Asyl im Landkreis Pfaffenhofen – Erst sterben dann impfen

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Der Fall Ahmed G. und der fahrlässige Umgang mit Infektionsgefahren für Geisenfelder Asylbetreuer

Um die Ehrenamtlichen nicht zu verlieren, will der Landkreis Pfaffenhofen am 11. April mit einem Befreiungsschlag die 700 Freiwilligen in der Flüchtlingsbetreuung durch ein kostenloses Impfangebot besser vor ansteckenden Krankheiten schützen. Eine Reaktion auf Begleitumstände eines an Hepatitis B verstorbenen Nigerianers aus einer Geisenfelder Flüchtlingsunterkunft. Umstände, die wegen einer nicht veröffentlichten Todesanzeige erst öffentlich wurden.

Wir schaffen das“. Lange, viel zu lange stand dieser Satz für den von deutschem Regierungshandeln vorgegebenen Sonderweg Flüchtlinge aufzunehmen. In dem Maß, in dem die „moralische Selbstbesoffenheit“ (Soziologe Wolfgang Streek in „London Review of Books“) in den abseits institutioneller Strukturen wirkenden Asylhelferkreisen peu à peu abebbte und eine desillusionierende, der täglichen Praxis angemessenere Betrachtungsweise Bedeutung gewann, in dem Maß wurden Diskrepanzen zwischen politisch formulierten Wünschen und gelebter Wirklichkeit sichtbar:

Der Staat schafft es nicht.

Was der Staat schafft, sind Probleme! Anachronismus im Umgang mit moderner Datenverwaltung, überholten bürokratischen Vorgaben und dem Trugschluss, trotz sichtbarer Überforderung werde sich durch probleminduziertes Nachjustieren monatelang vernachlässigter Aufgabenstellungen schon alles irgendwie richten.

Bis heute hinken Staat und sein für die Problemlösung hauptamtlich zuständiges Personal in vielen Belangen lösungsorientierter Flüchtlingspolitik den Erfordernissen hinterher.

Hochansteckend aber nicht bekannt.

Exemplarisch für diese Unzulänglichkeiten kann der Fall des im Landkreis Pfaffenhofen in der Asylunterkunft auf dem Gelände der ehemaligen Patriot-Stellung in Geisenfeld untergebrachten, und am 9. Februar im Klinikum Ingolstadt verstorbenen, mit Hepatitis B infizierten 40-Jährigen nigerianischen Asylbewerbers Ahmed G. benannt werden.

Ein Todesfall, der erst publik wurde, nachdem eine den Asylbewerber über mehrere Monate im Helferkreis betreuende Geisenfelderin ihre in diesem Zusammenhang verstörenden Erfahrungen mit dem Pfaffenhofener Gesundheitsamt und der Heimatzeitung einer Reporterin des Bayerischen Rundfunks (BR) schilderte.

Systemfehler nicht auszuschließen

Von der Redakteurin des Bayerischen Rundfunk zu den Umständen des Falles und einer möglichen Ansteckungsgefahr für Mitbewohner und Flüchtlingshelfer befragt, räumte Pfaffenhofens Landrat Martin Wolf ein, er „schließe nicht aus, dass wir hier einen Systemfehler haben, den wir beheben müssen.

Ein Fehler im System, dessen Auswirkung Asylbewerber wie Asylhelfer gesundheitlichen Risiken jenseits jedweder staatlichen Fürsorgepflicht aussetzte?

Fehler im staatlichen System, oberflächliches oder aber glattes Fehlverhalten vor Ort in Pfaffenhofen? Kein noch so kleines Mea culpa, kein noch so klitzekleines Bekenntnis zu „wir hätten auch umsichtiger reagieren, zum Beispiel nachfragen können“ aus dem Pfaffenhofener Gesundheitsamt.

Verständnis- oder Verständigungsprobleme ?

Denn im Gesundheitsamt Pfaffenhofen wolle man nichts gewusst haben von einer im Telefonat von der Asylhelferin nach eigenen Angaben angesprochenen stark erhöhten Virenzahl und der damit akuter werdenden Ansteckungsgefahr für das Umfeld des Asylbewerbers. Selbst die -cronische- Hepatitis-B Erkrankung des Asylbewerbers sei wegen fehlender Unterlagen bis zum Anruf der Asylhelferin im Gesundheitsamt Pfaffenhofen nicht bekannt gewesen.

