Stolpern wir demnächst in einen Krieg? – Hinweis auf zwei aufschlussreiche Texte aus dieser Woche.
Auch wenn man bei den derzeit stattfindenden Verhandlungen zur Regierungsbildung viele ausblendet: Es gibt massive, meist von Politikern verursachte zukunftsbeeinflussende Probleme in Deutschland.
Prekäre und unsoziale Beschäftigung trotz boomender Wirtschaft, ansteigende Privatisierung staatlicher Daseinsvorsorge, zunehmende Altersarmut durch falsche Rentenpolitik oder dem System der Marktwirtschaft wiedersprechende staatlich finanzierte Rettungsprogramme für Banken und sonstige Verfechter des Bekenntnisses „der Markt wird´s schon richten“ Protagonisten.
Es gibt keinen Bereich und keine Gruppierung in der lohnabhängigen deutschen Erwerbsgesellschaft, die im staatlichen Handeln kein signifikantes Problem hinsichtlich ihrer Lebenswirklichkeit benennen könnte.
Doch für uns Deutsche könnten die in Auswirkung und Intensität persönlich unterschiedlich spürbaren Konsequenzen nachlässigen staatlichen Handelns schlagartig vergessen sein, wenn wir auf eine, für alle gleichartig spürbare Monstrosität zurück geworfen würden:
Es ist Krieg. Und viele, aber vor allem alle Deutschen, wären gleichermaßen davon betroffen.
Doch das scheint uns nicht zu beunruhigen, da wir mit der Lösung unserer partikulären Lebensprobleme mehr beschäftigt sind, als dem lösungsorientierten Hinterfragen einer alle erfassenden universellen Bedrohungen. Einer Bedrohung, die uns täglich durch „dominanten, politik-, staats-, und wirtschaftsnahen Journalismus“ vermittelt wird.
Ja gibt es diese Bedrohung wirklich, und wer bedroht uns? Oder wird da von interessierter Seite eine Bedrohung herbeigedeutet/geschrieben, um eine alte, die Beziehungen zweier europäischer Länder destabilisierende, aber transatlantisch und geostrategisch motivierte Allmachtsfantasie durch einen Krieg zu befriedigen?
Müssen wir uns wegen einer fiktiven Bedrohung auf die reale Bedrohung eines fiktiv sich bedroht fühlenden Kriegstreibers einstellen?
Aus dem aktuell in unseren Kinos laufenden Film „Downsizing“, blieb mir der Satz einer nur rudimentär englisch sprechenden Vietnamesin in Erinnerung. In Kenntnis der unmittelbar bevorstehenden Ausrottung der Menschheit (hier durch Klimawandel) blickt sie aus einem Flugzeug lange auf die unter ihr vorbeiziehende Erde, um anschließend dem mit fragendem Gesichtsausdruck wartenden Sitznachbarn zu erklären:
„Wenn du wissen, Tod kommt bald, du anschauen Dinge mehr genau“.
Schauen wir uns „die Dinge“ um uns herum also „mehr genau“ an.
Deutschland hat sich mit seiner aktuellen Russlandpolitik in eine Situation manövriert, in der es die auf der Krim auch heute noch gefunden sterblichen Überreste deutscher Soldaten auf einem dortigen deutschen Soldatenfriedhof nicht beisetzen lässt.
„Die dafür zuständigen deutschen Behörden verweigern jede Zusammenarbeit mit den russischen Behörden. Wendet man sich an den Herrn Bundespräsidenten, bleibt man ohne Antwort“ schreibt Willy Wimmer, Staatssekretär der Verteidigung a.D, diese Woche auf den „NachDenkSeiten“.
(Daran werde ich sicher denken, wenn wie alljährlich im Herbst die Haus- und Straßensammlung des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Landkreis Pfaffenhofen stattfindet. Bin gespannt, wie die Mitglieder der Krieger-, Soldaten- und Kameradenvereine auf den oben geschilderten Umstand reagieren)
„Was soll man von einem Land halten, das sich seinen Gefallenen gegenüber wegen der aktuellen NATO-Politik so verhält?“ fragt Wimmer in seinem Beitrag.
„Warum wird fünfundsiebzig Jahre nach dem Ende der Stalingrader Schlacht nicht der Millionen Opfer dieses Krieges gedacht? Warum weigert sich die Bundesregierung, den Opfern die Ehre zu erweisen? Warum lassen wir uns gegen Russland durch eine ebenso verlogene wie aggressive Politik wieder in Stellung bringen?“
Dabei sei es noch nicht lange her, „dass im Sommer 2012 das Stabsmusikcorps der Bundeswehr noch auf dem Roten Platz in Moskau aufspielen konnte“. Warum sprechen wir in Europa von Krieg mit und gegen Russland, obwohl es doch „Moskau war, das den Schlüssel für die Einheit Deutschlands uns zu treuen Händen überlassen hatte“.
„Wir müssen den europäischen Automatismus stoppen und uns dem Krieg verweigern“ appelliert Wimmer.
Sieht Willi Wimmer in seinem Beitrag auf den NachDenkSeiten das geschichtsvergessene Handeln der derzeitigen Bundesregierung als Wegmarkierung auf dem Weg des sich vasallenhaft verhaltenden Deutschlands in eine kriegerische Auseinandersetzung, beleuchtet der Hörfunk- und Sachbuchautor Ulrich Teusch die Defizite in der „multi-perspektivischen“ Berichterstattung. Als Rezipient von Informationen sollte man sich gerade jetzt vor Augen halten: Bei der „Vorbereitung eines Krieges ist das erste Opfer die Tatsachenwahrheit“.
„Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit“ überschrieb Ulrich Teusch (Autor von „Lückenpresse“) sein Referat auf der Tagung „Krieg und Frieden in den Medien“ am 27. Januar 2018 in Kassel.
Das die in ihrer Bedeutung „einseitige Berichterstattung und gezielte Desinformation“ (WIKI) ausdrückende Feststellung seit Monaten in der deutschen Berichterstattung Fahrt aufnimmt, analysiert Teusch eingängig.
Die Aufgabe von Journalisten sei es, so Teusch, „so wahrhaftig und wahrheitsgetreu wie irgend möglich zu informieren“. Nicht aber Tatsachen als Meinungen, Meinungen als Tatsachen verkaufen.
„Statt Meinungen oder Ansichten zu disziplinieren“, Teusch nimmt hier eine Anleihe bei der Politik-Theoretikerin Hannah Arendt, „würden Tatsachenwahrheiten von Ansichten und Meinungen bedroht. Anders gesagt: Tatsachen werden zu bloßen Meinungen abgewertet – und im Gegenzug werden Meinungen zu Tatsachen erklärt„.
Wie das geht, erklärte Teusch an einem fiktiven Beispiel.
(Anmerkung: Wen sie beim Lesen des nun folgenden -fiktiven- Beispiels eine Erinnerung beschleicht, so muss die nicht unbedingt falsch sein)
Eine Polit-Talkshow. Beispiel, sagen wir: eine „Anne Will“-Sendung. Thema sei, wieder einmal, Russland/Ukraine. Nun sagt einer der Diskutanten Folgendes:
„Also, Frau Will, ich habe große Zweifel, ob es sich bei dem Umsturz vom Februar 2014, wie hier eben behauptet wurde, um einen legitimen Machtwechsel handelte. Zunächst ist mal fraglich, ob die Leute auf dem Kiewer Maidan überhaupt die ukrainische Gesamtbevölkerung in irgendeiner Weise repräsentiert haben.
Zudem hat es nachweisbar im Vorfeld und während der Proteste eine massive Einmischung des Westens in die innerukrainischen Angelegenheiten gegeben. Kurz vor dem Machtwechsel war eine Vereinbarung für einen geordneten Übergang getroffen worden, die dann kurzerhand wieder gekippt wurde. Auf dem Maidan kam es zu einer Gewalteskalation, und die aufwändigen Recherchen, die seither unternommen wurden, zeigen, dass es offenbar Kräfte gab, die diese Eskalation bewusst provoziert haben, um einen Umsturz herbeizuführen.
Und auch die Abstimmung in der Rada, dem Parlament, lässt Zweifel an der Legitimität des Machtwechsels zu. Kurzum, aus meiner Sicht war das alles nicht legitim, sondern ein Putsch.“
Vorausgesetzt, man hat den Diskutanten überhaupt ausreden lassen, kommt dann die Gegenrede, und die geht so:
„Also, ich finde es unerträglich, dass ich mir hier so etwas anhören muss. Es ist ungeheuerlich. Was Sie da erzählen, hat mit den Fakten nichts, aber auch rein gar nichts zu tun. Was Sie hier verbreiten, das ist reinste russische Propaganda.
Das sind genau die Lügen, die Putin und Lawrow nach der Flucht Janukowitschs erzählt haben und seither über ihre Propagandamedien in die Köpfe der Menschen zu hämmern versuchen, und Sie übernehmen das hier eins zu eins. Ich bestreite nicht Ihr Recht, dieses Zeug hier zu erzählen, wir haben ja Meinungsfreiheit – anders als in Russland.
Aber die Menschen hier im Studio und draußen im Lande müssen wissen, dass Sie hier nichts anderes machen als russische Propaganda nachzubeten, russische Propaganda, das muss man mal ganz deutlich sagen!“
An dieser Stelle tritt der Vorklatscher in Aktion, und ein großer Teil des Publikums klatscht mit, was der Moderatorin die Gelegenheit gibt, Folgendes zu sagen:
„Ja, ich denke, wir können das jetzt sicher hier nicht klären, aber die Standpunkte sind ja hinlänglich klar. Ich möchte die Diskussion jetzt mal ein bisschen von der Vergangenheit weglenken und Herrn Röttgen das Wort geben, verbunden mit der Frage…“
Und so weiter und so fort. Ein fiktives Beispiel, wie gesagt. Die Wirklichkeit ist manchmal noch drastischer, wie Michael Lüders erfahren musste.
Hier geht’s zur Verschriftung des Referats von Ulrich Teusch
Das waren also Auschnitte aus zwei Texten, deren Links man folgen und das dann Aufpoppende mal lesen könnte. Danach kann man sich ja fragen, ob man sich manipulieren lassen möchte, eventuell doch lautstark multi-perspektivischen, diskursiven Journalismus einfordert, oder, ich gebe zu, das wäre jetzt ganz verwegen, wie von der Holocaust-Überlebenden Lasker-Wallfisch in anderem Zusammenhang im Bundestag geäußert, der Hoffnung Raum gibt, „dass womöglich letzten Endes der Verstand siegt.“
Denn die Antwort, „das haben wir nicht gewusst“, wurde von unseren Vorfahren schon überstrapaziert und wäre im Internetzeitalter vollkommen unglaubwürdig.