„Verschiebe nicht auf morgen, was auch bis übermorgen Zeit hat“ (Entschleunigung nach Mark Twain)
Keine Spur von Entschleunigung:“Von der Stirne heiß. Rinnen muß der Schweiß„. Als Friedrich Schiller in seinem 1799 veröffentlichten „Lied von der Glocke“ nicht nur die handwerkliche Beschreibung zum Guss der „Concordia Glocke“ schilderte, sondern auch -vermutlich ungewollt- die allgemeine Anschauung des Menschenlebens damit verband, konnte er nicht geahnt haben, die heutige oft schweißtreibende Epoche der kontinuierlichen Beschleunigung gleichermaßen zu beschreiben.
Waren das in der Rückschau nicht besonders schöne Tage, die bullenheißen „Sahara“-Tage“ des letzten Sommers!? Manche, wie die temperaturverrückten Radiomoderatoren der bayerischen Frohsinnswellen, mögen das ja so empfunden haben, doch der große Rest der „Normalen“ stöhnte unter den schweißtreibenden, tropischen Temperaturen. (Mit Verzögerung stöhnten dann auch die Radiomoderatoren, als sie Hörerreaktionen mit dem Satz einforderten: „Wo schwitzt du denn?“)
Matschiger als sonst schleppte man sich morgens aus dem Bett in die Dusche, kam wegen des lauwarmen Wassers aus der eigentlich auf Kalt gestellten Mischbatterie nicht wie sonst auf Touren und schaffte es trotz der gefährlich unausgeschlafen wirkenden Verkehrsteilnehmer „pünktlich“ am Arbeitsplatz zu erscheinen.
Beruflich oder privat: Wir funktionieren zeitgesteuert!
Sie hängt uns immer vor Augen, die arbeitsplatzsichernde Karotte, vor der Arbeitsmediziner und Burn-out-Experten nicht müde werden zu warnen: „Die Schnelleren fressen die Langsamen“. Um die Karotte zu bekommen, hilft nur Effizienzsteigerung, Gewinnmaximierung und ganz wichtig, viel, viel Arbeitszeit und gelegentliche Selbstausbeutung. (In unserer arbeitsteiligen, globalisierten Wirtschaft, in der Konkurrenz und Wettbewerber nach vergleichbaren Regeln spielen, ein regelmäßig sinnloses Unterfangen)
Bayern in der aktuellen Hitzschlag-Statistik führend
Im Falle von „Sahara-Tagen“ könnte man durch diese „Arbeitsverdichtung“ nicht zwangsläufig der Schnellere, jedoch, je nach Umstand und Arbeitsort, Bestandteil einer Hitzschlag-Statistik werden.
Nach einer aktuellen Auswertung der „DAK“ (2015) wurden deutschlandweit 1856 Personen im Jahr2013 wegen Hitzschlag oder Sonnenstich behandelt. (2011 waren es „nur“ 1034 diagnostizierte Fälle) Wobei Bayern mit 396 Fällen 2013 bundesweiter Spitzenreiter war.
Der monatliche Zahlungseingang auf dem Konto bedeutet viel. Doch nicht alles.
In unserer vermeintlich hocheffizienten, sach- präsenz- und ergebnisorientierten Arbeitswelt hat jeder dritte Deutsche das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben für die wirklich wichtigen Dinge. Familie, Partner, Freunde oder Hobby blieben auf der Strecke.
Zeit ist Geld? Selbst Werbung für Kreditkarten spricht bei privater Zeit von „unbezahlbar„.
Doch wenn jetzt seit einiger Zeit immer mehr Arbeitgeber in Betriebsvereinbarungen festschreiben lassen, ihre Angestellten dürfen weder am Wochenende noch unter der Woche ab 19 Uhr geschäftliche E-Mails an Kollegen verschicken, lesen oder beantworten, wäre es an der Zeit, das Privatleben zu entschleunigen.
Zeitdruck. Beruflich unausweichlich, doch privat vermeidbar.
Raus aus dem Hamsterrad der eng getakteten privaten Verabredungen, vermeintlich unaufschiebbarer Vorhaben und selten bis nie hinterfragter Routinen.