Eine Aussage, über die sich der Pressesprecher des Krankenhauses, in dem Ahmed G. nach insgesamt 3 maliger Behandlung Anfang Februar verstarb, wunderte. Der Verstorbene sei auf dem Weg nach Deutschland bereits in Italien wegen dieser Krankheit behandelt und Anfang 2015, vor seiner Weiterleitung in die Geisenfelder Asylunterkunft im April bei seiner Aufnahme vom Gesundheitsamt München erneut untersucht worden.

(Wie das bayerische Gesundheitsministerium Anfang März 2016 mitteilte, wurden die Ahmed G. betreffenden Unterlagen vom Münchner Gesundheitsamt nicht „vorschriftsmäßig“ weitergegeben)

Es sei „normal“, ließ sich die Leiterin des Gesundheitsamtes zitieren, dass derlei Informationen nicht bis nach Pfaffenhofen gelangen.
Warum nicht wir, warum die anderen?

Einlassungen, die man kurz nach der BR-Veröffentlichung und dem darauf folgenden bundesweiten Medienecho in der dem Fall hinterherrecherchierenden örtlichen Zeitung lesen konnte. Die für diese Regionalausgabe schreibende Fachkraft veröffentlichte als erstes die Statements von Personen aus dem Gesundheitsamt, dem Krankenhaus und dem Landratsamt. Aber kein Wort von der Asylhelferin die den Fall in die Öffentlichkeit brachte, die genauen Umstände kannte und ohne deren Ausführungen der Artikel in großen Teilen spekulativ bleiben musste. Das Ergebnis war dementsprechend.

Als die für die Heimatzeitung recherchierende Fachkraft für einen weiteren Artikel auch endlich die Helferin zur Causa Ahmed G. befragte, willigte diese nur ein, wenn in dem darauf folgenden Artikel einiges richtig gestellt werde. In dem Gespräch gab es auch die Antwort auf die Frage der schreibenden Fachkraft, warum die Helferin denn nicht die Heimatzeitung, sondern stattdessen den Bayerischen Rundfunk zuerst über den Fall informiert habe.

Eine Todesanzeige die nie veröffentlicht wurde

Ganz einfach. Die Geisenfelder Asylhelferin war erbost über das Verhalten der Zeitung, die ihr die Veröffentlichung einer Todesanzeige für den verstorbenen Ahmed G. ablehnte. (Muster siehe Titelbild)

Dazu das Gefühl, in einer altruistischen Helfersituation unerkannten Gefährdungssituationen ausgesetzt zu sein, ein für viele Personen vorhandenes Infektionspotenzial zu einem viel zu späten Zeitpunkt bemerkt zu haben, um am Ende feststellen zu müssen: Hier will keiner Zuständig sein!

Diese als fahrlässig empfundene Auslegung staatlicher Fürsorgepflicht, die dazu im glatten Widerspruch stehenden Sonntagsreden, in denen Politiker aller Verwaltungshierarchien vor Dankbarkeit verbal vor den „Ehrenamtlichen“ auf Knien rutschen und deren für ein funktionierendes Gemeinwesen unverzichtbar gewordenes Engagement lobpreisen und schützen wollen, zeigen Widersprüchlichkeiten die wegen ihrer Tragweite überregionale Beachtung erfordern.

Ahmed G., Ehemann und Vater zweier Kinder kam aus Nigeria. Einem Land in dem viele Englisch sprechen. Auch Ahmed G.. Nur Deutsch war noch nicht sein Ding. Also zeigte er die in Deutsch verfassten Unterlagen, die er bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus am 15. Januar bekommen hatte seiner „Mama Afrika„. Der Name für die Asylhelferin aus Geisenfeld, die regelmäßig bei ihm und seinen Zimmergenossen in der Asylunterkunft vorbeischaute.

Irritiert vom Inhalt, bat „Mama“ ihn, seinen Arzt von der Schweigepflicht ihr gegenüber zu entbinden um genaueres zu seiner Erkrankung zu erfahren. Was sie jetzt erfuhr und im Arztbrief lesen konnte, machte sie fassungslos.

Ihr Schützling litt an einer bereits fortgeschrittenen, im diesem Stadium hoch ansteckenden Form von Hepatitis-B. In dieser Ausprägung sind bereits Speichel und Blut Überträger der Krankheit.

