Was haben wir 2012 gelernt ?

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Viel über „zu viele Schmutzeleien“ mit Sprache. Auch in Geisenfeld

Versteht man die auf den Bayerischen Finanzminister Markus Söder bezogene Äußerung mit der niedlichen Wortschöpfung richtig, so billigt der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer seinem, an „charakterlichen Schwächen“ leidenden Minister zwar „Schmutzeleien“ zu, aber nicht zu viele.

Würde woanders eine einzige „Schmutzelei“ ausreichen, besagten Schmutzfink den Stuhl vor die Tür zu stellen oder auf sein freiwilliges Ausscheiden zu warten: Hier geschah nichts!

Diese offenherzigen, bei einer Weihnachtseinladung für Journalisten genüsslich von „Crazy Horst“ (FAZ) launig eingestreuten Charakterstudien über prominente CSU-Politiker, machten bei Söder aber nicht halt.

Die zwischenzeitlich abgehalfterte Blendgranate und einstiger Shootingstar mit bundesrepublikanischer Bedeutung, Karl-Theodor zu Guttenberg, von Seehofer noch im Oktober in einer „maßgeblichen Rolle“ nach den Wahlen 2013 in der CSU gesehen, reduzierte er auf die Bedeutung einer „Sternschnuppe„.

Als Beobachter des bayerischen Polittheaters und ihrer Hauptdarsteller ist man schnell geneigt, diese verbalen Gemeinheiten als erfrischend ehrlichen Blick hinter den Bühnenvorhang zu goutieren.

Bei genauerer Betrachtung und zwei Gedankengänge weiter verspürt man plötzliches Bauchgrimmen. Eckel steigt auf und humanistisch sozialisierte Hirnregionen versuchen die Galle unter Kontrolle zu bringen. Derartige Grobheiten vom Bayerischen Ministerpräsidenten/CSU-Vorsitzenden lassen doch nur einen Schluss zu: Ein Rücksichtloser repräsentiert hier gemeinsam mit Rückgratlosen die bayerischen Bürger! Eigentlich ein unhaltbarer Zustand.

Sitzt man in der Staatsoper, im Bauerntheater oder im „Mäusekino“, einer ebenfalls von Seehofer benutzten Wortschöpfung? Agieren hier Laiendarsteller oder Staatsschauspieler? Und welches Stück wird hier überhaupt aufgeführt?
Oder ist das die wiederbelebte „Politik des Angebertums, eine Halbstarkenpolitik“, wie die Grünen-Spitzenkandidatin im Bayerischen Landtag, Margarete Bause, die Rempeleien des Bayerischen Ministerpräsidenten bezeichnete.

Doch „Angeber“ findet man auch auf politischen Provinzbühnen.

Auch außerhalb christlich-sozialer Ensemble. Im Geisenfelder Stadtrat zum Beispiel, dessen Tagungsraum sinnigerweise auch für die eine oder andere Kulturaufführung herhalten muss, sitzt ein besonders von sich überzeugter Zeitgenosse. Gemeinsamer Background mit Seehofer: Leitende Funktion im Arbeitsamtsbezirk Ingolstadt.

Groß geworden als Genosse in der Sozialdemokratischen Partei, durch „Schmutzeleien“ und zwecks Machterhalt zum Kopf einer „unabhängigen“ sozialen Wählergruppierung mutiert, gibt Günter Böhm -neben dem Bürgermeister- den primus inter pares, also den Ersten unter Gleichen in der Runde der 20 Köpfe zählenden Stadträte.

Zuletzt gab Böhm den „Halbstarken“ auf der Jahresendsitzung des Stadtrats. Einer zwar gänzlich überflüssigen zweiten Dezembersitzung mit auf Ausgleich getrimmten Selbstbespiegelungsreden von Bürgermeister und Fraktionssprechern doch wegen der besinnlichen Grundstimmung, der städtischen Weihnachtsgeschenke und der fehlenden Dilettanten Ästhetik sonstiger Stadtratssitzungen für Zuhörer in der Regel erträglich.

