Bisher wurde im ersten Teil die Finanzierung des Gesundheitsbetriebs erläutert und dazu das schwarzgelbe Steuerdilemma bzw. das Versagen dieser Regierung. Der zweite Teil befasste sich mit einer echten Gesundheitspolitik, das heißt mit dem ernsthaften Versuch, die Menschen gesünder zu machen und den damit einhergehenden strukturellen Reserven. Der dritte Teil wird nun die Notwendigkeit einer verbesserten Ordnung im Gesundheitssystem darstellen.
Jeder Organismus, jedes Unternehmen, jedes System braucht Ordnung.
Ein Gastbeitrag von Anton Mucha, (Facharzt für Allgemeinmedizin aus Pörnbach-Lkr. Pfaffenhofen)
Unordnung bedeutet geringe Effektivität, bedeutet Verluste. Man stelle sich einen Autohersteller mit wenig Ordnung vor. Die Zulieferer kämen von allen Seiten, die Karosseriebauer würden gleichzeitig die Heizungen montieren und ein Drittel von ihnen wäre für Testfahrten abwesend, während die Lagerarbeiter gleichzeitig mit der Motorentwicklung beschäftigt wären und nachmittags mit dem Marketing. Darüber hinaus gäbe es keine erkennbaren Vorgesetzten, jedem Mitarbeiter wäre sein Arbeitsfeld freigestellt. Nur der gute Wille zählte.
Oder man nehme ein Krankenhaus mit vielen Eingängen ohne Pförtner. Die Lieferanten, die Patienten, die Mitarbeiter, die Besucher, alle spazierten irgendwo herein, durch den Keller, mitten durch den OP, die Kantine, die Stationszimmer. Die Putzfrauen würden gelegentlich als OP-Schwestern gebraucht und die Ärzte würden im Keller die Heizung reparieren.
Das wäre ein schönes Durcheinander und kalt wäre es auch im Haus.
Der orientierungslose Patient im Chaos
Aber irgendwie erinnern diese Beispiele an unseren Gesundheitsbetrieb. Die Patienten stehen 38 Spezialdisziplinen gegenüber. Da will jemand zum Internisten? Aber was will er dort? Soll es der Gastroenterologe, der Nephrologe, das Rheumatologe, der Endokrinologe, der Kardiologe, der Pneumologe, der Hämatologe oder eher ein Diabetologe sein? Da will einer zum Chirurgen? Will er zum Bauch- zum Gefäß- zum Unfall- zum Hand- zum Thorax- zum Herz- oder zum Neurochirurgen?
Nicht besser geht es dem Patienten, wenn er eine geeignete stationäre Einrichtung für sein Problem sucht. Viele Krankenhäuser haben ein ganz eigenes Profil. Passt der Patient mit seinem Problem nicht zu diesem Profil, so können die Ergebnisse ziemlich schlecht werden. Ein Mensch mit einem Druck in der Brust ist vielleicht in einer Herzklinik ganz besonders schlecht aufgehoben, weil er eigentlich an einer Depression leidet. Also springt er am zweiten Tag aus dem Fenster.
Der planlos weitergereichte Patient
Unser Patient/unsere Patientin versucht es erst mal bei einem niedergelassenen Spezialisten. Dummerweise kann dieser Spezialist in seinem Organgebiet keine krankhafte Veränderung finden. Also schickt er den Patienten/die Patientin zum Kollegen mit dem benachbarten Organsystem. Dieser findet eine Kleinigkeit und therapiert mit Feuereifer.
Das eigentliche Problem bleibt darüber ungelöst. Der Patient/ die Patientin unternimmt einen weiteren Versuch bei einem dritten Spezialisten, was eine weitere Spezialistenschleife auslöst.
Am Ende gibt es viele Befunde, aber niemand ist da, die Befunde zu bewerten, niemand fasst zusammen. Da aber die Probleme bleiben, landen die Patienten oft im Krankenhaus. Allerdings tritt hier die schon bekannte Schwierigkeit erneut auf. Welches Haus ist richtig?
Das ist hier kein konstruiertes Beispiel, das ist nahezu der Regelfall. Es gibt Karrieren, bei denen einzelne Patienten zwei Dutzend Spezialisten, dazu zahllose sonstige Ärzte und eine ganze Reihe Krankenhäuser frequentieren. Kann sogar sein, dass einer von den vielen Ärzten die korrekte Diagnose gestellt hat und auch das richtige Vorgehen empfohlen hat. Aber der Patient hat das in dem ganzen Durcheinander nicht gemerkt, oder er wollte es nicht merken.
Wer koordiniert die Arzneien?
Man stelle sich Patienten vor, die mehrere Fachspezialisten aufsuchen Sie erhalten von jedem dieser Fachärzte ein Rezept mit mehreren Medikamenten. Der Kranke verliert drüber vollends den Überblick. Welche Medikamente wirken gleichartig, welche vertragen sich nicht, was ist wichtig, was entbehrlich?
Was passiert mit den Schwerstkranken?
