Verstehen wir nicht mehr was Krieg bedeutet, und was da auf uns noch zukommen könnte?
Beginnen wir mit einem durchaus dummen Satz unserer Außenministerin. Mit „Wir sind schließlich im Krieg gegen Russland ….“ („We are fighting a war against Russia, not against each other.„), versuchte sie im Januar 2023 vor der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg den Zusammenhalt des Westens bezüglich des Krieges in der Ukraine zu beschwören.
Unabhängig davon, dass nicht „WIR“, sondern die Ukraine sich im Krieg mit Russland befindet, gab und gibt es bis heute zahlreiche Einlassungen von Politikern, Militärs und „Experten“, die dieses „WIR gegen Russland“ offensiv weitertragen und dabei öffentlich allerlei Eskalationsgesabbel gegen Russland absondern.
„Wir“ müssten die Ukraine durch die Lieferung geeigneter Waffen in die Lage versetzen, „den Krieg nach Russland zu tragen“, damit russische Militäreinrichtungen, Ministerien und Hauptquartiere zerstört werden können. Die russische Zivilbevölkerung würde dann am eigenen Leib spüren, was Krieg bedeutet.
„Wir“ könnten, sofern CDU-Chef Friedrich Merz Kanzler würde und/oder der Grüne Robert Habeck erneut ein Ministeramt bekommen würde (beide würden nachfolgendes befürworten), die mit erheblichen Eskalationspotential behafteten Taurus-Marschflugkörper bedenkenlos an die Ukraine liefern, da „Putins“ Drohung mit taktischen Atomschlägen ja eh nur heiße Luft wäre.
Und wenn das alles nicht hilft, und der Ukraine doch eine Niederlage drohen würde, könnte man doch NATO-Truppen in die Ukraine schicken, oder, wenn man es clever anstellt, mit einem gewaltigen Erstschlag die russische Militärmaschinerie ausschalten. (Wobei die von Russland gerade ins Schaufenster gestellte „Oreschnik„-Rakete, eine Waffe, die Befehlszentren und Militärbasen auf dem europäischen Territorium, einschließlich London -auch ohne atomare Bestückung aber zeitgleich- in Schutt und Asche legen könnte, diese Überlegungen als selbstmörderisch ausweisen würde)
Was hier so technisch klingt, lässt den schrecklichsten und unmenschlichsten Aspekt völlig außer Acht:
Das Leid und das hunderttausend- womöglich millionenfache Verrecken von Menschen.
Geschosse und Raketen fliegen nicht nur.
Nein. Wenn sie einschlagen zerfetzen sie Menschen. Da fliegen Köpfe, Beine, Arme, Hände oder auch nur Teile davon durch die Luft. Verletzte halten ihre Gedärme in den Händen und das aus ihnen herausströmende Blut vermischt sich mit Fäkalien aus perforierten Eingeweiden. Bestialischer Gestank und schmerzerfüllte Schreie erfüllen die Luft.
Das ist sie, die neben den Fernsehbildern von zertrümmerten Gebäuden und zerstörten militärischen Geräten unmittelbarste, bestialischste Dimension von „WIR sind im Krieg“.
Sind wir wirklich so lethargisch, so wohlstandsversaut, dass wir das nicht mehr wahrnehmen (wollen)? Oder glauben wir, solange dieses Sterben nicht in unserem Land stattfände, das es uns nicht beträfe?
Mittlerweile gibt es unzählige Kriegsfilme, von den nicht wenige genau diese Grausamkeiten in detailliertesten Bildern zeigen. Bilder, die von Millionen und Abermillionen erschütterter Kinobesucher in Deutschland gesehen wurden.
Wo sind diese Millionen und Abermillionen, wenn es darum geht, den dabei empfundenen Ekel, die dabei empfundene menschliche Regung auf die Straße zu tragen, um gegen menschenzerfetzende, menschenverstümmelnde oder einfach nur menschenverachtende kriegerische Zustände zu protestieren? Und dabei auch Befürworter und Profiteure benennen.
Wenn grausame Bilder schon keine menschlichen Gefühle in uns zu wecken vermögen, so sind es vielleicht Erzählungen aus dem Familienkreis oder „ehrliche“ Erinnerungen aus dem weiteren Umfeld, die die Schrecken des Krieges greifbar machen. Wobei diese Erzählungen auch ohne Leichen und Blut die Schrecken des Krieges vermitteln können. Psychische Ausnahmesituation gibt es im Krieg nicht nur auf dem Schlachtfeld.
Von zweien kann ich hier berichten.
