Anachronismus oder „Göttliche Ordnung“
Versucht man die durchaus dominant zu nennende tägliche Berichterstattung über den Argentinier Jorge Mario Bergoglio abzuschütteln, immerhin verließ er am 21. April 2025 diese Welt als Papst Franziskus, reicht bloßes Schütteln nicht mehr aus.
Kommentatoren überbieten sich in ihren täglich direkt vom Petersplatz in Rom zugeschalteten Liveübertragungen mit persönlichen Einschätzungen über den nun beginnenden „Machtkampf“ der Kardinäle um die Nachfolge des Lateinamerikaners auf den „Heiligen Stuhl“.
Der katholischen Glaubenslehre zufolge also ein Machtkampf um den Posten des „Stellvertreters Jesus Christus auf Erden“. Was für ein Schauspiel!
In vermeintlicher Ehrfurcht vor Gott kämpft man mit dem selbst verkündeten Anspruch den Willen Gottes umzusetzen um die irdische Stellvertretung dieses übernatürlichen Gottes zu bekommen.
Passt gut in die Tradition der „Göttlichen Ordnung“, mit der „Kirche“ über Jahrhunderte einen weltweiten Herrschaftsanspruch erfolgreich über Völker aufrechterhalten konnte, bis im Zeitalter der Aufklärung die kirchliche Propaganda zu erodieren begann. Danach reformierte man sich ständig, versuchte z.B. Ablasshandel, Missionarskriege, Kreuzzüge oder Vertragsfälschungen vergessen zu machen und kämpft doch bis heute mit einer Häufung an Pädophilie und ekelhaftesten, nicht aufgearbeiteten sexuellen Missbrauchsfällen gegen Kinder und Jugendliche.
„So wie ich jetzt die Situationen kenne und die ganze Problematik kennengelernt habe“ meldet sich der ehemalige Abt des Klosters Marianstein (Schweiz), Pater Peter von Sury zu Wort, „hat sich die Kirche prädestiniert, als Täterorganisation aufzutreten, in der Leute, die solche Verbrechen begehen, einen idealen Rahmen vorfinden oder vorgefunden haben“.
Und doch gibt es noch Zeitgenossen, die medial euphemistische Tünche über die Organisation Kirche ausbreiten.
Als die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner am Osterwochenende in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ davon sprach, dass sich die Kirchen in Deutschland weniger zu politischen Themen äußern, und stattdessen Trost und Stabilität spenden sollten, sah man im „Handelsblatt“ in Klöckners Einlassung einen unpassenden Vorstoß und „einen Maulkorb für die Kirchen“.
In totaler Verkennung der Kirchengeschichte fragte man in einem Kommentar: „Wer, wenn nicht die Kirchen, sollte sich zu Fragen von Menschlichkeit, Flucht, Gerechtigkeit äußern?“.
Naja, könnte man jetzt anmerken, wenn es um Menschlichkeit oder Gerechtigkeit geht, sollte sich „Kirche“ wirklich zurückhalten.
Vollends aberwitzig und komplett geschichtsvergessen aber wird es, wenn man den Schluss dieses Kommentars liest: „Anders als Parteien können sie [die Kirchen] ihre Grundsätze nicht einfach anpassen, wenn der Wind sich dreht. Das christliche Menschenbild ist nicht verhandelbar“.
Der Schreiber des Kommentars, Magister in Politikwissenschaften Thomas Sigmund, leitet beim „Handelsblatt“ das Ressort Politik. Weiß der Mann den wirklich so wenig über die am Ende der vergangenen 2000 Jahre laufend angepassten Grundsätze und das nur schwerlich christlich zu nennende Menschenbild der Kirchen in dieser Zeit? Oder lebt der Mann nur im Hier und Jetzt und gehört zur Riege derjenigen Journalisten, die Geschichte, besonders Vorgeschichte als gedankliches Hindernis begreifen?
Kirche, Journalismus, Geschichte.
Über all das kann man ja mal zusammenhängend nachdenken.