Jahren überschritten russische Truppen die Grenze der Ukraine. Seit dieser Zeit wird Deutschland durch Waffenlieferungen immer tiefer in diesen Krieg gezogen. Was vor kurzem noch als undenkbar galt, ist heute politisch-medialer Konsens. Zuerst ging es generell um Waffenlieferungen, dann folgten die Debatten über schwere Waffen, über Kampfpanzer und nun über Marschflugkörper. Wer hätte vor zwei Jahren ernsthaft gedacht, dass Deutschland der Ukraine womöglich Marschflugkörper liefert, mit denen der Kreml erreichbar ist? Die Öffentlichkeit wurde Stück für Stück an diese Eskalation herangeführt. Der Debattenraum hat sich immer weiter verschoben und heute sind ehemalige Extrempositionen mehrheitsfähig.

Phase 1: Die alten Grundsätze werden attackiert

Für die Ausfuhr von Kriegswaffen galten in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt die Grundsätze, die 1971 von der sozialliberalen Koalition aufgestellt wurden. Diese Grundsätze besagten, dass Deutschland grundsätzlich keine Waffen in Krisen- oder gar Kriegsgebiete liefert. Mit wenigen Ausnahmen – z.B. Saudi-Arabien – wurden diese Grundsätze auch bis zur „Zeitenwende“ eingehalten. Dass die Ukraine spätestens seit den Vorkommnissen auf dem Maidan und dem darauffolgenden Bürgerkrieg in der Ostukraine ein solches Krisengebiet war, stand für die Ampel-Regierung genauso außer Frage wie zuvor für die Regierungen unter Kanzlerin Merkel. Waffenlieferungen an die Ukraine wurden noch im Januar 2022 sowohl von der SPD als auch den Grünen einhellig abgelehnt.

Diese Position war bereits vor der russischen Invasion am 24. Februar 2022 unter Beschuss. Immer gern zitiert wurde in diesen Tagen der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk. Seine Forderungen entsprachen damals nahezu eins zu eins der Blattlinie vieler großer deutscher Medien wie des SPIEGEL. Vor allem die SPD stand damals im Kreuzfeuer der medialen Kritik. So warf beispielsweise SPIEGEL-Auslandschef Mathieu von Rohr der SPD im Januar 2022 vor, sie habe „ein Russland-Problem“, und forderte Waffenlieferungen in die Ukraine. Offiziell ging es damals – vor der Invasion – vor allem um „deutsche Kriegsschiffe und Luftabwehrsysteme“.

In der Bundespolitik kam es bereits damals zu den ersten Rissen. CDU-Chef Merz forderte bereits 2021 die Lieferung von „Defensivwaffen“ in die Ukraine, bezeichnete dies jedoch auch als Ultima Ratio. Sein Parteifreund Roderich Kiesewetter präzisierte das damals – Deutschland solle, so Kiesewetter, „Panzerabwehrtechnologie“ und „Flugabwehrraketen“ liefern und nannte die ablehnende Haltung der Ampel „ein verheerendes Signal“. Innerhalb der Ampel war es niemand anderes als Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, die als eine der ersten Politikerinnen bereits vor der Invasion die Lieferungen von (damals noch) „Defensivwaffen“ in die Ukraine forderte. Die Ampel gab dem medialen und politischen Druck Ende Januar 2022 zum Teil nach und versprach der Ukraine 5.000 Helme – laut der damaligen Verteidigungsministerin Lambrecht sei dies ein „ganz deutliches Signal“.

Der damalige Debattenraum innerhalb der Politik reichte von Ablehnung jeglicher Waffenlieferungen (z.B. Trittin, Stegner) bis zur Forderung der Lieferungen „defensiver Waffen“ (z.B. Merz, Strack-Zimmermann). In den Medien waren die Tauben, also die Gegner von Waffenlieferungen, nahezu unsichtbar, hier dominierten klar die Falken. Der Debattenraum hatte sich bereits nach rechts verschoben, wobei damals „defensive Waffen“ die Leitplanke dieses Debattenraums waren. Das sollte sich bald ändern.

Phase 2 – Zeitenwende und die Debatte um „schwere Waffen“

Nach dem 24. Februar verschob sich der Debattenraum deutlich. In seiner Zeitenwende-Rede verkündete Kanzler Scholz eine Zäsur der deutschen Außenpolitik. Auch in puncto Waffenlieferungen an die Ukraine stellte die Invasion Russlands eine Zäsur statt. Die alten Grundsätze von 1971 waren plötzlich ohne Debatte vom Tisch. Dass Deutschland der Ukraine Waffen liefert, wurde nun weder hinterfragt noch kritisiert. Welche Waffen geliefert werden dürfen und sollen, war nun Gegenstand der Debatte.

Bereits am Tag der Invasion gab der SPIEGEL den Kurs vor und erklärte in einem Leitartikel, warum Deutschland jetzt doch Waffen liefern sollte. Dabei war sich der SPIEGEL damals sicher, dass diese Waffen „wahrscheinlich“ keinen Unterschied machen würden, da „Putins Riesenheer wohl nicht lange brauchen wird, um die Ukraine zu unterwerfen“. Man müsse jedoch „ein Signal senden“ und „Defensivwaffen“ liefern. Die Politik folgte und lieferte zwei Tage später Panzerabwehrwaffen und Boden-Luft-Raketen aus Bundeswehrbeständen. Dass es dabei nicht bleiben würde, war wohl allen Beteiligten klar.

In den ersten Wochen nach der Invasion lieferte Deutschland bereits Waffen im Wert von 37 Millionen Euro – vor allem Flugabwehrraketen, Panzerfäuste, Maschinengewehre und Minen.

Anfang März lag dann die Wunschliste der Ukraine auf dem Tisch und es ging dabei keinesfalls „nur“ um Defensivwaffen, sondern auch um Kampfpanzer, Panzerhaubitzen, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe. Der SPIEGEL kommentierte diese Liste mit dem lapidaren Satz, „die Lieferung von Panzern oder anderen schweren Waffen scheint derzeit allein wegen des laufenden Kriegs in der Ukraine ausgeschlossen“. Doch auch dabei sollte es nicht bleiben. Eine Woche später deutete der ukrainische Botschafter Melnyk erst einmal flugs Panzer „angesichts des russischen Angriffskriegs“ zu „Verteidigungswaffen“ um und Medien und Politik eröffneten daraufhin die Debatte, ob Deutschland auch „schwere Waffen“ liefern sollte.

CDU-Chef Merz war von Anfang an klar dafür und forderte die Lieferung von Panzern. Und auch die Medien sprangen sehr schnell auf diesen Zug, machten im Schützenpanzer Marder den ersten „Game Changer“ aus und eröffneten im April 2022 die „Marder-Debatte“.

Wer gegen die Lieferung schwerer Waffen war, galt nun – so der SPIEGEL-Falke Sascha Lobo wörtlich – als Lumpen-Pazifist. Es wurde ausgegrenzt und der Debattenraum wurde abermals nach rechts verschoben – auch innerhalb der Regierung. Nun plädierte auch Außenministerin Baerbock erstmals für schwere Waffen und innerhalb der Ampel formierte sich mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Grüne) und Michael Roth (SPD) eine Falkenriege, die mit jeder ihrer Maximalforderungen in den Medien stets Gehör fand.

Kanzler Scholz lehnte in diesen Wochen im April 2022 die direkte Lieferung schwerer Waffen noch ab. Eine erste Rote Linie, die jedoch unter dem Druck von Medien, Koalitionspartnern, Opposition und nicht zuletzt dem Druck der USA schnell überschritten wurde. Die Bundesregierung ermöglichte anderen europäischen Staaten nun über das sogenannte Ringtauschprogramm die Lieferung von älteren Panzern sowjetischer Bauart in die Ukraine.

Damit war die Debatte über „schwere Waffen“ freilich nicht beendet – im Gegenteil, die Falken rochen nun Morgenluft und der Druck auf Olaf Scholz nahm abermals zu. Binnen weniger Tage stimmte die Regierung der Lieferung des Flugabwehrpanzers Gepard und der Panzerhaubitze 2000 zu. Wenige Tage später stimmte auch der Bundestag der Lieferung schwerer Waffen mit überwältigender Mehrheit zu – nur AfD und Linke stimmten dagegen. Das Tabu, keine schweren Waffen zu liefern, war nun gefallen, die erste von Olaf Scholz gezeichnete Rote Linie überschritten.

