Stichwahl in Geisenfeld – „Corona Hilfe“ und der Profilierungsversuch eines Rettungsassistenten.

Lesedauer 7 Minuten

Oder wie ein Redakteur der Heimatzeitung Vorgänge seiner Sichtweise anzupassen versucht

Corona macht’s möglich. Da werden plötzlich Einkaufshilfen angeboten, Einkaufswagen desinfiziert und Einmalhandschuhe verteilt. Nicht vom Staat. Nein. Von Privatpersonen. Zum Beispiel in Geisenfeld. Die Devise lautete: „Geisenfeld gegen Corona“. Ausgerufen, und das war die klitzekleine Besonderheit an der Aktion, von der örtlichen CSU und der mit ihr bei dieser Aktion kooperierenden Wählervereinigung „Freie Wähler“ (FW).

Wobei, und hier kommt eine weitere, diesmal zeitliche Besonderheit im Kampf gegen das Covid19-Virus ins Spiel, diese Corona Virus-Hilfsaktion in Geisenfeld interessanterweise mit der Stichwahl zur Bürgermeisterwahl zusammen fällt.

Eine Aktion im Sinne des Gemeinwohls war geboren und wurde von den Initiatoren, der Geisenfelder CSU, mit einer Wurfsendung an alle Geisenfelder Haushalte auch breitestmöglich kommuniziert. Flankiert von einer Videobotschaft des CSU-Stichwahl Kandidaten Andreas Aichele auf dem Facebook Account der CSU am 17. März.

Was jetzt folgte entstammt vermutlich dem Drehbuch für zu spät gekommene. Flatterte zuvor taggleich mit dem CSU-Aufruf für die Corona Hilfe ein profanes Wahlprospekt des USB Mitbewerbers um den Bürgermeisterstuhl, Paul Weber in die Haushalte („Ich bitte Sie in der Stichwahl um Ihre Stimme“) schloss sich Weber am 18. März, einen Tag nach Aicheles Videobotschaft mit der Corona Hilfe der CSU, in einer eigenen Videobotschaft auf dem Facebook-Account der USB „selbstverständlich mit meinem Team der USB sehr gerne dem Hilfsangebot der anderen Geisenfelder Gruppierung zum Wohl unserer Bürgerinnen und Bürger an“.

So weit, so gut. Eine gute Aktion aufzugreifen und diese zu unterstützen ist nicht zu kritisieren.

Zumal der Initiator dieser Hilfs Aktion, CSU-Mann Aichele, gegenüber „tv-Ingolstadt“ anmerkte, das diese Initiative zwar „von der CSU ausging. Aber es ist keine parteipolitische Veranstaltung. Jeder ist eingeladen hier zu helfen“.  Und sein Stichwahlkontrahent Paul Weber ergänzt dazu im selben Beitrag, er gehe davon aus „das man da gemeinsam das eine oder andere eindämmen könne, bei der Verbreitung des Coronaviruses (sic) in unserer Stadt“.

Am 20.03. berichtete die örtliche Zeitung  „unter der Nummer 0152-21756333 wurde eine zentrale Hotline geschaltet“. (Das war die Telefonnummer die in der CSU-Broschüre „Geisenfeld gegen Corona“ als Kontakt angegeben war. Mittlerweile hat die Stadt -es sei „notwendig die Federführung bei der Stadt zu bündeln“ so Noch-Bürgermeister Staudter, USB- die Regie bei „Geisenfeld gegen Corona“ übernommen, die Aktion in „#wirhelfenGEISENFELD“ umgewidmet und eine neue Hotline direkt ins Rathaus geschaltet. Erreichbar nur zu den üblichen Bürozeiten des Rathauses)

Doch der 20. März, bekanntlich gab der Bayerische Ministerpräsident an diesem Tag mittels einer „Allgemeinverfügung“ die ab Mitternacht geltende „Ausgangsbeschränkung“ bekannt, hatte in Geisenfeld noch mehr zu bieten.

Während der gelernte Rettungsassistent Weber, mittlerweile dürfte jeder Geisenfelder Wähler wissen, dass der Mann die „BRK-Rettungswache Geisenfeld“ leitet, auf der Facebook-Seite eben jener Rettungswache ein Bild von sich und weiteren Sanitätern (alle in fast vorbildlich zu nennendem Abstand zueinander) mit der Aufforderung „Wir bleiben für SIE da! Bleiben SIE für UNS zuhause“ posten ließ, blieb er eben nicht DA.