Hier die erste:
Meine Mutter (Jahrgang 1922), im WK2 als junge Krankenschwester z. B. in Italien eingesetzt, erzählte meist nur auf bohrendes Nachfragen, und dann auch nur sehr selektiv, von ihren Erlebnissen im Krieg. Ausschließlich in Krankenhäusern und Lazaretten tätig, war sie, bis auf ihren Einsatz im Frühjahr 1944 in der Nähe des schwer umkämpften italienischen Monte Cassino, nie auch nur in der Nähe von Kampfhandlungen. Und doch kam sie in Italien in eine für sie traumatische Situation, in der ihr Leben, direkt und unmittelbar, bedroht wurde. Bedroht von einem Angehörigen des bisher wichtigsten Verbündeten Hitlerdeutschlands: Einem italienischen Soldaten! Dieser hatte, nach dem Italien einen geheim ausgehandelten Waffenstillstand mit den Alliierten einging, zusammen mit einer kleinen Einheit eine Gruppe weiblichen Sanitätspersonals festgesetzt, gefangen genommen und eingesperrt. Einer aus dieser Truppe tapferer Italiener tat sich dabei gegenüber den Krankenschwestern besonders hervor. Unter dem aufmunternden Gejohle seiner Kameraden hielt er meiner Mutter sein Gewehr an den Kopf und drohte sie zu erschießen. Er sei jetzt der Herr über Leben und Tod der Tedesko. (Wenige Stunden später bereitete eine Einheit deutscher Soldaten dem Spuk ein Ende, und befreite, ohne nennenswerte Gegenwehr der italienischen Soldaten, die Frauen aus ihrer Gefangenschaft.)
Und hier die zweite, aus meinem früheren Umfeld:
Als ich 1971 zum Wehrdienst in eine Gebirgsjägerbrigade eingezogen wurde, erfuhr ich einige Wochen später, dass diese Brigade drei Jahre zuvor, anlässlich des am 20. August 1968 von der Sowjetunion angeführten Einmarsch der „Warschauer Pakt-Staaten“ in die Tschechoslowakei (heute in die Staaten Tschechien und Slowakei aufgeteilt) mit Sack und Pack in einen „Südost-Bereitstellungsraum“, einem wichtigen Abschnitt der NATO-Linie verlegt wurde. (Spätere Recherchen ergaben, nicht zuletzt aus Materialien der NVA, dass es sich bei diesem nie näher bezeichneten „Bereitstellungsraum“ um das Grenzgebiet zwischen DDR und Tschechoslowakei im Fichtelgebirge handelte)
In bundeswehrtypischen feuchtfröhlichen Runden nach Dienstschluss erzählten mir damals die dabei gewesene „länger dienenden Kameraden“ von diesem Einsatz. (1968 waren sie noch einfache Soldaten, als sie mir davon erzählten bereits Unteroffiziere bis Feldwebel). Irgendwo in einem zugewiesenen Waldstück eingebuddelt, lagen sie da in der Nacht, vor sich die Bäume und dahinter der Feind. Jedes Geräusch, jedes Knacken verursachte Adrenalinschübe und Schweißausbrüche.
Denn sie wussten und wurden auch dementsprechend gebrieft: Das war keine Übung, sondern der Ernstfall! Würden die Armeen des Warschauer Paktes heute Nacht noch weiter vorrücken und die Grenze nach Deutschland überqueren? Alles war möglich.
Und dann plötzlich: Gegenüber wurden starke Motoren angeworfen. Und obwohl man in der Nacht nichts sehen konnte, war den nur mit Gewehren bewaffneten Gebirgsjägern sofort klar: Das waren Panzer! (Recherche: Es waren die Panzer der 7. Panzerdivision der NVA, der Nationalen Volks Armee der DDR)
An dieser Stelle der Erzählungen kam es auf den Alkoholpegel des Erzählenden an. Einige sahen sich, und wegen des im Rückblick doch glimpflich verlaufenden Einsatzes, als ziemlich cool reagierende Soldaten. Andere verhehlten nicht, dass sie, besonders als sich die Panzer in ihre Richtung in Bewegung zu setzen schienen, ihr letztes Stündlein gekommen sahen und sie dankbar über ihren funktionsfähigen Schließmuskel waren. (Dieses nächtliche Motor anwerfen und Panzer mit dem für sie typischen Kettengeräuschen einige Meter in Richtung Feind rollen zu lassen gehört zu den psychologischen Spielchen die jede Armee anwendet)
Und heute? Unsere Armee befindet sich seit dem WK2 mit keinem Land im Kriegszustand. Und trotzdem sollen wir „kriegstüchtig werden“? Wäre es da nicht angebracht „verteidigungsfähig“, oder besser noch „friedenstüchtig“ zu werden? Wobei das Wort „Frieden“ einen merkwürdigen Drall bekommen hat.
Und …. es darauf ankommt, wer über „Frieden“ spricht, und vor allem, was er darunter versteht. Es kann einem Angst und bange werden, wenn man unserer Außenministerin dabei zuhört, wie sie das Wort „Frieden“ malträtiert und es ad absurdum führt.
