Die ungeklärte Frage für den deutschen Souverän.
Dumme Fragen gäbe es angeblich nicht. Es gäbe nur dumme Antworten hört man allenthalben. Abgesehen von der Einschränkung, dass man das genaue Gegenteil auf Elternabenden erleben könne, würde man dieser vom 1996 verstorbenen US-amerikanischen Astronom, Astrophysiker, Schriftsteller und Pulitzer-Preisträgers Carl Sagan entlehnten Feststellung im Großen und Ganzen zustimmen können. „Es gibt naive Fragen, langweilige Fragen, schlecht formulierte Fragen … aber jede Frage ist ein Schrei nach Verständnis. Es gibt keine dummen Fragen“ präzisierte Sagan seine Sichtweise.
Gibt man der Metapher vom „Schrei nach Verständnis“ etwas Spielraum und interessiert sich anlässlich der aktuellen militärischen Auseinandersetzung der NATO mit Russland für die Frage, wie groß die Zerstörung für Deutschland und andere Länder Europas in einem sich konventionell und/oder nuklear ausweitenden Konfliktfall wohl wären, dürfte es in der Bundespressekonferenz vom 30. Oktober 2020 – metaphorisch gesehen-, ziemlich laut gewesen sein. Dort, so erfährt man auf Seite 70 ff des aktuellen Buches „Kriegsspiele – Wie NATO und Pentagon die Zerstörung Europas simulieren“ von Bestsellerautor Jonas Tögel, wie der Journalist Florian Warweg versuchte, Antworten auf folgende Frage zu bekommen: Was muss man darunter verstehen, wenn die NATO in der Übung „Steadfast Noon“ den Abwurf von Atombomben auf Europa trainieren?
„Heißt das, dass das Trainieren des Abwurfs von US-Atomwaffen durch deutsche Tornados auf deutschem Staatsgebiet in der NATO-Logik unter Verteidigung des Bundesgebietes fällt“? Auf diese konkrete Frage konnte Oberst Arne Collatz mit Verweis auf „die Informationspolitik der Bundesregierung“ und der „Geheimhaltungsregeln des Bündnisses“ zu den „Details der Umsetzung keine Angaben machen“.
Obwohl es in der deutschen Bevölkerung von besonderem Interesse sei, so Tögel in seinem Buch, ob die NATO bei dieser und nachfolgenden Übungen nun den Abwurf von Atomwaffen „in“ Europa, oder aber „auf“ Europa“ übte, blieb auch bei der 2024er „Steadfast Noon“-Übung ungeklärt.
Mit dieser Geheimhaltung wird die Idee von der Volkssouveränität ad absurdum geführt. Planspiele, bei denen es um das Schicksal des eigenen Landes im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung geht und die Staatsgewalt dabei weder kontrollierbar noch rechenschaftspflichtig ist, sind für den demokratischen Souverän nicht hinnehmbar.
Doch der innere Olaf des deutschen Volkes, um einen älteren Werbespot für Hustensaft zu zitieren, scheint schrecklichen Husten zu haben. Sonst müsste der „Aufschrei nach Verständnis“ zu den seit 1945 im Buch von Jonas Tögel ausführlich beschriebenen Planspielen zu Deutschland unüberhörbar sein.