Dass die Stadträte während der Rede des jeweils anderen Fraktionssprechers ängstlich auf die freiliegenden Balken im Tagungsraum unter dem Dachstuhl blicken, liegt an der Befürchtung, dass sich bei zu viel Selbstbeweihräucherung doch die Balken biegen müssten.

Ja ist denn heut schon Wahlkampf„, umschrieb die Heimatzeitung die mutmaßliche Empfindung der Anwesenden als Böhm seinen Redebeitrag ablieferte.
Man glaubte eine Hasspredigt zu hören„, meinte ein nicht genannter Stadtrat gegenüber „Bürgersicht„.

Böhm, der auf seiner bisherigen politischen Wegstrecke als Landtags- und Landratskandidat scheiterte, (und den Wahlkampf um den Landratsposten besonders „billig“ führen wollte)der mit untrüglichem Weitblick eine unübersehbar große Zahl von Umgehungsstraßengegnern auf eine „Handvoll Idioten“ reduzierte und als Mitarbeiter einer Bundesbehörde schon mal ökonomische Regeln anmahnende Stadtratskollegen als „Krämer“ herabwürdigte, dieser Mann gab den konfrontativen Besserwisser.

Unter dem arroganten Kalenderspruch, „es muss nicht alles falsch sein, was man nicht versteht„, ließ er die Anwesenden wissen, wo sie überall falsch lagen. Da wurden zum Beispiel nie erhobene Einwände von Böhm gegeißelt (Einigen sei die geplante Umgehungsstraße zu teuer) und ein angedachter, verkehrsberuhigend wirkender Verkehrskreisel als überflüssig erklärt. Der gelernte Bereitschaftspolizist gab auch den Bausachverständigen hinsichtlich der Bauweise bei der vor 3 Monaten eingeweihten Dreifachturnhalle. Die von ihm gehörten „Stammtisch-Unkenrufe„, nach der Schäden wegen der zu tief in die Erde gebauten Halle vorprogrammiert seien, haben sich nicht erfüllt. (Seit wann ist Stammtisch Gequake Gegenstand von Stadtratssitzungen, mit welchen Fröschen sitzt Böhm in seiner Freizeit zusammen und warum können sich Bauschäden in Geisenfeld nicht erst in einigen Jahren zeigen?)

Nach dieser Lehrstunde in böhmscher allein seligmachender Wahrheit fühlten sich nicht wenige der Stadträte erneut in ihrer Einstellung bestätigt, nach Sitzungsende schon länger kein kollegiales Bierchen mit ihm trinken zu wollen und bedauerten die geringe Dimension des diesjährigen Weihnachtsgeschenkes. Die silberne Nadel mit dem Geisenfelder Hopfensiegel hatte einfach eine zu geringe Reichweite, um frustmindernd auf den Redner einwirken zu können.

Eventuell darf Böhm demnächst statt mit Stadtratskollegen mit „Zar Peter“ anstoßen. Der so vom „Crazy Horst“ aus Ingolstadt betitelte Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer, besucht am 18. Januar auf Einladung der örtlichen CSU Geisenfeld. Noch ist nicht bekannt, ob Geisenfelds Bürgermeister sein Goldenes Stadtbuch in kyrillischer Schrift mit dem Einband “ Дас Голдене Буч дер Стадт Геисенфелд “ versehen lässt. Wenn er die Möglichkeit sähe, dadurch der Geisenfelder Südumgehung etwas näher zu kommen, würde er es sicher sofort in Angriff nehmen. Und könnte wegen der im Gegensatz zur Nordumfahrung zu erzielenden wirklich großen Verkehrsentlastung, mit der Unterstützung der meisten Geisenfelder rechnen.

