Gesundheitspolitik 2 – Die Rezepte der Stümper

Lesedauer 6 Minuten

Ein Gastartikel von Elena Melanchthon-Öller (Privatdozentin und Gesundheitsforscherin) / Im ersten Teil wurde von Bürgersicht die schwierige und teilweise chaotische Finanzierung des Gesundheitssystems der BRD beleuchtet. Die Möglichkeit einer Steuerfinanzierung wurde im Gegensatz zur Finanzierung über die Bruttolöhne dargestellt, sowie die daraus für die CDU/SCU und besonders für die FDP erwachsenden ausweglosen Probleme.

Falsches Sparen wie in Griechenland zu König Ottos Zeiten

Eine erhebliche Schwierigkeit bei der Ordnung der Finanzen liegt darin, dass Gesundheit überaus teuer ist und dass sie infolge kommender fast unvorstellbarer Möglichkeiten noch teurer sein wird. Keinesfalls denkbar sind Wege, wie sie zum Beispiel im 19. Jahrhundert in Griechenland beschritten wurden. Damals sparte man sich die Kosten für psychiatrische Kliniken indem man die Kranken in die Klöster einwies. Diese Art der Kostendämpfung war weder erfreulich für die Kranken noch für die Mönche als Psychiater wider Willen. (Siehe dazu das Buch von PD Maria Ruisinger)

Dauerversagen bei der Kostendämpfung

Betrachtet man die verzweifelten Strampeleien der Gesundheitsminister der vergangenen Jahrzehnte, so war Gesundheitspolitik immer eine verkappte Finanzpolitik Man wollte alles billig haben. Nicht so billig wie die griechische Verwaltung im 19.Jahrhundert vielleicht. Dennoch standen die Gesundheitsausgaben als vermeintlich störender Faktor immer im Fokus. Noch jeder Gesundheitsminister trat als prekärer Appendix des jeweiligen Wirtschaftsministers auf.

Dank dieser abseitigen Auffassung von Gesundheitspolitik war das große Feilschen angesagt. Das Ziel fast aller Bemühungen war möglichst viele „Leistungen“ für möglichst wenig Geld zu ergattern.

Eine latent betrügerische Grundhaltung der Politik kollidierte mit einer sich sprunghaft entwickelnden medizinischen Wissenschaft und den sich entsprechend erweiternden Möglichkeiten der Therapie.

Das Lieblingswort der überforderten Mandatsträger und Funktionäre war das Wort „Kostendämpfung“. Andere bevorzugte Begriffe waren „strukturelle Reserven“, auch „Wirtschaftlichkeitsreserven“ genannt und „Wettbewerb“, so als könne man die Masseure und die Augenärzte Hamburgs in einen Wettbewerb mit ihren Kollegen in Rosenheim hetzen und dadurch von unerhörten Dumpingpreisen profitieren.

Rollstühle und Medikamente haben phantastische Preise

Teilweise hat der Versuch, die Leistungserbringer auszuquetschen auch funktioniert. Nur in einigen entscheidenden Bereichen zog man den Kürzeren. Die Transportkosten, die Kosten für Hilfsmittel (also Rollstühle, Krankenbetten, Schienen etc.), die stationären Kosten und die Arzneikosten stiegen in beängstigende Höhen.

Je heftiger bei den ambulanten Ärzten, genauer bei den Hausärzten (Anm. Admin: siehe Teil 3 der Serie) gespart wurde, desto ungebremster stiegen die ohnehin viel bedeutenderen oben genannten Kosten.

Deutschland blieb bei den Medikamenten ein Hochpreisland und jeder, der die Preise in anderen europäischen Ländern kennt, kann davon ein Lied singen. Ausgerechnet die FDP, deren tiefe Sympathie zur großen Industrie eine Art Achillesferse darstellt, wird daran garantiert nichts ändern. Diese Partei kennt die Farbe des Geldes einfach zu gut.

So klappt es mit der Gesundheit

Damit stellt sich die Frage, ob die herkömmliche Art von Gesundheitspolitik für immer zur Erfolglosigkeit verdammt ist.

Oder:

Wäre eine Politik denkbar, bei der die Gesundheitskosten sinken oder zumindest stagnieren ohne die Rosstäuscherei, dass man Kosten auf die Privatschatulle der Bürger abschiebt?