Hat man wirklich Hunger, nur weil „Essenszeit“ ist? Ist einem wirklich „danach“, etwas Spontanes zu unterbrechen, um einer Routine zu genügen oder etwas „wichtiges“ zu erledigen? (wie diesen Artikel zu schreiben)
(Amerikanische Studien wollen sogar einen Zusammenhang zwischen Gewicht und starren Essenszeiten festgestellt haben: Personen, die zum Beispiel „immer um 12 Uhr“ usw. ihre Mahlzeiten einnehmen, sind dicker)
Bei Kindern können wir die Frustration über den Verlust ihrer Zeitsouveränität sehr gut beobachten. Werden spielende Kinder zum Essen gerufen, unterbricht man sie in ihrer zeitvergessenden Kreativität, zwingt sie in eine Routine und darf sich nicht wundern, wenn sie diese als lästig und langandauernd empfundene Unterbrechung schnellstmöglich und ungeduldig beenden wollen. (Routine wird allgemein als „schleichende“ Zeit empfunden)
Der Mensch hat kein Organ für Zeit, er „empfindet“ die Zeit.
Als man Albert Einstein darum bat, seine Theorien zur Relativität allgemeinverständlich zu erklären, antwortete er mit einem Beispiel: : „Wenn man mit einem netten Mädchen zwei Stunden zusammen ist, hat man das Gefühl, es seien zwei Minuten; wenn man zwei Minuten auf einem heißen Ofen sitzt, hat man das Gefühl, es seien zwei Stunden. Das ist Relativität.“ An „Sahara-Tagen“ sitzt man zwar nicht auf einem heißen Ofen, spürt aber seine „Körperlichkeit“ wegen der als quälend lang empfundenen Bullenhitze.
Den „Ereignissen“ mehr Raum geben. Etwas „Uhrzeit“ aus dem Lebenstempo rausnehmen.
Die durch den Arbeitstag beeinflusste Vorstellung, in immer kürzerer Zeit mehr leisten zu müssen, könnte man nach der Arbeit getrost, zusammen mit dem Auto, in der heimischen Garage zurücklassen.
„Das bringst du aus den Kleidern nicht raus“ zwingt einen förmlich dazu, Zuhause die Business-Klamotten des Berufsdynamikers zusammen mit der Armbanduhr abzulegen und die Home- oder Freizeitkleidung überzustreifen. Allein der Kleiderwechsel könnte schon eine “gemütlichere Gangart” bewirken.
Das Deutschen gehen besonders schnell
Die Gehgeschwindigkeit ist ein guter Indikator für die Messung des Lebenstempos. Für sein 1997 erschienenes, und 2003 überarbeitetes Buch „Eine Landkarte der Zeit„, untersuchte der Amerikaner Robert Levine, Professor für Psychologie der California State University, unter anderem die „Gehgeschwindigkeit“ in 31 Ländern.
Am schnellsten ging man in der Schweiz, gefolgt von Irland, den Niederlanden, England und Deutschland. Lässt man Alter, Größe, Witterung und Fußgängerdichte außer Acht, geht der Mensch in diesen Industrienationen durchschnittlich 1,4 m/s. (In weniger entwickelten Ländern wie Brasilien oder Mexiko wirkten die Menschen nicht nur nicht gehetzt, ihre Gehgeschwindigkeit war auch gemächlicher)
Das Schweizer Ergebnis wurde 2011 von einer Gruppe um Professor A. Diekmann in der Studie „Speed of Life“ konkretisiert. „In Bezug auf den Kleidungsstil kann man feststellen, dass offensichtlich berufstätige Leute deutlich schneller sind als jene mit Freizeitkleidung und Männer schneller laufen als Frauen“.
Wir stecken im „Teufelskreis des Rasierapparates„
Das Tempo des modernen „Zeitalters“ schadet uns „Zeitgenossen“. „Ich rasiere mich schneller, damit ich mehr Zeit habe, eine Maschine zu erfinden, mit der ich mich schneller rasieren kann, damit ich noch mehr Zeit habe …“ (Nicholas Georgescu-Roegen, Ökonom)
Den Angaben des Statistischen Bundesamts zufolge verstarb 2013 jeder zweite an der häufigsten Todesursache, Herz-Kreislauf-Erkrankung (354.493)
Im Privaten sind wir nicht im globalen Wettbewerb, können uns ohne „Zeitverschwendung“ die Frage stellen:
- Muss ich, oder möchte ich das tun?
- Will ich mich wirklich abhetzen, indem ich für den einen Tag noch einen weiteren Termin im Anschluss an den bereits vorgemerkten eintrage?
- Wie könnte es sich anfühlen, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, und das persönliche Lebenstempo dem Diktat der „Uhrzeit“ zu entziehen?
Warten, ob beim Arzt oder auf die Bahn, empfinden wir als „Zeitraubend“.
„Ereigniszeit“ erwartet man nicht, sie bietet sich plötzlich an. Das macht sie „Zeitlos„! Warum sollte man sich und diese „Zeit“ dann unter „Zeitdruck“ setzen?
Man würde es „Zeitlebens“ bereuen“!