Lässt man den Gernegroß aus dem Geisenfelder Stadtrat außen vor, dient Sprache nicht zuletzt der Sicherung herrschender Ideologien und der gesellschaftlichen „Luftüberlegenheit“ über den Stammtischen.

Sprache wird von Machtstrukturen bestimmt.

Zur Verdeutlichung die Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Wer ist wer?
Die, die ihre Arbeit geben, werden als Arbeitnehmer bezeichnet. Da gibt es dann also den Arbeitgeber, der gibt dir die Arbeit. In Wahrheit gebe ich dem ja meine Arbeit. Und er gibt mir nur einen Teil des Geldes, das mir zusteht. Den Rest sackt er ein.“ (Oskar Lafontaine in SZ-Magazin 49/2012)

Sprache dient der „kulturellen Hegemonie“, dem Zweck, der großen Masse einen ihr genehmen Sachverhalt vorzugaukeln. Soll der deutsche Steuerzahler zum Beispiel wegen der Griechenland-Krise zur Kasse gebeten werden -oder auf einen Gang zur Kasse vorbereitet werden- scheuen selbst die neoliberalsten Griechenland-Retter nicht vor sozialistisch anmutenden Vokabeln zurück. Man müsse sich bei Griechenlands Bürgern solidarisch zeigen.

Solidarität, so hatte der Deutsche gelernt, ist schon länger kein Kampfbegriff mehr, sondern etwas Gutes. An diesem Begriff kann man sich wärmen. Er verdeutlicht irgendwie, dass man für einander einstehen soll. Hier kann man dem harten, seit geraumer Zeit in Verruf geratenen Kapitalismus etwas weiches entgegensetzen.
Der eine kann helfen, der andere sich nicht: Solidarität!

Verweigert man sich der gefühligen deutschen Begrifflichkeit und betrachtet das Problem aus der rationellen, britischen Hemd-näher-als-Hose Perspektive, werden Strukturen sichtbar .
Wen sollen wir da retten? Bürger oder Banken? Die Habenichtse oder die Finanzaristokratie?

Und warum? Stehen den griechischen Schulden von 300 Milliarden Euro nicht 500 Milliarden Auslandsvermögen gegenüber? Und warum sind diese Auslandsvermögen in den Krisenjahren so immens angestiegen?
Wofür Solidarität? Deutschland, ja halb Europa soll etwas retten, was sich selber nicht retten will?

In Deutschland gäbe es genügend Dinge die gerettet werden wollen.

Rentner vor drohender Altersarmut, der Mindestlohn vor Sonntagsreden oder der Reißverschluss zur Verringerung der Einkommensspreizung.

Doch statt hier rettend einzugreifen, rettet die Regierung „ihre Meinung“ durch verschleiernde Sprache. Erkannte das Bundesarbeitsministerium im Entwurf des „Armuts- und Reichtumsbericht“ Privatvermögen in Deutschland noch „sehr ungleich verteilt„, fehlte diese Passage in der überarbeiteten Fassung. FDP-Chef und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler:

Die erste Fassung entspreche nicht „der Meinung der Bundesregierung„.

Da also neuerdings Fakten von Meinung abhängig sind, wurde aus dem Gegensatz der Ursprungsfassung, in der die „Lohnentwicklung im oberen Bereich positiv steigend war“ aber „die unteren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt gesunken“ seien, die eingedampfte Version der Zweitfassung , in der sinkende Reallöhne „Ausdruck struktureller Verbesserungen“ seien.

Da diese, in der Erstfassung erkannte „Lohnspreizung das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung verletze„, sogar „den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden“ könne, strich man diese Passage und einen zusätzlich prekären, weil erhellenden Fakt aus der Zweitfassung: Das „im Jahr 2010 in Deutschland knapp über vier Mio. Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro“ arbeiteten. (Tendenz steigend)

Der Protestbürger wird zum Wutbürger statt zum Zornbürger

Ob Spiegel-Autor Dirk Kurbjuweit wusste, was er 2010 mit der Neubildung „Wutbürger„, einem Synonym für eine neue bürgerliche Protestbewegung kreierte?