Der Debattenraum hatte sich im April 2022 abermals verschoben. Was vor gerade einmal zwei Monaten noch Mehrheitsposition und offizielle Regierungslinie war, galt jetzt als „Lumpenpazifismus“ und stand außerhalb des medialen Debattenraums. Ultra-Positionen, wie die Forderung nach Panzerlieferungen, die selbst nach der Invasion auf der anderen Seite noch außerhalb des Debattenraums standen, rutschten nun nicht nur in den Debattenraum hinein, sondern waren plötzlich zumindest in den Medien und der Politik die Mehrheitsmeinung. Der Vollständigkeit halber sei jedoch erwähnt, dass es in den Reihen der SPD und sogar der Grünen durchaus noch einzelne Kritiker an der Lieferung schwerer Waffen gab – sie wurden jedoch medial kaum wahrgenommen und konnten die Debatte so auch nicht sonderlich beeinflussen.

Phase 3 – Das Ringen um Kampfpanzer

Es folgten auf Wunsch der USA mit dem Mehrfachraketenwerfer Mars II und dem Flugabwehrsystem Iris-T erstmals moderne westliche Waffensysteme. Bis Anfang Juni 2022 hatte Deutschland bereits ein stattliches Arsenal an Waffen und Munition in die Ukraine geliefert – darunter mehr als 16 Millionen Schuss Munition, hunderttausende Granaten und tausende Minen. Doch auch auf ukrainischer Seite verschoben sich nun abermals die Forderungen – kaum waren die „schweren Waffen“ geliefert, forderte man auch Kampfpanzer und westliche Kampfflugzeuge; zumindest bei den Kampfflugzeugen war Deutschland jedoch aus dem Schneider, da die Luftwaffe keine Kampfflugzeuge besitzt, die dem Anforderungsprofil der Ukrainer entsprachen. Anders sah es bei den Kampfpanzern aus. Die waren im Sommer 2022 für Kanzler Scholz jedoch „ausgeschlossen“ – eine klare Rote Linie.

Abermals drehte die mediale Debatte auf. Der Historiker Herfried Münkler und der Lobbyist Ralf Fücks sprachen von einem „Unterwerfungspazifismus“ und es verging keine Woche, in der Medien wie der SPIEGEL Olaf Scholz nicht als „Bremser“, „Zauderer“ oder ähnliches kleinmachten und lautstark forderten, er solle den Weg für Panzerlieferungen freimachen. Hand in Hand spielten die Medien dabei mit den üblichen Verdächtigen aus den Reihen der Ampel (Strack-Zimmermann, Hofreiter, Roth u.a.) und der CDU, die einen Antrag zur Lieferung von Panzern in den Bundestag einbringen wollte. Neben den Grünen war nun auch die FDP offen für direkte Panzerlieferungen. Ampel-Politiker verfassten im SPIEGEL Appelle für Panzerlieferungen. Innerhalb der Ampel nahm der Druck auf Scholz weiter zu. Auch SPIEGEL-Falke Sascha Lobo schoss nun direkt auf die SPD und machte das Überleben des Westens von der Frage abhängig, ob die SPD Grünes Licht für Panzerlieferungen in die Ukraine gibt.

Als auch Annalena Baerbock Scholz immer massiver „in der Panzerfrage“ unter Druck setzte, ging der erstmals auf direkten Konfrontationskurs zur USA und machte deutsche Panzerlieferungen („Es darf keine deutschen Alleingänge geben“) davon abhängig, ob die USA auch Kampfpanzer lieferten. Das taten sie – wenn auch gegen den Widerstand der republikanischen Opposition – nach längerer Wartezeit dann auch und nun war eine weitere Rote Linie überschritten. Scholz gab Grünes Licht für die Lieferung von Kampfpanzern und wurde dafür von den Medien erstmals seit langer Zeit bejubelt. Aber nur für kurze Zeit – kaum waren die ersten Leopard-2-Panzer auf dem Weg in die Ukraine, kamen die nächsten – damals noch vagen – Forderungen, mehr Waffen zu liefern.