Kein Mitglied im Helferkreis war sich der Ansteckungsgefahr bewusst,
oder wusste sich über diese Gefahren von offizieller Stelle unterrichtet.

„Mama“, die noch Wochen zuvor das Blut des in diesem Krankheitsstadium nicht als ungewöhnlich geltenden Nasenbluters ohne Handschuhe und mit rissiger Haut um die Fingernägel vom Boden aufwischte, rief am 18. Januar im Gesundheitsamt an.

Auf die Schilderung der Erkrankung, die Benennung ihrer intimen Kenntnisse des Falles mit Nennung der auf höchstes Ansteckungsrisiko hinweisende sehr hohen Virenzahl und der Bitte um Intervention, reagierte man im Gesundheitsamt -so schildert es „Mama“- nicht wie von ihr erwartet mit Hilfsangeboten, einem Termin vor Ort oder einer der alarmierenden Situation irgendwie gerecht werdenden Verhaltensweise, sondern mit Hinweisen auf Datenschutz und der diffusen Aussage hinsichtlich Selbstbestimmungsrechten des Asylbewerbers.

Und ganz wichtig, mit Informationsblättern, die im Anschluss an das Telefonat in ihrem E-Mail Postfach eingingen.

Einem Informationsblatt des Landkreises und sechs Informationsblätter aus dem Ministerium für Gesundheit zum Thema Infektionsschutz und mögliche Infektionsgefährdungen. Infoblätter die bis dato im Helferkreis keiner kannte und in Anbetracht der Vorkommnisse um Ahmed G. alles andere als Hilfreich wären.

Steht da doch zum Beispiel, es bestehenur ein geringes Infektionsrisiko“ da Infektionskrankheiten durch Gesundheitsuntersuchungen „innerhalb drei Werktagen nach Ankunft des Asylbewerbers“ (§ 62 Asylverfahrensgesetz) abgeklärt werden. Diese Gesundheitsuntersuchung umfasst neben körperlicher Untersuchung, Untersuchung auf Tuberkulose auch eine „Blutuntersuchung zum Ausschluss von Hepatitis B.

Sollte trotzdem in einer Asylunterkunft „eine infektionshygienische Maßnahme notwendig werden, wird das zuständige Gesundheitsamt diese veranlassen“. (In der Zwischenzeit sollte man zur Desinfektion ein „in der Asyleinrichtung vorgehaltenes viruzid wirksames Hautantiseptikum“ verwenden)

Nur blöd, wenn man eine Gefährdung, die im Umgang mit Asylbewerbern durch die Voruntersuchungen eigentlich ausgeschlossen sein sollte, als Helfer noch gar nicht kannte!

Am 20. Januar wurde Ahmed G. erneut, diesmal von „Mama“ ins Krankenhaus eingeliefert und am 4. Februar wieder in die Asylunterkunft entlassen. Wegen des schlechten Zustands bat ein Zimmergenosse noch am selben Tag um die Verlegung Ahmed G. in ein separates Zimmer. Zwei Tage später verschlimmerte sich der Zustand Ahmed G. erneut, die von einem Zimmergenossen darüber informierte „Mama“ rief aus der Asylunterkunft den Notruf. Es folgte die erneute Einlieferung ins Krankenhaus in dem Ahmed G. drei Tage danach verstarb.

Wer in welchem Gesundheitsamt jetzt wie falsch handelte, wo sich der Fehler im System versteckt und wie unfassbar leichtfertig der Staat mit der Gesundheit seiner -unübersehbar- unverzichtbar gewordenen freiwillig helfenden Bürger andernorts noch umgehen mag, im Landkreis Pfaffenhofen reagiert man auf die durch den Fall Ahmed G. bekanntgewordenen Unzulänglichkeiten nun abseits aller staatlich Vorgaben mit Prävention.

Der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts folgend, wird das Landratsamt allen 700 in Asylunterkünften ehrenamtlich tätigen Helferinnen und Helfer eine kostenlose Impfung gegen Hepatitis A und B anbieten.

Die voraussichtlich dafür anfallenden Kosten in Höhe von 126.000 € sind gut angelegtes Geld in den Schutz der Bürger und den Erhalt bürgerlichen Engagement im Landkreis Pfaffenhofen.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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