Wut gilt in den meisten Kulturkreisen als verwerflich und ist gesellschaftlich nicht akzeptiert (Wiki). Zorn ist eher gegen eine bestimmte Person oder Gruppe gerichtet, während die Wut nach allen Seiten explodieren kann. Beim Zorn hingegen speist sich die Erregtheit eher aus der Versagung eines Anspruchs oder Bedürfnisses.

Zwar können sowohl Zorn als auch Wut eine Antwort auf eine Enttäuschung oder eine Ungerechtigkeit sein. Doch ist sie beim Zorn mit Ernst und Nachdenklichkeit gepaart“. Dieser Satz stammt aus dem Eröffnungsvortrag der Opfernfestspiele 2010, München. Gehalten von Jutta Limbach, der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes. (1994 bis 2002).

Der „Wutbürger“ ist ein Musterbeispiel für den Kampf um die Definitions- und Deutungsmacht politischer Ereignisse. Der Begriff suggeriert, kritische, protestierende Bürger hätten jedes Maß verloren. Dabei zeigen Analysen von Bürgerinitiativen eine größtenteils konstruktive Beteiligung bei Forderungen nach Mitsprache bei gesellschaftlich und politisch relevanten Projekten.

Doch mit der Zuschreibung Wut-Bürger wird ein von der Verfassung geschütztes Grundrecht im gesellschaftlich Unbewussten von der Unzufriedenheit über demokratische Teilhabe in die Verwerflichkeit des „das tut man nicht“ gezogen. Der unbedachte Gebrauch in Massenmedien, an Stammtischen und in der öffentlichen Auseinandersetzung, darf nicht darüber hinwegtäuschen: Auch die Bezeichnung Wutbürger sollte Empörung auslösen!

Denn, „der kollektive Zorn gibt dem Volk eine Stimme“, so Jutta Limbach in ihrer Rede.
Auch wenn in der Demokratie jeder Einzelne zählt, sind die Bürger und Bürgerinnen doch nur gemeinsam stark. Die Antriebskraft des Zorns verdient jedoch nur dann Respekt, wenn sie mit dem Verzicht auf Gewalt verbunden ist.“ Die Richtung ist damit aufgezeigt!

Was haben wir also gelernt dieses Jahr?

Zuhören ist gut, gehörtes zu hinterfragen ist besser. Am besten hört man Hinterfragenden zu!

Und wie immer, wenn im katholisch geprägten Bayern der Verweis auf die Bibel nicht auszureichen scheint – zum Beispiel auf das Neue Testament / Matthäus 7, 20:
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen
dann gibt es auf Bürgersicht den bekannten Verweis auf Immanuel Kant:
Sapere aude“, habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Und somit sind wir beim Verweis auf das Jahr 2013 angelangt.

Da, wie Thomas Druyen in seinem Buch „Krieg der Scheinheiligkeit – Plädoyer für den gesunden Menschenverstand“ (Maxlin Verlag) schreibt, „wir die Welt im 21. Jahrhundert nicht mehr umfänglich begreifen“ können, holen wir uns die nötige Unterstützung und Aufklärung bei einem, der „Unerhörtes hörbar macht„.

Gemeint ist der Preisträger des Erich Fromm-Preis 2012, der Diplom-Psychologe und Kabarettist Georg Schramm.

Auszug aus der Laudatio: „Mit Erich Fromm verbindet ihn vor allem die Fähigkeit, das gesellschaftlich Verdrängte und öffentlich Gemiedene ans Tageslicht zu bringen.“

[youtube]http://youtu.be/blJRurL8Pp0[/youtube]

Zum Ausblick auf 2013:

 

 

Worauf sollten wir 2013 achten?

 

 

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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