Wenn nun ein Mensch so gebrechlich wird, dass er seine Wohnung oder das Altenheim nicht mehr verlassen kann? Kommen dann alle die vielen Spezialisten ins Haus, oder müssen die Kranken dann jedes Mal extrem teuer von Spezialunternehmen herumgefahren werden?
Unschwer erkennt man die Ursache für das Desaster: es fehlt eine ordnende, eine interpretierende, eine aufklärende Instanz. Dabei gibt es diese Instanz, nämlich die Fachärzte für Allgemeinmedizin, die als Hausärzte zur Verfügung stehen.
Warum ist die Ordnungsfunktion der Hausärzte geschwächt?
Offensichtlich fehlt im Gesundheitsbetrieb an vielen Stellen die ordnende Hand der Hausärzte. Das Begann vor zwanzig Jahren, als die Krankenkassen in verfehlter Konkurrenz gegeneinander Krankenscheinscheckhefte an ihre Versicherten ausgaben. Nun konnte jeder zu jedem beliebigen Arzt gehen. Noch schlimmer wurde es mit den Versichertenkarten, den so genannten Chipkarten. Manche Patienten suchten daraufhin bis zu 80 Ärzte im Vierteljahr auf.
Der Kampf der Organfachärzte gegen Fachärzte für Allgemeinmedizin
Die spezialisierten Ärzte witterten in dieser Situation Morgenluft. Sie trieben sich gegenseitig die Patienten in Überweisungsringen zu. Sie organisierten die ständige Wiederkehr von Patienten mit Recall-Systemen. Und sie manipulierten aufgrund ihrer Mehrheiten die Spielregeln der kassenärztlichen Vereinigungen derart, dass die Honorarströme zu ihnen hin flossen.
Die Hausärzte wurden nach Kräften schlecht gemacht. Es gab geradezu eine antihausärztliche Propaganda. Noch heute wird den Hausärzten gerne von inkompetenten Kassenfunktionären und Politikern (FDP!) die „Qualität“ bestritten. Hausärzte bilden mit Abstand das Schlusslicht im ärztlichen Einkommensgefüge. Dabei haben sie deutlich längere Arbeitszeiten, als ihre spezialistischen Kollegen und sie tragen die Hauptlast (über 90%) Nacht und Wochenenddienste.
Warum für die Hausärzte kein Nachwuchs in Sicht ist
Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass junge Ärzte nicht mehr die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin einschlagen wollen, was wiederum die Schieflage im Gesundheitswesen verstärkt. Die Hausärzte bilden in Gesundheitssystem einen ordnenden Damm, der vor Desorganisation und damit vor sinnlosen Kosten schützt.
Leider verlief die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre nicht in diesem Sinn. Der Damm ist gefährlich löchrig geworden. Völlig richtig und konsequent war deshalb die politische Marschrichtung, mit Hilfe von Hausarztverträgen die hausärztliche Funktion im Gesundheitssystem zu stabilisieren.
Fehlende Einsicht bei manchen Krankenkassen
Direktverträge zwischen Kassen und Berufsverband sollten die Existenz der Hausärzte sichern, indem sie die Hausärzte unabhängig vom korrumpierten System der kassenärztlichen Vereinigung machten. Eine feste und berechenbare Vergütung von ca. 26 Euro pro Monat und Patient war geeignet für wirtschaftliche Sicherheit der beteiligten Praxen zu sorgen und damit für die Patienten die hausärztliche Grundversorgung zu erhalten.
Während die AOKen in Bayern und Baden-Württemberg die offensichtlichen Vorteile dieses Arrangements sofort erkannt haben, wollten andere Kassen wie die Barmer die Mittel ihrer Versicherten lieber für Eigenwerbung und dubiose Zuschüsse an ihre Versicherten (Mittelmeerkreuzfahrten etc.) verschleudern. Die hausärztliche Absicherung ihrer Versicherten schien ihnen entbehrlich.
Die Verzögerung von Hausarztmodellen ging bei manchen Kassen bis an die Grenze zum Rechtsbruch.
Die schädliche Parteinahme der FDP
Als fatal erwies es sich, dass die FDP, als gesundheitspolitisch gänzlich unbeleckte Partei, das Gesundheitsministerium zugewiesen bekam. Der unerfahrene frischgebackene Minister Rösler schlug sich unüberlegt und voreilig auf die Seite der Kassenrebellion gegen die Hausarztversorgung.
Nun wird die FDP zur Zerstörerin der hausärztlichen Grundversorgung. Damit besteht die Gefahr eines unermesslichen Schadens. Die Kranken, die Patienten sind in der Gefahr, ihre zentrale und oft lebenswichtige Vertrauensperson im Kampf um ihre Gesundheit zu verlieren.
Die Gesellschaft verliert die einzigen Garanten für einigermaßen kostengünstige Abläufe bei der Patientenversorgung.
Zu den Bedingungen der Kassenärztlichen Vereinigungen wird es mangels Nachwuchs bald flächendeckend kaum noch Hausärzte geben.
Die FDP könnte zum Totengräber der medizinischen Versorgung werden, so wie wir sie kennen, indem sie den Vorteil, den die Hausärzte bedeuten, endgültig zerstört.