Der Debattenraum hatte sich abermals verschoben. Nun waren alle Schleusen offen und es war – zunächst einmal – nicht die Politik, sondern die vergeigte Sommeroffensive der Ukraine, die den Falken zu schaffen machte. Schon bald stellte sich nämlich heraus, dass auch der moderne Kampfpanzer Leopard 2, von dem Deutschland 18 Stück in die Ukraine schickte, kein „Game Changer“ sein wird. In den ersten Wochen der Sommeroffensive zerstörten die Russen ein Dutzend dieser „Wunderwaffen und Stand heute sind Schätzungen zufolge ohnehin nur rund eine Handvoll Panzer deutscher Bauart im aktiven Einsatz –, der Großteil im Rahmen der „Panzerkoalition“ aus ganz Europa gelieferten 80 Leoparden ist mittlerweile entweder von den Russen zerstört worden oder steht defekt oder beschädigt ohne verfügbare Ersatzteile in den NATO-Werkstätten in Litauen und Polen.

Phase 4 – Nun soll es der Taurus richten

Nach der gescheiterten Sommeroffensive ist die ukrainische Armee im Rückzug und selbst die Falken glauben offenbar nicht mehr so recht an ihren Endsieg über Putin. Da die allermeisten ukrainischen Waffenforderungen mittlerweile ohnehin erfüllt wurden, hat sich auch die Wunschliste gelichtet oder besser gesagt von Deutschland in Richtung USA verschoben. Noch in diesem Jahr sollen die von den USA versprochenen F-16-Kampfjets der neue „Game Changer“ werden – das sehen jedoch viele Experten anders.

In Deutschland wird jedoch nicht über Kampfjets, sondern über die Lieferung von Marschflugkörpern vom Typ Taurus debattiert. Die stellen zurzeit die aktuelle Rote Linie für Kanzler Scholz dar. Dass der Taurus ein „Game Changer“ sein könnte, glaubt indes noch nicht einmal das deutsche Militär. Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz sagte dazu in einem abgehörten Gespräch mit drei Kollegen lapidar …

„Das ist natürlich, dass es klar sein muss, das wird nicht den Krieg ändern. Dafür haben wir gar nicht… Wir würden ja auch nicht alle, wir wollen wir ja auch nicht abgeben, und nicht alle sind bei uns auch gleich. Das muss ich euch nicht sagen. Also, man könnte sagen, 50 in der ersten Tranche, und wenn sie uns dann nochmal würgen würden, für die nächsten 50, und da wär‘ aber auch Ende Gelände. So, das ist völlig klar.“

Eine Wunderwaffe, von der klar sein muss, dass sie den Krieg nicht ändert? Da wundert es, mit welcher Vehemenz Medien und Politik sich für die Lieferung des Taurus stark machen. Die Frontlinien in der Debatte sind die alten. Bereits im August 2023 waren es die CDU und zunächst einzelne Ampel-Politiker (Strack-Zimmermann, Hofreiter, Roth u.a.), die sich lautstark für Taurus-Lieferungen einsetzten. Es folgten die Medien und die schrieben dann über den „politischen Druck“, den sie selbst aufgebaut hatten und der eher ein „medialer Druck“ war. Zunächst beugten sich die Grünen und dann die FDP diesem „medial-politischen Druck“ und heute steht Olaf Scholz, wie damals in der Panzer-Debatte, in den Medien als „Zögerer“, „Bremser“ und „Zauderer“ dar.

Wie lange wird es dauern, bis er die nächste Rote Linie überschreitet? Und wie weit wird sich der Debattenraum dann verschieben? Wenn die Lieferung von Marschflugkörpern Mehrheitsposition ist, was wird dann die neue Ultra-Position sein, die man in den Debattenraum hineinzieht? Bodentruppen? Auch die werden ja von Olaf Scholz als Rote Linie bezeichnet. Bislang wurde jede Rote Linie überschritten. Man kann nur hoffen, dass der Krieg nicht so lange dauert, dass auch die letzten Roten Linien überschritten werden können. Und man kann hoffen, dass Olaf Scholz diesmal durchhält und sich dem Druck nicht schon wieder beugt.

Über nonbescher

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