Sanktionen – Wenn über 700 US-Diplomaten Russland verlassen müssen

Lesedauer 3 Minuten

Weil keiner von ihnen Diplomatie konnte?

455 Botschaftsmitarbeiter hüben wie drüben, lautet die Antwort des Kreml auf die neuesten Sanktionen des US-Senats vom Juli gegenüber Russland. Hatte man in Moskau auf die vom damaligen US-Präsidenten Obama Ende 2016 angeordnete Ausweisung von 35 russischen Diplomaten nur mit förmlichen Protest reagiert, wolle man, nachdem man „eine Weile auf positive Veränderungen“ aus den USA gewartet habe nun zeigen, „dass wir nichts unbeantwortet lassen“, erklärte der russische Präsident Wladimir Putin am Sonntag gegenüber russischen Medien.

Hatte Obama am 29. Dezember verlangt, die 35 russischen Diplomaten müssten innerhalb 72 Stunden die USA verlassen (Mit Angehörigen insgesamt 96 Personen) gibt der Kremel den US-Diplomaten einen Monat Zeit, Russland zu verlassen. Damit haben 755 US-Vertreter (und ihre Angehörigen) etwas mehr Zeit, ihre Rückreise bis 1. September geordneter organisieren zu können, als es ihre aus den USA ausgewiesenen russischen Kollegen bewerkstelligen konnten. Diese mussten von einer russischen Maschine abgeholt werden, da es innerhalb der 72-Stunden Frist keine Flugtickets mehr gab.

Am Rande noch eine interessante Beobachtung zur Berichterstattung im deutschen Mainstream.

Allzu viel wird dort ja nicht mehr recherchiert in den Redaktionsstuben. Da wartet man lieber auf Agenturmeldungen (z.B. von der „dpa“) schreibt deren Highlight etwas um, und stellt es als Aufmacher auf die Online-Seite.

Zack, von SZ bis FAZ, von Zeit bis Welt, alle denselben Aufmacher. Alle am Sonntag gegen 20:30 Uhr. Alle mit der Schlagzeile „Russland weist 755 amerikanische Diplomaten aus“, oder leicht abgewandelt.

Hintergrund der Meldung war ein Interview des Moskauer Fernsehsenders „Rossija 24“ mit Wladimir Putin um 20 Uhr Ortszeit. ( 19 Uhr Deutschland)
Aus diesem -üblicherweise von der „dpa“ schnell übersetzten- Interview erfuhr die deutsche Presse aktuell Zahlen, die ihnen, Recherche vorausgesetzt, längst bekannt sein müssten.

Zum einen hieß es bereits am 28. Juli in einer Erklärung des Außenministeriums der Russischen Föderation vom 28.Juli (muss man nicht übersetzen, gibt´s auf der Website auch in deutscher Sprache): „Das bedeutet, dass die Gesamtzahl des Personals, das in US-amerikanischen diplomatischen und konsularischen Einrichtungen in der Russischen Föderation beschäftigt ist, auf 455 Menschen reduziert wird. Im Falle neuer einseitiger Handlungen der US-Behörden zum Abbau der Zahl unserer Diplomaten in den USA wird man in gleicher Weise reagieren“. (Jetzt müsste man eben recherchieren, wieviel Personal die Amerikaner in Russland so haben)

Zum anderen veröffentlichte die deutschsprachige „Kaliningrad-Domizil, eine deutsche Informationsagentur in Kaliningrad, am Abend des 29. Juli unter dem TitelUSA protestieren gegen russische Sanktionen“ eine Meldung für den 30. Juli mit der Zahl der ausgewiesenen US-Diplomaten. „Im Rahmen der Sanktionen wurden zwei Immobilienobjekte für die weitere Nutzung durch US-Diplomaten gesperrt und es haben rund 700 US-Diplomaten das Land zu verlassen. Die USA sind außerordentlich besorgt und protestieren – so eine Sprecherin“. (Jetzt müsste man als Journalist nur noch 1+1 zusammenzählen-können)

Da man im deutschen Mainstream statt zu recherchieren, lieber wie alle anderen zugelieferte Meldungen abdruckt, kann man sich nach dem Putin Interview den zwischen 19 und 20 Uhr einsetzenden Erkenntnisgewinn lebhaft vorstellen.

Über 1200 US-Diplomaten sind da insgesamt in Moskau und St. Petersburg unterwegs. Und keiner von denen kann Diplomatie“.

Eventuell recherchiert jetzt einer aus den Redaktionsstuben der „Wahrheitslieferanten“ und liefert demnächst einen Bericht darüber, wie sich zum Beispiel die Moskauer freuen, über die Vielzahl der großen, frei werdenden Diplomatenwohnungen.

Zusätzliches zum Thema:

– Neue Sanktionen gegen Russland. Wie kam es dazu?
– Wenn 7 etwas sehen, was der 8. und der große Rest nicht sieht

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

Schon gelesen?

Was Jugendliche unter „Demokratie“ verstehen. Verstehen sie da etwas falsch?

Ein kleiner Ausschnitt aus der „Langen Nacht der Demokratie 2020“ im Bayer. Landtag