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Oder wie lebensunwert ist das Leben eines Obdachlosen? Diese Frage stellt sich angesichts der Aussagen eines Verantwortlichen aus dem Geisenfelder Rathaus zum Thema Obdachlosenunterkünfte in Geisenfeld.
Eigentlich könnte es in unserem Land gar keine Obdachlosen -oder nennen wir sie lieber wohnungslose Menschen- geben, denn hierfür wäre ja die soziale Grundsicherung zuständig.
Was ist aber, wenn ein Mensch so sehr hilflos wird, dass er die üblichen sozialen Sicherungssysteme nicht mehr in Anspruch nehmen kann und als letzte Anlaufstelle das städtische Obdachlosenheim bleibt?
Dann sollten sich, so Geisenfelds Bürgermeister Staudter (USB) in der Heimatzeitung vom 25. April, „die Verlockungen, hier einzuziehen, in Grenzen halten“. Schließlich solle die Unterbringung im Obdachlosenheim „nur eine Notfalllösung für einen begrenzten Zeitraum sein“.
Da dieser Artikel der Heimatzeitung über das gewohnte Hofberichterstattungsgeschwurbel für den Bürgermeister und die Beschreibung des „traurigen Umfelds“ der Geisenfelder Unterkunft nicht hinausgeht, hier einige Grundlagen zur „traurigen“ Problematik obdachlos gewordener Mitbürger:
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=V3-zebyny3U[/youtube]Häufige Ursachen für Wohnungslosigkeit sind laut „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.„: Mietschulden und Zwangsräumungen, Scheidung vom Ehepartner oder Tod des Partners, oder Arbeitslosigkeit und Krankheit oder Suchtverhalten wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, fehlende Resozialisierung nach Gefängnisaufenthalt und psychische Störungen.
Wohnungslosigkeit: Der Verlust der Fähigkeit, seine Würde zu bewahren.
Häufige Ursachen von Wohnungslosigkeit bei Kindern und Jugendlichen sind:„Materielle Not und Wohnungslosigkeit der gesamten Familie, Flucht vor Gewalt oder Missbrauch im Elternhaus, zu enge Wohnverhältnisse im Elternhaus, Flucht vor ständigen Konflikten mit anderen Familienmitgliedern,Flucht aus Heimen (auch Obdachlosenheime), Geldmangel in der Familie.“
Wohnungslosigkeit hat immer zu tun mit schwerer psychischer und sozialer Störung, mit Traumatisierung, mit Gewalt, mit Krankheit mit Missbrauch und, ganz allgemein, mit dem Verlust der Fähigkeit, seine Würde zu bewahren.
Genau hier schreitet das Grundgesetz ein. Die Sache ist über die Polizeigesetze der Länder geregelt.
Es ist eine Pflichtaufgabe der Gemeinden, Wohnungslose unterzubringen.
Im Blickpunkt der Betrachtung:
Die sehr spezielle Art der Nächstenliebe in Geisenfeld
Ca. 0,5 % der Bürger sind nach vorsichtigen Schätzungen von der Wohnungslosigkeit betroffen. Das wären in Geisenfeld bei 10.000 Einwohnern ca. 50. Um irgendetwas vorzuweisen, hat vor 20 Jahren die Stadt ein Gebäude für 26.000 Mark erstanden. In den sechs Räumen leben derzeit sieben Menschen.
Bei einem derart geringen Kaufpreis darf man davon ausgehen, dass die von der Stadt organisierte Unterkunft schon damals minderwertig war. Inzwischen sind die Räumlichkeiten in einem erbärmlichen Zustand, ganz zu schweigen von den Außenanlagen, über die man nur gnädig hinweg sehen kann.
Nun gibt es seit vier Jahren in dieser Stadt einen Bürgermeister, der dank einer Liste gewählt wurde mit dem interessanten Namen „Unabhängige Soziale Bürger“ (USB). Aus der Lokalzeitung erfahren wir, dass dieser Bürgermeister, der schon 22 Jahre lang im Stadtrat Verantwortung trägt, (4 davon als Bürgermeister) die längst überfällige Erneuerung der Notunterkünfte seit drei Jahren auf die lange Bank schiebt. Er hat damit offensichtlich ein Problem.
„Das Ganze ist eine zwiespältige Sache.“ Einerseits gälte es, eine „menschenwürdige Unterkunft“ bereit zu stellen, andererseits sollte der Standard so sein, „dass sich die Verlockungen , hier einzuziehen, in Grenzen halten,“ so die Einlassung des Bürgermeisters in der Lokalzeitung.
Abschreckung durch Widerwärtigkeit
Genau genommen ist diese Einlassung von Herrn Staudter vielsagend. Den Ärmsten der Armen will man also eine möglichst abscheuliche Behausung zumuten, damit man von ihnen nicht weiter behelligt wird. Dabei geht es bei Notunterkünften ja ohnehin nur darum, dass man aushilft, bis das soziale Netz die Menschen auffängt. Obendrein übernimmt die Kosten dafür das Sozialamt. Kann gut sein, dass die Stadt an ihren lausigen Notunterkünften noch verdient hat.
Prognose bis 2015:
Warnung vor weiterem dramatischen Anstieg um 10 – 15 % auf bis zu 270.000 – 280.000 wohnungslose Menschen
Wes Geistes Kind unser Bürgermeister ist, kommt in einem weiteren Nebensatz des Artikels zum Ausdruck: …“und wer hier landet, der ist halt nur schwer in eine geregelte Arbeit und somit in eine reguläre Wohnung zurück zu bringen.“
Wie bitte? Hat da jemand das Problem nicht verstanden?
