Das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung hat Vorrang.
„Es geht nicht an, dass 80 Millionen Bundesbürger mit Kameras herumlaufen, um irgendwelche Situationen aufnehmen zu können, die eine Straftat aufdecken könnten“.
Was dem Staat durch permanente Videoaufnahmen zur Aufklärung von Straftaten erlaubt ist, bleibt dem einzelnen Bürger verwehrt. Weil ihr Auto schon mal beschädigt wurde, installierte eine Autobesitzerin zur Dokumentation einer erneut möglichen Beschädigung an Vorder- und Rückseite ihres Autos Videokameras. Der Vorfall trat ein, sie übergab die Aufnahmen als Beweismittel der Polizei und wurde vom Amtsgericht wegen „vorsätzlicher unbefugter Erhebung und Verarbeitung und Bereithaltung von personenbezogenen Daten“ verurteilt.
Auszug aus der Pressemeldung des Amtsgerichts München (02.10.2017)
„Nach Auffassung des Gerichtes überwiegt hier im vorliegenden Fall das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung. Das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung von einer potentiellen Straftat muss hierbei zurückstehen. Das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraums verletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und stellt einen schwerwiegenden Eingriff in dieses Recht dar“.
Die geschädigte Autobesitzerin war der Meinung, „dass durch die Aufnahme von Autokennzeichen keine schützenswerten Daten erhoben und gespeichert worden seien. Es sei ihr nur darauf angekommen, potentielle Täter einer Sachbeschädigung am PKW ermitteln zu können. Die einzelnen Fahrer der entsprechenden vor oder hinter dem PKW parkenden Autos seien nicht erkennbar gewesen“.
Der Richter sah das anders, (Urteil des Amtsgerichts München vom 09.08.2017, Aktenzeichen 1112 OWi 300 Js 121012/17) und erkannte auf „Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz“ und verhängte eine Geldbuße von 150 €. Bei der Höhe der Geldbuße -das Gesetz sieht eine Geldbuße bis zu 300.000 Euro vor- berücksichtigte das Gericht jedoch, dass die Betroffene nur 1500 Euro netto verdient. „Zu ihren Gunsten konnte gewertet werden, dass offenbar in der Vergangenheit das Fahrzeug schon einmal beschädigt worden ist und die Betroffene subjektiv einen Anlass hatte, die Kameras einzusetzen“.
Dazu 2 Anmerkungen:
Urteilswirrwarr
Videoaufnahmen werden in ähnlich gelagerten Fällen von einigen Gerichten „im konkreten Einzelfall tendenziell für verwertbar“ angesehen. So zum Beispiel das Oberlandesgericht Stuttgart. Es ließ im Juli 2017 Videoaufnahmen (eines am Verkehrsunfall beteiligten) als Beweismittel zu, betonte aber, dass es den sogenannten Dashcam-Mitschnitt des Klägers aufgrund einer Interessenabwägung „tendenziell“ für verwertbar halte. Die sich zum Thema quer durch Deutschland unterschiedlich darstellenden Rechtsprechungen sind Ergebnis des Fehlens veröffentlichter Entscheidung höherer Gerichte. Es wird Zeit dies endlich Höchstrichterlich in Angriff zu nehmen. Und noch eins: Hätte der Richter im vorliegenden Fall bei einem Personenschaden anders entschieden und zumindest die Strafverfolgung des Schädigers erwogen?
Bürger verlieren den Glauben an den Rechtsstaat
Videoüberwachung, hier, Videoüberwachung dort. Nach Angaben der „SZ“ vom Dezember 2016 waren in Bayern bereits „Ende 2012 mehr als 17 000 Kameras aktiv“. (Aktuellere Daten liegen mir nicht vor, die Zahlen dürften jedoch -bedingt durch die Terrorereignisse in den Folgejahren- massiv gestiegen sein)
Warum gesteht man dem Staat bei der Strafverfolgung etwas zu, was man dem Bürger im zivilen Leben verweigert? Dieses Messen mit zweierlei Maß, und nichts anderes ist es, was der Bürger hier empfindet, destabilisiert das Vertrauen in den Rechtsstaat. Zumal staatliche Überwachung von den Bürgern nur als Aushöhlung ihrer Bürgerrechte verstanden wird, die von Bürgern vorgenommen Überwachungsmaßnahmen aber ganz konkret dem Schutz ihres Eigentums dienen.