Deutsche Wissenschaftler beklagen die negative Entwicklung des demokratischen Gemeinwesens.
Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, VDW e. V. wendet sich mit einer „Erklärung zu den Bedingungen der Demokratie in der Digital-Welt“ an die Öffentlichkeit, in der sie die Sorge der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um die weitere Entwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens ausdrückt. Darin fordert die VDW einen nationalen Gipfel unter Beteiligung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft und die Einrichtung von Enquetekommissionen des Bundestages und des Europäischen Parlaments.
Edward Snowden, dem am 30. August der Whistleblower-Preis verliehen wird, hat mit seinen Enthüllungen den Blick auf die neue Realität der Digital-Welt für uns alle freigegeben. Aus diesem Anlass erklärt Prof. Dr. Ulrich Bartosch, Vorsitzender der VDW:
„In einer monströsen Melange von ökonomischer Logik, militärischem Sicherheitsdenken und politischer Naivität lösen sich die Grundlagen unseres freiheitlichen liberalen Demokratieverständnisses nahezu unbemerkt und schmerzfrei auf.
Als süßes Gift verabreichen wir uns täglich selbst die schleichend wirksame Dosis. Unsere freie Kommunikation durch die elektronischen Medien ist unbestreitbare Grundlage der modernen politischen und wirtschaftlichen Gemeinwesen.
Zugleich ist die rechtliche Verfassung, die unsere Freiheit als Grundordnung bewahrt, offensichtlich für die neue Realität der Digital-Welt nicht mehr wirksam.
Uns beunruhigt zutiefst die neue Art von „Apokalypse-Blindheit“, die uns umgibt. Mit dieser Umschreibung hatte Günther Anders vor Jahrzehnten die beängstigende Naivität der Öffentlichkeit gegenüber den großen existentiellen Fragestellungen des Atomzeitalters bezeichnet. Unsere Sorge ist nicht minder fundamental.“
Die Unterzeichnenden sehen ein demokratisches Gemeinwesen als nötige Basis zur Lösung unserer existentiellen Fragestellungen. Dessen Fundamente werden aktuell staatsgefährdend unterhöhlt.
In der Erklärung heißt es u.a.:
„Als Expertinnen und Experten für die wissenschaftliche Analyse der sozialen und natürlichen Lebensbedingungen unserer modernen Gesellschaft wissen wir, dass die rechtlich verfasste soziale Demokratie ein zerbrechliches Gebilde ist. Sie muss täglich verteidigt und immer wieder neu erkämpft werden.
Wenn die Menschen- und Bürgerrechte unter den Händen der Geheimdienste zerrieben werden, sind Freiheit und Verantwortung als die Grundlagen unseres Zusammenlebens in Gefahr. Die Demokratie wird nicht nur von außen bedroht, sie stellt sich auf diesem Wege selbst in Frage.“
Die VDW steht in der Tradition der „Göttinger Erklärung“ zu den Gefahren einer atomaren Bewaffnung von 1957. Geschäftsführer Reiner Braun: „Es ist dringend nötig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt Gehör und Aufmerksamkeit mit ihrer Sorge um die Zukunft unserer Demokratie finden. Es ist unsere Pflicht, dass wir uns an dieser Stelle melden.“
Die VDW wird in Berlin ab Oktober mit interessierten Kooperationspartnern ein Diskurs-Forum einrichten, das über die grundlegenden Fragestellungen für eine Enquete-Kommission „Zum Schutz der Privatsphäre und der bürgerlichen Freiheiten“ berät.
Hier die Berliner Erklärung zum Download