Am 3. Dezember, beim NATO-Außenminister Treffen in Brüssel, traf Annalena Baerbock mit Blick auf den Krieg in der Ukraine in einem „Doorstep statement“(Eine sogenannte „Haustürerklärung“ beim Betreten des Gebäudes) folgende Feststellung (Im Video ab min. 8): „So wie wir als Deutsche mehr als 1000 Tage an diesem Frieden gearbeitet haben, werden wir auch alles, was dem Frieden in der Zukunft dient, unterstützen“.
An „diesem Frieden“ seit über 1000 Tagen „gearbeitet zu haben“, würde bedeuten, statt fortlaufender militärischer Einflussnahme und Scharfmacherei diplomatische Bemühungen und Verhandlungen zur Konfliktbeseitigung ergriffen zu haben.
Das Wort „Frieden“, einer zeitlos gültigen Definition zufolge bedeutet es die Abwesenheit von gewaltsamen Konflikten oder Kriegen, wird jedoch durch die Forderung “weiteres militärisches Material – vor allem auch schwere Waffen” in dieses Kriegsgebiet zu liefern (Baerbock) seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt und der Lächerlichkeit preisgegeben.
Angela Merkel, die damalige deutsche Bundeskanzlerin, beschrieb das eigentlich zur Friedenssicherung verhandelte „Minsker Abkommen“ (2014/2015) als “den Versuch, der Ukraine Zeit zu geben, um sich zu bewaffnen und stärker zu werden”.
Bedeutete: Ab diesem Zeitpunkt, also nicht erst seit den „über 1000 Tagen“ ab dem Russischen Einmarsch am 22. Februar 2022, intensivierte der „Westen“ seine totbringenden Waffenlieferungen in die Ukraine. Ein planvolles Vorgehen, das, nicht nur aus russischer Sicht, sondern auch nach Meinung anerkannter westlicher Experten, in Verbindung mit vom Westen gegenüber Russland abschlägig zu behandelnden Sicherheitsinteressen, ein Einmarsch der Russischen Armee in die Ukraine provoziert werden sollte. Auch dazu eine Einlassung von Annalena Baerbock: „Das wird Russland ruinieren“.
Und obwohl in diesem Krieg auf beiden Seiten hunderttausende, wenn nicht sogar 1-2 Millionen Menschen getötet, verstümmelt oder auch „nur“ entrechtet wurden, will man, selbst bei der sich jetzt abzeichnenden Niederlage der Ukraine, die ukrainische Bevölkerung weiterhin kriegstauglich halten.
Während eine in der Ukraine im Oktober 2024 durchgeführte GALUP-Umfrage ergab, dass 52 Prozent der Ukrainer bereit sind, um den Krieg zu beenden auf Territoriums Ansprüche zu verzichten, (38 Prozent wollen weiterhin kämpfen) fordert der neue NATO-Generalsekretär Mark Rutte auf dem oben bereits erwähnten NATO Treffen, (Im Video ab min. 23:30) „Wir haben – offensichtlich – noch genug Menschen in der Ukraine“. Die Ukraine müsse nun entscheiden, diese Menschen an die Frontlinie zu schicken.
Das deckt sich mit aktuellen Einlassungen aus den USA, in denen gefordert wird, dass Einberufungsalter für die ukrainische Armee von 25 auf 18 Jahre zu senken. Dieser Krieg, oder „seien wir ehrlich, wir führen einen Stellvertreterkrieg. Aber wir geben unseren [ukrainischen] Stellvertretern nicht die Möglichkeiten, den Job zu erledigen“, wie der ehemalige Britische Premierminister Boris Johnson in einem Interview mit „The Telegraph“ am 28. Nov. 2024 freimütig einräumte (im Video ab Minute 27:50), soll jetzt also wirklich bis zum letzten Ukrainer geführt werden. Wer denkt da schon daran, dass diese jungen Menschen später fehlen würden, um die Ukraine wieder aufbauen zu können.
Wie auch immer man den russisch/ukrainischen Konflikt politisch bewerten mag, ob unter Einbeziehung seiner im Jahr 2014 beginnenden Vorgeschichte oder auch nicht, vor allem sollten wir weder die Brisanz einer möglichen Konfliktausweitung im Zusammenhang mit politisch dummen Entscheidungen, noch das massenhafte Sterben nicht so gleichgültig betrachten, wie es zurzeit den Anschein hat.
Doch vor allem sollten wir für uns eines nicht zulassen:
Die von interessierter Seite betriebene Kriegstreiberei als „Kampf für den Frieden“ zu akzeptieren!
—————————————
Dazu passend eine 5 Jahre alte Episode von den „Gschwendlingers“, den von mir eingesprochenen Hörstücken eines älteren, bayerischen Ehepaares, das sich hier über Kriegstreiberei unterhält.