Gibt es echte strukturelle Ressourcen, die darin bestehen, dass die Menschen gesünder werden und dass deshalb weniger „Leistungen“ verbraucht werden?

Einige interessante Antworten auf diese Fragen geben viele Gesundheitsforscher und Epidemiologen.

Hier drei willkürlich gewählte Beispiele wie eine effektive Gesundheitspolitik aussehen könnte:

Salzkonsum

Es ist inzwischen der Zusammenhang von Salzkonsum und Blutdruck bekannt. (Artikel dazu auf  Medical Tribune public)

Könnte man den derzeitigen Verbrauch von 9 -12 Gramm Salz täglich auf ausreichende 6 Gramm senken, dann wäre damit eine merkbare durchschnittliche Blutdrucksenkung Verbunden. Das wiederum hätte beachtliche Folgen beim Medikamentenverbrauch, bei Schlaganfällen, bei Herz- und Gefäßkrankheiten. Die Einsparungen lägen geschätzt im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich.

Ein Gesundheitsminister müsste einen gesellschaftlichen Dialog anregen in dessen Verlauf zehntausende von Lebensmittelherstellern und Gastronomen schrittweise das Salz in den Rezepturen verringern. Durch Experimente ist belegt, dass die Konsumenten diese Umstellung nicht bemerken würden, falls sie langsam genug und flächendeckend durchgeführt würde.

Fett

Derzeit gibt es etwa acht Millionen Bundesbürger mit einem Diabetes mellitus Typ 2, also mit einem erhöhten Blutzucker. Unbestritten besteht bei dieser Erkrankung ein enger Zusammenhang mit zuviel Körperfett und zu schwacher Muskulatur.

Die Gesundheitspolitiker müssten regeln, dass bei den Krankenkassen bekannte Diabetiker vom Typ 2 jährlich zur Fettmessung gebeten werden. Nach ihrem Körper-Fettgehalt wäre dann der Krankenversicherungsbeitrag zu bemessen, der sich in empfindliche Höhen steigern könnte.

Zugegeben, diese Methode ist hart. Aber sie setzt am Verursacherprinzip an. Damit wären nicht nur sechs Millionen Diabetiker weitgehend heilbar. Darüber hinaus rechnen sich als Extrabonus Einsparungen im zweistelligen Milliardenbereich.

Alkohol

Alkohol ist ein weiteres massives Gesundheitsproblem. Wir haben Millionen Alkoholiker im Land.

Aber schon im Vorfeld dieses Missstandes ergibt sich ein verblüffender Ansatzpunkt. Ähnlich wie bei der Kfz-Versicherung könnte man bei Gesundheitskosten, die durch fahrlässige Trunkenheit herbeigeführt werden, einen Haftungsausschluss vornehmen bzw. eine Eigenbeteiligung in Höhe von mehreren tausend Euro einführen.

Verletzt sich jemand unter Alkoholeinfluss oder wird jemand volltrunken in die Intensiv-Station gekarrt (Koma-Saufen), so wird eine empfindliche Zuzahlung bei Transportkosten und Krankenhauskosten fällig.

Auch in diesem Bereich ist ein einstelliger Milliardenbetrag zu holen.

Bei genauer Erforschung würde eine Gesundheitspolitik, die diesen Namen auch verdient, noch zahlreiche strukturelle Maßnahmen entdecken, die über eine Verbesserung der kollektiven Gesundheit die Kosten senken. Der derzeitige Gesundheitsminister will in verzweifelten Klimmzügen einen umstrittenen Zusatzbeitrag einführen wegen fehlender neun Milliarden Euro. Schon die drei vorgestellten Beispiele beinhalten ein viermal höheres Finanzvolumen.

Die Gesundheitspolitik muss sich aus dem kranken Zwangsdenken um die Gesundheitskosten befreien. Das einzige Ziel sind gesunde BürgerInnen. Die Kostendämpfung entsteht als Nebeneffekt weil der gesundheitlich stabile Mensch weniger Gesundheitsleistungen benötigt.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

Schon gelesen?

Geisenfeld -Protest der Landwirte nimmt kein Ende

Landwirte in Oberbayern auf dem Weg zu einem Protesttreffen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert