Wie fühlen sich die 1-mal im Monat dort „textilfrei“ badenden Gäste jetzt?
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Für den Augsburger Richter war die Sache klar. „Das war Pornografie“ und erfülle den Tatbestand „Erregung öffentlichen Ärgernis“ was sich da am zweiten Weihnachtsfeiertag in der „Erlebnisgrotte“ eines „Erlebnisbades“ abgespielt habe. Folgerichtig wurde die Öffentlichkeit bei der Inaugenscheinnahme eines den Sachverhalt untermauern sollenden Überwachungsvideos ausgeschlossen. Öffentliches Ärgernis? Ja! Aber nach Meinung juristischer Beobachter erst, als die Aufnahmen durch „Bild“ veröffentlicht wurden! (Das Artikelbild oben von „swagger.mx“ ist ein Symbolbild, kein Original)
„Ich als Frau würde in kein Schwimmbad gehen, wo ich mich ständig unter Wasser von Bademeistern u. a. genauestens beobachtet fühlen müsste…“ bringt ein Jurist sein Unbehagen zum Ausdruck, über die vom Betreiber des Erlebnisbades auf seiner Homepage als „notwendige sicherheitstechnische Vorkehrung“ beschriebene Unterwasserüberwachung. (Und da wusste er noch nichts vom Vermerk auf der Homepage des Erlebnisbades, “ dass in Verbindung mit der langen Saunanacht -jeden 1. Freitag im Monat- ab 21:00 Uhr im gesamten Badbereich textilfrei gebadet wird“)
§ 183a StGB, „Erregung öffentlichen Ärgernisses“
Unbehagen über den Nebenaspekt eines Vorfalles, bei dem es in der Hauptsache um die Verurteilung nach § 183a StGB, „Erregung öffentlichen Ärgernis“ eines 19 und 18 Jahre alten Paares vor dem Augsburger Amtsgericht ging, das sich – nach Überzeugung des Bademeisters und des Richters- in einer von außen nicht einsehbaren „Erlebnisgrotte“ eines Neusäßer Erlebnisbades körperlich miteinander vergnügten.
Als dem, nach Aussage des Bademeisters sichtlich betrunkenen jungen Paar die Hormone durchgegangen seien, habe der Bademeister sie aus dem Wasser geholt und ein Hausverbot ausgesprochen. Die Polizei wurde erst verständigt, als man beide zwischen zahlreichen leeren Bier- und Schnapsflaschen an anderer Stelle des Bades erneut entdeckte.
Besonderheit: Nach Ansicht des Richters vermittelte das Pärchen nicht den besten Eindruck, als es verspätet und ohne Anwalt zur Verhandlung erschien. Ihr Verhalten im weiteren Verlauf der Verhandlung sei „ungeschickt“, „respektlos“ und selbst bei Konfrontation mit den, den Vorgang dokumentierenden Bildern „unbelehrbar“.
Und obwohl der Gerichtssaal bis zur Urteilsverkündung voll war mit „Schaulustigen, Reportern und Fotografen“ (außer bei der Vorführung des Beweisvideos bei der die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde) bekamen die Vorgänge um „Zu viel Liebe in der Grotte“ (Stadtzeitung) des volljährigen Pärchens erst durch die Berichterstattung auf „Bild.de“ und in der „Bild“ Printausgabe eine bundesweite Relevanz.
Wie gelangte die „Bild“ an das nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Überwachungsvideo?
„Teenie-Paar wegen Sex im Spaßbad verknackt“ berichtete „Bild.de„. Zusätzlich -für zahlende Kunden des „Bild-plus“ Angebotes- garniert mit „scharfen Unterwasser-Fotos“ (Bild.de). Es folgte tags drauf ein auf der Titelseite der „Bild“ großflächig angerissener „Es war Porno pur“ Aufmacher mit Bericht und Fotos der Akteure im Innenteil. „Sehen Sie mit BILDplus die delikaten Videoaufnahmen“ reichte man am Nachmittag auf „BILDplus“ das „BEWEIS-VIDEO“ nach.
In einer offiziellen Stellungnahme teilte der Betreiber des Bades mit, Videoaufnahmen werden in der Regel „nach einigen Stunden automatisch durch das System gelöscht“, und nur im vorliegenden Fall sei „eine Sicherstellung für die Beweisführung mit Übergabe an die Polizei“ erfolgt.
„Wir weisen darauf hin“ vermerkt man in der Stellungnahme, „dass eine Freigabe des Filmmaterials durch uns nicht stattgefunden hat und wir damit einer Veröffentlichung sämtlichen Bildmaterials aus diesem Film widersprechen“
Als aufrecht gehender Mitteleuropäer kann man bei diesen Vorgängen – unter Einbeziehung der unscharfen Bilder und der relevanten Berichterstattung zu diesem Fall, hier, hier oder hier nur den Kopf schütteln.
Wer kennt sie nicht, die hormonell bedingten Freiübungen in den Sturm- und Drangphasen seines Lebens? Doch wer kennt die juristische Wertung derartiger Freiluftabenteuer und die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber einer ungenehmigten öffentlichen Zurschaustellung?
- Zwei Köpfe über Wasser, die Körper, und seien sie noch so erregt, erkennt man unter Wasser doch nur bei bewusster Beobachtung. Mit einer Unterwasserkamera zum Beispiel! Wo ist da die „Erregung öffentlichen Ärgernis“? Ist 1 Betrachter von nicht öffentlichen Aufnahmen einer Überwachungskamera bereits „die Öffentlichkeit“?
- Ein Bademeister, der einem ihm auffällig gewordenen Pärchen gegenüber ein Hausverbot ausspricht, als dieses der Aufforderung aber nicht nachkommt, sie nicht wegen Hausfriedensbruch, sondern, weil „es ihm gereicht“ habe von dem Pärchen „übelst beschimpft“ zu werden, sie wegen des -nur von ihm- beobachteten (angeblichen) Geschlechtsverkehr in der Grotte anzeigte.
- Ein Richter, der, folgt man der Berichterstattung, das unzivilisierte Verhalten besonders des männlichen Angeklagten zwar mehrmals rügte, in Folge jedoch keinerlei disziplinierende Maßnahmen ergriff (Missachtung des Gerichts) aber vor der Urteilsverkündung (zwei Wochen Dauerarrest für ihn und Freizeitarrest für sie) anmerkte, „Ich hätte Sie gern gleich drei Tage lang in den Keller gesperrt, damit Sie verstehen, wie man sich vor Gericht verhält.“
- Und zu guter Letzt eine/ein Unbekannte(r), der einer Boulevardzeitung dieses „Sex-Video“ zur Veröffentlichung weiterreichte. (Erfolgt hier keine Aufklärung, braucht sich zumindest dieses Spaßbad um seinen Ruf keine Sorgen mehr zu machen)
Spielt einem hier das persönliche Rechtsempfinden einen Streich? Liegt man daneben, wenn man die rechtliche (und moralische) Wertung dieser Spaßbadgeschichte als vollkommen Überzogen bewertet?
In vielen Fällen hilft dem juristischen Laien (dem Autor geht es zumindest so) die Lektüre von Jura-Blogs weiter. Hier kommentieren Juristen, überwiegend unter Weglassung sachfremder Erwägungen, stringent juristisch aktuelle Fälle.
Zum Beispiel in einem von Professor . Dr. Henning Ernst Müller geleiteten Blog, in dem der Professor für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Universität Regensburg den hier geschilderten Fall unter der Überschrift „Erregung ärgert Jugendrichter – Jugendarrest“ zur Diskussion stellte.
Dass man Urteile eins „unabhängigen Gerichtes“, wie im vorliegenden Fall, auch anders sehen kann, macht Dr. Müller in einem seiner Kommentare klar.
„Die Öffentlichkeit einer Hauptverhandlung dient auch der öffentlichen „Kontrolle“ des ansonsten unabhängigen Gerichts. Und diese Kontrolle darf ja nun auch juristische Gegenargumente und Kritik an der Strafzumessung beinhalten.“
Und die Gegenargumente in Sachen „„Erlebnisgrotte“ waren erheblich:
Die nachfolgend beispielhaft aufgeführten Kommentare geben den allgemeinen Tenor der in diesem Blog geführten Debatte wieder:
„Nach dem Bericht [der SZ] scheint wohl § 123 StGB verwirklicht worden zu sein, vielleicht auch § 185 StGB. Dass der Geschlechtsverkehr offenbar nur per Unterwasserkamera zu beobachten war, spricht hingegen eher gegen den (objektiven und subjektiven) Tatbestand des § 183a StGB. Und die Sanktion war dann wohl tatsächlich eher eine für Ungebühr vor Gericht, insbesondere für „freches Leugnen“. Die richterliche Reaktion mag menschlich „verständlich“ sein, ist sie aber auch rechtlich angemessen?“
„Deshalb erhalte ich den Kern meiner Kritik, dass hier eine relativ läppische Straftat mit einer relativ (zu) schweren jugendstrafrechtlichen Reaktion beantwortet wurde, aufrecht.“
„Sollten wir zwei Jugendliche dafür bestrafen, weil sie – vermutlich gegen ihren Willen – durch einen Bademeister beim Geschlechtsverkehr beobachtet (und per Videokamera aufgenommen) wurden? Ich denke nicht.“
„… gab es hinreichende jugendstrafrechtliche Reaktionsmittel, das Fehlverhalten zu ahnden bzw. erzieherisch aufzugreifen“
„Andererseits erfolgt hier ein gezielter Eingriff in die Intimsphäre – nicht nolens volens, sondern mit dolus directus ersten Grades – das und gerade das sollte gefilmt werden. Ist das zulässig?“
„Die Erregung des öffentlichen Ärgernisses sehe ich eher in den Unterwasseraufnahmen als in dem, was die jungen Leute getan haben sollen. Könnten Bild- oder Filmaufnahmen von sexuellen Handlungen nicht ihrerseits sexuelle Handlungen i.S.v. 183a StGB sein?“
„Fachlich ist die Entscheidung unter Bizarritäten abzulegen. Eine Schande, dass zwei junge Menschen so kriminalisiert werden. Eine Berufung ist kostspielig und würde leider auch vor einem bayrischen Gericht stattfinden – ob das Aussicht auf Erfolg hat?“
„Es mag unappetitlich gewesen sein, der männliche Angeklagte mag uneinsichtig, unhöflich und respektlos gegenüber dem Gericht gewesen sein und auch, wenn die Bademeister die wahrgenommenen Bilder nie wieder aus dem Kopf bekommen werden (ob nun positiv oder negativ betrachtet):
All das tritt hinter dem Umstand, dass Badegäste unter Wasser nicht nur gefilmt, sondern das Bildmaterial zwecks späterer „Verwertung“ auch noch aufgezeichnet wird, zurück.“
Als etwas frustrierter Staatsbürger und Autor dieses Artikels fühlte ich mich
nach dem Lesen dieser Blog-Kommentare wieder etwas wohler.
Das Internet und die darin zu findende Meinungsvielfalt ist schon eine tolle Sache!
update 18.Juni 2015: Das Pärchen geht in Berufung. Diesmal mit Anwalt.
update 19. August: Landgericht Augsburg bestätigt –nun in zweiter Instanz– die Strafen.