Wir müssen froh sein, wenn wohnungslose Menschen sich nicht vor den Zug werfen, wenn sie nicht erfrieren, wenn sie nicht ganz elendig auf der Straße sterben. Diese Ärmsten der Armen brauchen unsere bedingungslose Hilfe. Ob sie arbeiten ist ganz unerheblich. Ja früher, da hätte ein Bürgermeister solche Existenzen noch einweisen können. In ein Zuchthaus, zum Arbeitsdienst, oder, oder, oder. Solchen Widerwärtigkeiten aus Deutschlands dunkler Geschichte wird doch wohl niemand nachtrauern?
Was aber ist sozial und was ist unheimlich?
Kämen der Bürgermeister und sein Unterstützungsverein USB aus der rechtsreaktionären Ecke, dann wäre alles zu verstehen. Aber sie nennen sich „unabhängige soziale Bürger“.
Die Behauptung, sozial zu sein, kann zweierlei bedeuten.
Einmal kann gemeint sein, dass sich Menschen gerne zueinander gesellen. Sie treten dann vorzugsweise in Rudeln auf, radeln gerne sonntags, betreiben Public Viewing oder bilden stramme Volksgemeinschaften.
Die andere, die politische Bedeutung des Wortes „sozial“ meint ein Gefühl für Würde und Gerechtigkeit, die Anerkennung jedes- auch des mittellosen- Menschen und die Unterstützung und Förderung schwächerer und hilfloser Mitbürger.
Heutzutage ist es angesichts des dichten sozialen Netzes gar nicht mehr so einfach, sozial und caritativ tätig zu werden. So mancher beruhigt sein Gewissen oder macht sich wichtig, indem er zum Beispiel bestens versorgten Kranken zusätzlich einen spendenfinanzierten Urlaubsaufenthalt am Toten Meer organisiert. Die Frage nach echter Bedürftigkeit wird meist gar nicht gestellt.
Dennoch gibt es in dieser Gesellschaft Brennpunkte, wo Hilfe dringend benötigt wird: Bei häuslicher Gewalt, bei Gewalt gegen Frauen, bei Verwahrlosung von Kindern und ganz besonders bei Wohnungslosigkeit.
Was also könnte man der Stadt Geisenfeld empfehlen?
Wieso sieht eine Stadt ihre Wohnungslosen nicht als Gäste auf Zeit, die man mit zuvorkommender Achtsamkeit behandelt? Ein sonderbarer Zufall ist doch, dass das „Obdachlosenasyl“ in Geisenfeld direkt neben der Abfallverwertung angesiedelt ist.
Hat das Unbewusste den Stadtvätern bei der Platzwahl einen bösen Streich gespielt?
Derart traumatisierte Menschen verdienen die beste Unterbringung. Vielleicht in einem perfekt restaurierten alten Rathaus? Auf jeden Fall sollte man einen Platz nicht weit vom Zentrum suchen mit einem schönen Garten- und Parkgelände. Die Wohnungen dürfen ruhig klein sein. Sie sind ja nur Notunterkünfte. Aber sie sollen zweckmäßig und freundlich sein.
Zusätzlich könnte die Stadtverwaltung –oder die „USB“ mit ihrem Vorsitzenden und gewerbsmäßigen Arbeitsvermittler Böhm– sich bemühen, jedem in Geisenfeld untergebrachten Wohnungslosen einen Paten zur Verfügung zu stellen, der Hilfestellung bei der Suche nach geregelter Arbeit und Anmietung bezahlbaren Wohnraums leistet. Oder auch nur die notwendigen Schritte zum Sozialamt, zum Arzt oder zum Psychotherapeuten begleitet.
Warum spricht man auch ohne Not von Obdachlosenunterkunft oder von einem Obdachlosenasyl? Ein freundlicherer Name wirkt oft Wunder. Wem würde es schaden, wenn man die Notunterkünfte entstigmatisieren und sie zum Beispiel als „städtisches Gästehaus“ bezeichnen würde?
Die Unterlassung dieser Diskreditierung würde der Stadt zur Ehre gereichen und dem nach „Sonderstellung im Landkreis“ gierenden Stadtoberhaupt endlich ein Fleißkärtchen zu seiner bisher negativ ausfallenden Bewertung seiner Amtskollegen im Landkreis einbringen.
Man könnte diese Menschen, mit minimalstem Aufwand für den Stadtsäckel mit Freikarten für das Hallenbad, für städtische Veranstaltungen oder für Stadtkonzerte bedenken.
Ein Bürgermeister, der als Galionsfigur einer „sozialen“ Gruppierung auf sich hielte, würde die städtische Unterkunft und deren Bewohner regelmäßig besuchen. Und sei es nur, um einer Verstetigung der Situation entgegen zu wirken. Schließlich soll die Unterbringung, nach seinen eigenen Worten, „nur eine Notfalllösung für einen begrenzten Zeitraum“ sein.
In Anbetracht, der Tatsache, dass das Sozialamt ohnehin einen großen Teil der anfallenden Kosten erstattet, wäre dies eine angemessene Art, wie sich eine, ansonsten bis zum Erbrechen als wohlhabend darstellende Stadt präsentieren könnte.
Denn eine jede Stadt gibt ihren Gästen das, was sie zu geben hat.