„Da muss doch jemand etwas tun?“
Mancher war dabei, und viele haben es zumindest aus den Medien erfahren: Da steht eine Menge Menschen herum und schaut untätig zu, wie ein Verbrechen geschieht, oder sich gerade ein Unfall ereignete. Da wird ein Kind im Park mit einem Messer attackiert, oder fällt in einen See und wird erkennbar darin ertrinken oder von offensichtlich Fremden in der S-Bahn geschlagen und getreten.
All dies geschieht also nicht ohne Zuschauer. Nein, es geschieht im Beisein von zumindest einigen Menschen.
Unter diesen Menschen befindet sich hin und wieder sogar einer, der nicht sich, jedoch die Dabeistehenden in der Pflicht sieht, indem er sich an die Umstehenden wendet und bemerkt, dass „jemand doch jetzt etwas tun müsste“. Das er dieser Jemand sein könnte, immerhin hat er die Situation ja artikulierend erkannt, käme ihm nicht in den Sinn. Diese Erbärmlichkeit findet man später in Protokollen aus Gerichtsverhandlungen, in denen wegen unterlassener Hilfeleistung verhandelt wird. „Warum haben sie nicht geholfen“ fragt der Richter. „Aber ich habe doch zur Hilfe aufgefordert. Doch niemand hat geholfen“ verteidigt sich der Gaffer.
„Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen„, beklagte sich der Bundeskanzler nach den Messermorden in Aschaffenburg. Und „es reicht nicht zu reden“.
Wenn man genau hinhört, hört man ein „da muss jemand doch etwas tun“ mitschwingen. Doch auch der Kanzler lässt in dieser „Ich bin es leid“-Aussage erkennen, das dass, was ihn da belastet, von „jemand“, aber nicht von ihm ausgeräumt werden wird.
Dabei wäre es gerade für ihn, dem Mann mit der Regierungsverantwortung so einfach, „solche Gewalttaten“, oder wie CDU-Merz es ausdrückt, die „neue Qualität einer völlig enthemmten Brutalität in Deutschland“ einzudämmen. Es liegt in seiner Hand, das für jeden Bürger ersichtliche Staatsversagen bei der inneren Sicherheit zu beenden. Nach den Taten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg reicht es nicht Betroffenheit auszudrücken oder den „Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl und Einwanderungspolitik“ (Merz) beklagen zu lassen.
Was würde wohl aus „als Gesellschaft müssen wir zusammenstehen und dürfen uns nicht spalten lassen“, wenn bei Messerattacken wie der in Aschaffenburg nicht nur ein hilfswilliger Passant ums Leben kommt, sondern sich plötzlich mehr Menschen finden, die bei derartigen Vorfällen nicht auf „jemanden“ warten, sondern im Rahmen des Strafgesetzbuches (StGB) § 32/Ziffer 2 als „Nothelfer“ ums Leben kommen. (Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden).
Da wir uns ja „nicht spalten lassen“ und nicht nur „zusammenstehen“, sondern auch „füreinander einstehen“ wollen, gäbe es womöglich wegen juristisch gerechtfertigter Notwehrhandlungen zur Verteidigung Dritter, in Parks und auf den Straßen Deutschlands plötzlich noch mehr Tote?
Unterlassene Hilfeleistung bekäme dann eine politische Dimension und die Floskel „mein Mitgefühl ist bei den Opfern und ihren Angehörigen“ würde plötzlich auch für geschasstes Politpersonal gelten.