Ein Video, erneut auf der USB-Facebook-Seite gepostet, zeigt ihn nun -in Zivil-  in wenig Abstand zueinander haltender Gesellschaft auf dem Parkplatz eines Geisenfelder Lebensmittelmarktes.

Zusammen mit seinem USB-Vorsitzenden (jetzt neu in den Stadtrat gewählt), und einer gescheiterten USB-Stadtratskandidatin (Platz 26) und gleichzeitig stellvertretende Leiterin des Lebensmittelmarktes stand er zusammen auf dem Parkplatz eben dieses Lebensmittelmarktes und propagierte das Tragen der vermutlich von ihm mitgebrachten Einmal-Handschuhe, die in Schachteln neben ihm aufgereiht auf einer Werbefigur lagen.

Dort stand er auch einen Tag später am 21.März. Erneut in Zivil. Doch jetzt, so berichteten es zumindest Zeugen übereinstimmend, auch in Gesellschaft eines Notarztes samt Einsatzfahrzeug und einigen Sanitätern in obligatorischer Dienstkleidung. (Ob neben den Sanitätern auch ein weiteres BRK-Einsatzfahrzeug vor Ort war, konnte abschließend von „Bürgersicht“ nicht mehr einwandfrei geklärt werden)

Einer dieser Zeugen nahm das gesehene zum Anlass, tags drauf dem leitenden Redakteur in der Kreisstadtredaktion  der Heimatzeitung per E-Mail einen Leserbrief zu schreiben. Unter der Überschrift „Paul Weber geht neue Wege“ schildert er u.a. seine Beobachtung das dort auf dem Parkplatz „mehrere Personen des Sanitätspersonals in Gruppen zusammenstehend mit dem BGM-Kandidaten über eine längere Zeit Gespräche“ führten, monierte die damit verbundene Missachtung der zu diesem Zeitpunkt bereits geltenden Ausgangsbeschränkung und die seiner Meinung nach „Zweckentfremdung von Einsatzmitteln“ (Notarzteinsatzfahrzeug) zu Wahlkampfzwecken.

Einen Tag später wurde der Leserbriefschreiber nicht etwa vom leitenden Redakteur, sondern von einem Redakteur aus der Redaktion der angeschriebenen Kreisstadtredaktion per Mail darüber unterrichtet, das der für die Geisenfelder Ausgabe zuständige „Kollege den beschriebenen Vorgang für die morgige Ausgabe bereits redaktionell aufgreift“, und man deshalb von der Veröffentlichung seines Leserbriefes absieht, da dieser „dadurch bei Erscheinen bereits inhaltlich überholt wäre“.

Und so wartete der Leserbriefschreiber also auf das „redaktionelle Aufgreifen“ seines beschriebenen Vorgangs und war vom Ergebnis, also dem Artikel überrascht, aber auch wieder nicht. Hatte er doch zumindest eine Ahnung davon, welche Sichtweise sich in dem Artikel wiederfinden würde.

Unvorsichtigerweise hatte der Redakteur den zuvor von ihm mit einer internen Anmerkung an seinen leitenden Redakteur versehenen Leserbrief  in seiner Antwort an den Leserbriefschreiber gleich mit übermittelt. In dieser Anmerkung,  sie erfolgte offensichtlich nach zwischenzeitlicher Rücksprache mit dem “für Geisenfeld zuständigen Kollegen“ wurde die Urheberschaft des Leserbriefschreibers angezweifelt und aus einem bestimmten „Lager“ kommend beurteilt. (Einem „Lager“, dem der Geisenfelder Redaktions „Kollege“ im Gegensatz zu der von ihm üblicherweise redaktionell gepamperten Wählervereinigung „USB“ des Stichwahlkandidaten Weber, nicht sonderlich objektiv, sondern redaktionell besonders ablehnend  gegenüber steht)

Betrachtete der Artikel im ersten Teil beide Wahlkämpfer und ihre Strandpunkte noch objektiv, greift der Artikel unter der Extra Überschrift „Behauptungen und Tatsachen“ im abschließenden Teil  „eine in den sozialen Medien aufgetauchte Darstellung über eine angebliche „Zweckentfremdung von Einsatzmitteln für eigene egoistische Ziele“ auf. Kein Wort darüber, das dem Redakteur ein Leserbrief gleichen Wortlauts vorliegt. Mit dieser „aufgetauchten“ Darstellung wolle man „einem  unliebsamen Kandidaten schaden“ nimmt einen der Redakteur mit in die Welt seiner Verschwörungstheorien.

