Die Repräsentantin für europäische Beziehungen des „Westminster Russia Forum“ über unsere Glaubwürdigkeit.
Vorbemerkung von Bernd Schuhböck
Miiam Zwingli, einem größeren Kreis in der Fachwelt bekannt geworden durch ihre Bachelor (1)- und Master (2) Arbeit zur tendenziösen Berichterstattung in deutschen Printmedien (Am Beispiel Obama vs. Putin in „SZ“ und „FAZ“) stellt die Frage nach „unserer“ Glaubwürdigkeit im Fall Nawalny.
„Wir“, die wir von anderen Staaten in zunehmend überheblicher Art die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards einfordern, sollten uns als moderne liberale Gesellschaft doch zu allererst diesen Grundlagen verpflichtet fühlen. Doch „unsere“ rechtsstaatlichen Grundsätze scheinen sich verabschiedet zu haben.
„Wir machen uns große Sorgen wegen der wiederauflebenden Arroganz in Deutschland“.
(Der russische Außenminister Lawrow am 9. Oktober während einer Pressekonferenz mit seinem dänischen Amtskollegen Kofod. Die Geduld Russlands mit der EU und besonders Deutschland scheint am Ende und Russland bereitet sich offensichtlich darauf vor, zumindest deutet eine Rede Lawrows am 13. Oktober beim Valdai-Diskussionsforum darauf hin, die Zusammenarbeit – zumindest vorübergehend – einzustellen)
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Liebe Freunde von Frieden und Völkerverständigung,
ich bin natürlich nicht in das Innenleben der russischen Regierung eingeweiht noch ein Experte der russischen Politik. Daher kann ich den Fall Nawalny nur aus einer makroökonomischen Perspektive kommentieren, wobei ich mich an die Ideen von Klugheit, Logik und Rechtsstaatlichkeit halte. Ich möchte mich auch nicht in Spekulationen über die vielen Details verlieren, die in diesem Fall involviert sind. Lassen Sie mich nur einige Expertengedanken zusammenfassen, die ich für gültig und vertrauenswürdig halte. Wir sprechen von üblichen Verfahren in der Geschichte des russischen Geheimdienstes oder Establishments, die sich mit Personen befassen, die eine potenzielle Bedrohung darstellen.
Der russische Geheimdienst oder das russische Establishment hat diese Personen entweder eliminiert oder versucht, die öffentliche Aufmerksamkeit in Bezug auf diese Personen zu unterdrücken. Der russische Geheimdienst führte solche Missionen normalerweise sehr erfolgreich durch. Dies gilt übrigens für alle Geheimdienste weltweit. Unter dem Gesichtspunkt des Oppositionskonzepts in liberalen Demokratien würden wir die politische Geschichte Russlands im Vergleich eher als anarchistische Bewegungen betrachten.
Was Herrn Nawalny betrifft, würden ihn viele Experten als Oppositionsfigur betrachten. In Russland gibt es zwei Arten von Opposition – systemische (CPRF, LDPR, faires Russland usw.), die in der Duma vertreten sind, und nicht systemische (Navalny / FBK usw.). Während der Wahlen war Herr Nawalny erfolgreich, aber in keiner Weise eine echte Bedrohung für Präsident Putin. Ich möchte nicht näher auf die YouTube-Aktivitäten von Herrn Nawalny eingehen, aber ich denke, dass viele ihn als Populisten betrachten würden. Und Populismus wird von den meisten westlichen politischen Führern sehr missbilligt. Interessant zu sehen, wie in Nawalnys Fall Populismus kein wirkliches Problem zu sein scheint. Aber natürlich hat jeder ein Recht auf seine eigene Meinung.
Lassen Sie mich nun zu dem Hauptpunkt kommen, den ich ansprechen möchte. In erster Linie sind wir als moderne liberale Gesellschaften stolz darauf, uns aus dem dunklen Zeitalter ohne jegliche Rechte zu Rechtsstaaten entwickelt zu haben. Was macht einen Rechtsstaat aus? Erstens, „im Zweifel für den Angeklagten, und zweitens liegt die Beweislast bei der Annklage. Dies sind die Grundlagen, für die so viele so lange gekämpft haben. Wir werfen anderen Staaten oder politischen Systemen vor, diese Grundlagen nicht einzuhalten. Wenn wir diesen Grundsätzen jedoch treu bleiben wollen, müssen wir sie anwenden, insbesondere wenn wir der Meinung sind, dass es sich um eine Grauzone handelt. Andernfalls verlieren wir jegliche Glaubwürdigkeit.
Mirjam Katharina Zwingli
(Dieser Text erschien zuerst im englischen Original auf der Seite des „Westminster Russia Forum“ (WRF). Wir danken der Autorin für die Erlaubnis zur Veröffentlichung in der deutschen Übersetzung)
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(1) Bachelor-Arbeit (2012) – (Abrufbar ist die überarbeitete Fassung von 2014)
(2) Masterarbeit (2015)
Zur Autorin:
Mirjam Katharina Zwingli, Repräsentantin für europäische Beziehungen des in Großbritannien (Dover) ansässigen „Westminster Russia Forum“, lebt als Auslandsschweizerin in Deutschland.
Die Doktorandin der Medienwissenschaft an der LMU München konzentriert sich in ihrer Promotion auf Propaganda und Feinbildforschung in Demokratien. Sie besitzt einen MA in Interkultureller Kommunikation und einen BA in Übersetzungswissenschaft – ihre Studien über die voreingenommene Berichterstattung über Putin gegen Obama in der deutschen Qualitätspresse wurden online veröffentlicht und seitdem referiert.
Gegenstand ihrer laufenden Doktorarbeit ist das russische Image in der deutschen Presse. Frau Zwinglis Forschungsansatz geht davon aus, dass Feindbilder einem größeren Zweck dienen. Mächtige globale Interessen brauchen ein feindliches Image, um ihren Status quo zu etablieren und aufrechtzuerhalten.
Frau Zwingli ist Mitglied des Deutsch-Russischen Forums Berlin. Sie war 2017 Rednerin im EU-Parlament in Brüssel beim Europäisch-Russischen Forum. Sie wurde von der Staatsduma der Russischen Föderation eingeladen, die Präsidentschaftswahlen in Moskau 2018 zu beobachten. Außerdem ist sie Vertreterin des Westminster Russland Forum London für europäische Beziehungen. (Bild © Zwingli)
Zum Westminster Russia Forum (WRF):
Das Westminster Russia Forum (WRF) ist ein in Großbritannien ansässiges gemeinnütziges Mitgliederforum, das 2012 gegründet wurde, um ein besseres kulturelles, wirtschaftliches und politisches Verständnis zwischen Großbritannien und der Russischen Föderation zu fördern. Die Mitglieder des WRF kommen sowohl aus Großbritannien und Russland als auch aus der ehemaligen Sowjetunion. Das WRF organisiert regelmäßig Networking-Veranstaltungen mit einer Vielzahl hochrangiger Redner aus den Bereichen Kultur, Politik und Wirtschaft.