Großmannssucht. Die Kontinuität in der deutschen Politik
Am 2. Oktober 2021, einige Tage nach der Bundestagswahl, kamen die Grünen unter dem hochtrabenden Label „Länder Rat“ zu einem kleinen Parteitag in Berlin zusammen.
Der Zweck war sich den offiziellen Auftrag für Sondierungsgespräche und die Besetzung eines Sondierungsteams zu holen. (Wobei sich die beiden Parteivorsitzenden Baerbock und Habeck bereits vor diesem Parteitag zu Gesprächen mit Vertretern der FDP getroffen hatten)
„Wir sind angetreten dieses Land zu erneuern, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. In einer Verantwortung für die gesamte Welt“. Das sei nicht nur „historisch für dieses Land, sondern auch für Europa und die Welt“ so Annalena Baerbock.
Was war das?
Hybris? Größenwahn? Oder einfach nur eine Passage aus der nicht gehaltenen Rede einer Grünen Kanzlerin, die sie zwar bereits aufgeschrieben, aber in Ermangelung eines zur Kanzlerinnen-Kür nötigen Wahlergebnisses am Ende nicht halten konnte.
Es könnte aber einfach nur eine typische, mit viel Programmatik überladene Baerbock-Stanze sein. Hatten sich die ständig wiederholten Phrasen und Textbausteine aus dem Wahlkampf eventuell doch stärker bei ihr eingebrannt als es bei ihrem Mitstreiter Habeck der Fall zu sein scheint.
Obwohl Habeck zuletzt in fast jedem Interview nach der Wahl eine immer gleichlautende „Schrauben“- Metapher unterbrachte, ist er rhetorisch so versiert, sich nicht wie Baerbock an Wortgeklingel Girlanden durch Reden oder Interviews hangeln zu müssen. (Die „Schrauben-Metapher geht so: Sondierungsgespräche wären nur zielführend, wenn man sie gleich zu Beginn, vergleichbar mit Brettern, nicht mit einer schief, sondern nur mit einer gerade hineingedrehten Schraube fixieren würde)
Deutschland, der Kontinent, die Welt und doch keine „echte Veränderung“.
Mal abgesehen davon, dass Baerbock die geografische Landmasse Europa, also den Kontinent mit dem politischen Staatenbund „EU“ gleichsetzt, werden sich die neben Deutschland noch 26 Mitgliedsstaaten der EU aber freuen, das die deutschen Grünen für sie die Anstrengungen für Klimaneutralität übernehmen.
Was man in Deutschland mit dem Einstieg in den Automausstieg und dem Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 schaffen möchte, will man auch in „Europa“ und der „Welt“ vorantreiben. Was man eben so macht, wenn man in Deutschland bei einem Thema die Zuständigkeit für alle anderen erkannt hat.
Die Franzosen werden die Grünen dabei tatkräftig unterstützen. Indem sie im Gegensatz zu Deutschland, zwar zwei neue Kernkraftwerke bauen, damit aber die Klimaverbesserung vorantreiben. Auch die Polen werden -je nach Gewichtung- ihr Scherflein dazu beitragen. Wollen sie doch bis 2049 aus der Kohleförderung für ihre Kohlekraftwerke aussteigen und lieber auf Kernkraft setzen.
Noch sichtbarer wird der Größenwahn in der Baerbock Einlassung wenn man sich die Zahl der weltweit über 1.000 in Planung oder Bau befindlichen neuen Kohlekraftwerke betrachtet.
Ohne jetzt das abwehrende Alle oder Keiner- Argument der „Verantwortungsdiffusion“ zu bemühen, nachdem ja alle Länder bei Klimaschutzanstrengungen in der Verantwortung stehen würden und man sich deshalb als einzelnes Land für eine offensichtlich von allen Ländern zu erledigende Aufgabe aus der Verantwortung stehlen könnte, bleibt festzuhalten:
Klimaschutzanstrengungen sind notwendig und wichtig.
Doch bevor man sich in der Verantwortung für „das große Ganze“, also „Europa“ und der „Welt“ sehen möchte, sollte man sinnvollerweise kleinere, aber dafür machbare Brötchen in Deutschland backen.
„Europa“ hat nichts davon, wenn sich die deutschen Grünen großspurig für europäische Klimaneutralität einsetzen, das Erreichen des Ziels aber nicht mal in Deutschland hinbekommen.
Wollen wir nicht immer so tolle Vorbilder sein?
Na gut, beim Ausstieg aus der Atomkraft ist uns so recht keiner gefolgt in der EU.
Und ja, bei den „Erneuerbaren“ sind wir drauf und dran es zu versemmeln obwohl wir so furios gestartet sind.
Und jetzt? Jetzt haben wir noch nicht mal die Kette auf dem Radkranz und die Grünen schicken sich an, anderen schon wieder zu erzählen wie sie es machen sollen.
Das ist weder „historisch für dieses Land“, noch historisch „für Europa und die Welt“, wie die gescheiterte Kanzlerkandidatin Baerbock uns weismachen möchte. Im Gegenteil. Diese Anmaßung von Baerbock ist eine Kontinuität in der deutschen Historie.
Also doch keine „echte Veränderung“ in der deutschen Politik wie sie uns von den Grünen versprochen wurde.