Jetzt bei der Stichwahl sei „so manchem offenbar jedes Mittel recht“ echauffiert sich der Redakteur. Er frage sich, was sei wirklich geschehen? Er habe nachgefragt. Aber tat dies jedoch nicht bei dem im Mittelpunkt der „aufgetauchten Darstellung“ stehenden Wahlkämpfer Weber, sondern bei einem -vom Redakteur offensichtlich recherchierten- am Samstag in Geisenfeld Notarztdienst verrichtenden Arzt.

Ja, berichtete ihm dieser Arzt, er war mit seinem Fahrzeug auf dem Parkplatz dieses Supermarktes weil er sich, „so wie jedes Mal, wenn ich in Geisenfeld Dienst habe“ zu Beginn seiner Schicht in diesem Supermarkt „eine Brotzeit“ holt. Und sich dabei mit dem ihm seit Jahren bekannten und dort auf dem Parkplatz stehenden Weber „einige Minuten lang zur aktuellen Corona-Situation ausgetauscht“ habe.

So weit, so unklar.

Frage: Wie wird aus der in den sozialen Medien „aufgetauchten“ Darstellung über „in Gruppen zusammenstehenden mehreren Personen des Sanitätspersonals“ plötzlich ein einzelner, Brotzeit holender Notarzt?

Vermutlich deshalb, weil mehr „Sanitätspersonal“ wohl auch mehr Fragen aufwerfen würde. Abstandsregel, Gruppenbildung, Ausgangsbeschränkung und am Ende dann doch Wahlkampfunterstützung?

Mit „Geisenfeld gegen Corona“ hätte dies dann allerdings nur mehr wenig zu tun. Eher schon mit „Webers neue Wege“.

Erinnert man sich an das oben verlinkte „Zusammenstehen“-Video von Weber und seinen zwei Mitstreitern* von der USB auf dem Parkplatz eines Supermarktes könnte man eher an falsche Wege denken.

Wege, die der CSU-Kandidat Aichele übrigens nicht beschreitet.

In seinem letzten Video, einen Tag nach Webers „Zusammenstehen“-Video veröffentlicht, zeigt Aichele wie man es richtig macht. An den Service desinfizierter und somit virenfreier Einkaufswägen erinnert er die Geisenfelder in seinem Video vorbildlich. Er steht ganz alleine vor der Kamera. Und hält damit nicht nur ausreichend Abstand zu Zeitgenossen, die sich zum Beispiel auch in Gruppen nicht an Regeln halten wollen, sondern befolgt bereits jetzt als Polizeibeamter die „Verfügung“ seines Dienstherrn, des Ministerpräsidenten.

Anders als sein Mitbewerber um den Bürgermeisterstuhl wäre Aichele damit derjenige, der als Bürgermeister nicht mehr umdenken müsste.

Update, Sonntag 29. März 2020

Mit 61,5 zu 38,5 konnte Paul Weber die Stichwahl vom 29.03.2000 für sich entscheiden. (Die Wahlbeteiligung der bei dieser ausschließlich -wg. Corona- durch Briefwahl durchgeführten Bürgermeisterwahl betrug  64,7 %)

Festzuhalten bleibt: Was wir derzeit in unserer Demokratie so praktizieren, es also möglich ist, das ein gelernter Bankkaufmann wie Jens Spahn Bundesgesundheitsminister, und ein gelernter Rettungsassistent wie Paul Weber Bürgermeister werden kann, dann sollten wir uns auch an anderen Stellen nicht wundern, wenn Qualifikation als völlig überbewertet erachtet wird.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

Schon gelesen?

Geisenfeld -Protest der Landwirte nimmt kein Ende

Landwirte in Oberbayern auf dem Weg zu einem Protesttreffen