Ein Gastbeitrag von Lucas Zeise (Der Text erscheint zeitgleich in der Dezember-Ausgabe 6/2011 der „Marxistischen Blätter“)
Das Thema „Finanzkrise und Euro-Zerfall“ scheint sich zu einer regelmäßigen Kolumne zu entwickeln. Seit Erscheinen der letzten Marxistischen Blätter hat es mehrere Gipfelkonferenzen der Euro-Länder gegeben, eine Reihe von Rettungsplänen, die allerdings bisher nicht detailliert ausgearbeitet worden sind, in Deutschland eine Reihe von feierlichen Regierungserklärungen, mehrere Bundestagsdebatten mit Plenarabstimmungen und anschließender gefeierter Kanzlerinmehrheit und eine Intervention des Bundesverfassungsgerichts.
Im Euro-Ausland sind drei Regierungen über die Euro-Rettung gestürzt – in der Slowakei, in Griechenland und Italien. Portugal, Irland und Spanien hatten die Regierungswechsel schon hinter sich. Es werden noch weitere folgen.
Der Autor Lucas Zeise (geb. 1944) ist seit mehr als 25 Jahren Finanzjournalist. Er hat Philosophie und Volkswirtschaft studiert und im laufe seines Berufslebens u.a. für das japanische Wirtschaftsministerium, die deutsche Aluminiumindustrie und die Frankfurter ‚Börsen-Zeitung‘ gearbeitet. Er war zur Jahrtausendwende an der Gründung der ‚Financial Times Deutschland‘ beteiligt und schreibt in ihr eine regelmäßige Kolumne. Zeise schreibt außerdem häufig für linke Publikationen wie die ‚Junge Welt‘ und die ‚Marxistischen Blätter‘.
Sein letztes Buch erschien 2010 unter dem Titel ‚Geld – Der vertrackte Kern des Kapitalismus‚. Im Frühjahr 2012 erscheint ein Buch über die Zerstörung des Euro.
Die quasi-staatlichen Institutionen der Währungsunion wackeln. Wenn man ausnahmsweise der Kanzlerin glauben darf, dann wackelt mit ihm das institutionelle Gefüge der EU. In der obigen Aufzählung ist noch gar nicht erwähnt worden, dass in den vergangenen vier Wochen die Bundesregierung in Gestalt von Frau Merkel und Herrn Rösler einem Mitgliedsland in der Währungsunion (Griechenland) mit Rauswurf oder Fallenlassen gedroht haben. Die eigentlich für die Ewigkeit gemachte Währungsunion, bei der ein Austritt vertraglich nicht vorgesehen ist, wird nun ganz offiziell in ihrem Bestand in Frage gestellt. Man ist als Autor also nicht mehr besonders kühn, wenn man ein Zerplatzen der Währungsunion für wahrscheinlich hält.
An den Gründen für diese Prognose hat sich in den letzten beiden Monaten rein gar nichts geändert: Die ungleiche Entwicklung der verschiedenen Länder hält an. Durch die repressiven „Spar“-Maßnahmen werden die schwachen Länder weiter geschwächt. Die zurückkehrende Wirtschaftskrise im globalen Maßstab verschärft die Lage. Die schwachen Staaten haben keine Chance, die Bedienung ihrer Schulden aus eigener Kraft zu leisten, geschweige denn sie zurückzuführen. Sie sind zudem mit hohen Zinsen konfrontiert, die am Finanzmarkt angesichts des Pleiterisikos verlangt werden. Die Regierungen der relativ starken Länder, allen voran die Bundesregierung, tun alles, um die relativ schwachen an einem Herauswachsen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise zu behindern. Der Ausdruck ‚koloniale Lösung‘ dafür ist treffend gewählt. (Er stammt nicht von mir, sondern von meinem, alles andere als ‚linken‘ Kommentarkollegen bei der FTD, Wolfgang Münchau). Die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonien wird abgewürgt. Die politischen Restinstitutionen der Kolonien werden entmachtet, statt dessen werden Statthalter eingesetzt. Der Wert der Kolonien beschränkt sich darauf, dass ordentliche Tribut- und Abgabezahlungen erfolgen. Allein die Rolle als Rohstofflieferanten erfüllen die europäischen Kolonien bisher nicht.
Ist diese Darstellung übertrieben? Ich fürchte nicht. Das Durchregieren in Europa hat mit der Amtsenthebung der Ministerpräsidenten Griechenlands und Italiens, Andreas Papandreou und Silvio Berlusconi, eine neue Radikalität erreicht. Wer hat da durchregiert? Es ist, wie die Zeitungen durchaus offen berichten, die so genannte „Frankfurter Runde“. Sie bildet das Direktorium zur Regierung der Eurozone.
Die Frankfurter Runde entstand am 19. Oktober in der Alten Oper in Frankfurt. Dort wurde am Abend mit viel Pomp und mit dem Uraltkanzler Helmut Schmidt als kritischem Gastredner der Abschied Jean-Claude Trichets als Präsident der EZB gefeiert, dessen Amtszeit ganz regulär am 31. Oktober auslief. Es waren außerdem anwesend Trichets Nachfolger im Amt, der damalige Chef der Banca d’Italia, Mario Draghi, ferner Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Jean-Claude Juncker, der langjähriger Ministerpräsident Luxemburgs und Chef der Euro-Gruppe innerhalb der EU, der EU-Kommissionspräsident Juan Manuel Barroso, der EU-Ratspräsident Herman van Rompuy und schließlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Am 18. und 19. Oktober hatte sich die Lage an den Finanzmärkten zugespitzt. Weil die EZB nur noch zögerlich Staatsanleihen aufkaufte, stiegen vor allem die Renditen der italienischen Schuldpapiere. Zugleich zogen auch die Renditen der französischen Staatsschulden nach oben. Gerüchte über eine bevorstehende Herabstufung des AAA-Ratings für Frankreich machten die Runde. Der jüngste EU-Gipfelbeschluss zur Erweiterung und Effektivierung des Rettungsfonds drohte Makulatur zu werden, weil die italienischen Staatsschulden einfach zu hoch sind, um vom Rettungsfonds übernommen zu werden, und weil zweitens Frankreich, die zweitwichtigste Garantiemacht des Rettungsfonds als Garant auszufallen drohte.
Ebenfalls am 19. Oktober brachte die Frau des französischen Staatspräsidenten, die Italienerin Carla Bruni, eine Tochter zur Welt. Der Vater Nicolas Sarkozy eilte vom Wochenbett seiner Frau nach Frankfurt, damit die Dringlichkeit seines Vorhabens und die hektische Betriebsamkeit seiner Präsidentschaft noch einmal unterstreichend. Er platzte in die Feierstunde zum Euro, verlangte und erhielt eine ad-hoc-Konferenz der oben genannten Personen. Der Zweck seines Anliegens war ein klares Bekenntnis der EZB-Spitze zum Kauf von Staatsanleihen. Gegner dieses Begehrs waren nicht die Notenbanker allein, sondern vor allem die deutsche Bundeskanzlerin. Sarkozy erhielt nicht, was er wollte. Vielmehr erzielte das erlauchte Gremium, die an diesem Abend geschaffene Frankfurter Runde einen Kompromiss auf Kosten eines Dritten, die Regierung der Republik Italien.
Berlusconi als Opfer