Wie Europa von Frankfurt aus durchregiert wird

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Man kann auch anders formulieren: Das neue Frankfurter Euro-Direktorium erfand zur Lösung der eigenen Probleme ein anderes, dessen Lösung eine Weile lang die Finanzmärkte und die öffentliche Meinung in Atem halten würden. Wie von Zauberhand wurde in allen Zeitungen und auf allen Kanälen nach dem 19. Oktober als das eigentliche Problem Europas die schlechte Regierung Italiens präsentiert. Silvio Berlusconi, Medienunternehmer, Milliardär und langjähriger Chef einer rechts gewirkten Regierung in Italien, von vielen Italienern als „Buffone – Hanswurst“ beschimpft und verachtet, war ein wenig zu bemitleidendes Zielobjekt dieser Attacke der ihm ideologisch eng verwandten Führungsfiguren aus Deutschland und Frankreich. Die Frankfurter Runde beschränkte sich nicht darauf, der italienischen Regierung klare Anweisungen zu erteilen, welche antisozialen Sparmaßnahmen zusätzlich zu den schon beschlossenen einzuleiten waren. Sie präsentierte zugleich einen neuen Premierminister für Italien, den früheren für den Binnenmarkt zuständigen EU-Kommissar Mario Monti. Dieser Herr hatte in seiner Zeit in Brüssel das Grundgesetz der EU, die Freiheit des Kapitalverkehrs von staatlicher Kontrolle aufs Zuverlässigste umgesetzt. Sowohl der italienische Staatspräsident, der frühere Kommunist Giorgio Napolitano als auch das italienische Parlament einschließlich der bisherigen Oppositionsparteien, vor allem den früheren Kommunisten, billigten die neue von Frankfurt aus befohlene Regierung und ihr antisoziales Sparprogramm.

Die Zauberhand, welche die italienischen obersten Staatsorgane zu Handlangern einer fremden Macht werden ließen, ist die Schöpferin des Geldes, die Europäische Zentralbank. Sie hat die Freiheit, nach Belieben Staatsanleihen der Euromitgliedsstaaten mit selbst geschöpftem Geld zu erwerben. Unterlässt sie es, geraten die Anleihen der Problemländer unter Druck (bzw. ihre Renditen steigen), macht sie es, lockert sich der Druck auf die Schuldnerländer. Sie können dann wieder hoffen, am Finanzmarkt neue Schulden aufzunehmen, um die alten bedienen zu können. Präsident Sarkozy war am 19. Oktober nach Frankfurt geeilt, um von den Notenbankern Trichet und Draghi ein eindeutiges Ja zu diesen Stützungskäufen zu erhalten. Er erhielt statt dessen ein unklares Nein und zum Trost nur die Zusage, dass die Frankfurter Banker der französischen Regierung (zunächst) noch keine Vorschriften machen wollten.

Der italienische Regierungswechsel von Berlusconi zu Monti sorgte einige Tage für leichte Entspannung am Markt für Staatsanleihen. Es ist objektiv nicht möglich, festzustellen, wie viel davon auf das Wirken der Zentralbank zurückzuführen ist. Jedenfalls aber waren Ende November die Renditen für zehnjährige italienische Staatsanleihen mit 7 Prozent deutlich höher als je zu Euro-Zeiten. Händler meinten beobachtet zu haben, dass die EZB immer dann zukaufte, wenn die Zinsen über die Sieben-Prozent-Marke stiegen. Zugleich stiegen die Zinsen für österreichische, niederländische, spanische und französische Staatsanleihen. Am 17. November hatte der Zinsabstand zwischen deutschen und französischen Staatsanleihen zwei ganze Prozentpunkte erreicht. Oder anders ausgedrückt, der französische Staat musste für seine Schulden mehr als das Doppelte zahlen als Deutschland für seine. An der Schuldenkrise hatte sich durch das Diktat gegen Italien nicht das Geringste geändert. Trotz aller Rettungsfonds, trotz aller großartiger Sparbeschlüsse, trotz aller Auswechslung und Knebelung verschiedener Regierungen hängt das Überleben der Euro-Union allein vom Handeln der EZB ab. Nur wenn sie weiter Staatsanleihen kauft und damit die Haushalte der Staaten finanziert, kann die Pleite eines Mitgliedslandes vermieden werden.

Das Frankfurter Direktorium bezieht seine Macht durch diese Sonderstellung der Notenbank. Letztere ist ausdrücklich von Weisungen politischer Instanzen frei. Sie ist nicht einmal Rechenschaft darüber schuldig, weshalb sie Anleihen dieses Staates, nicht aber eines anderen erwirbt, ob sie die Anleihen zu diesem oder jenem Preis erwirbt, in welcher Marktphase das geschieht. Die EZB ist nicht nur die Herrin des Geldes, sie ist auch zur Herrin über die Staatsfinanzen geworden. Als solche kann sie denn auch Regierungen stürzen oder stützen, wie es beliebt.

Die EZB ist damit viel mächtiger als andere Zentralbanken. Die US-Notenbank Fed und die Bank von England etwa stützen quasi-natürlich die Finanzen des jeweiligen Landes. Sie erklären offen, wie viel Staatsanleihen der USA oder Großbritanniens sie in welcher Zeit zu erwerben gedenken. Nicht davon in der Euro-Region. Weil die entscheidenden Fragen nicht geregelt sind, ja nicht einmal öffentlich gestellt werden, erhält die Notenbank willkürliche Macht.

Das wird nicht so bleiben. Je mehr Länder in die Abhängigkeit der EZB geraten, desto weniger akzeptabel wird diese Position sein. Noch wird der Streit darüber, ob die Notenbank als Garant für die Staatsschulden auftritt zwischen der deutschen und französischen Regierung nur halböffentlich geführt. Es ist aber abzusehen, dass die deutsche Position auf Dauer nicht durchzuhalten sein wird. Bevor die Eurozone auseinanderfällt, werden Kanzlerin Merkel und die EZB-Banker eine weitere dogmatische Position räumen.

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