Wir Bürger haben kein Reparaturset für unsere Repräsentative Demokratie

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Daran ändert auch der mehrheitlich geäußerte Ruf nach Neuwahlen nichts.

Wann kam das in der Bundesrepublik Deutschland jemals vor? Bürger fordern Neuwahlen, obwohl noch kein einziger Oppositionspolitiker dies forderte? (* Siehe update)

Wobei Bürger dies zwar fordern können, aber genau das für Bürger jedoch nicht durchsetzbar ist.
Eine Auflösung des Bundestags wäre nur möglich, wenn eine von zwei zwingend dafür erforderlichen Voraussetzungen eintreten würden (Artikel 63 und 68 GG):
Entweder löst der Bundespräsident den Bundestag nach einer nicht zustande gekommenen Kanzlerwahl auf, oder er löst ihn auf Aufforderung des Kanzlers auf, wenn dieser nach einer von ihm gestellten Vertrauensfrage nicht die benötigte Mehrheit der Mitglieder des Bundestags erhalten würde.

In beiden Fällen käme es also nie auf den Willen der Bürger, sondern immer nur auf das Agieren der den Bürger repräsentierenden Abgeordneten an.

Merke: Dem Bürger wurde im Grundgesetz kein Reparaturset für unsere Repräsentative Demokratie an die Hand gegeben! Daran ändert auch der größte Frust über die derzeitige Regierung nichts.

Sobald ich über deutsche Politik, den Gebrauchswert politischer Parteien und besonders über die Verfasstheit unseres Landes nachdenke, bemerke ich wie sich Resignation meiner Gedankenwelt bemächtigt. Dieses Gefühl des Ausgeliefert sein, des Unausweichlichen und Unveränderbaren, erzeugt bei mir Zorn, Wut aber gleichzeitig auch Unverständnis.

Unverständnis über die Mehrheit meiner Landsleute, die trotz eindeutiger Daten, persönlicher Lebensumstände und erschreckend dummdreister Einlassungen vereinzelter Politiker, sich nur in Umfragen trauen, den unmöglich von ihnen nicht erkannten desolaten Zustandes ihres Landes deutlich und vernehmbar zu artikulieren.

Tun sie es doch und sprechen darüber, dann nur im kleinsten Kreis und nie öffentlichkeitswirksam. Nach dem abendlichen Absprung aus dem Hamsterrad der täglichen Arbeit rufen sie zwar dem Mainstream wiedersprechende, oppositionelle Publikation im Internet auf, freuen sich, wenn sie dort ihre kritischen Sichtweisen bestätigt finden, würden jedoch keinem der gelesenen Texte likend zustimmen oder gar einem ggf. öffentlich einsehbaren Kommentar dazu absetzen. Hatte man doch schon so viel über Denunzianten, Hasskübler, Wohnungsdurchsuchungen, Kontensperrungen und diese juristisch umstrittene „Delegitimierung des Staates“ gelesen.

Auch scheint es den Lesern dieser Oppositionsmedien vollkommen ausreichend, ihre Sichtweisen und Empfindungen in den sich verstetigenden Umfrageergebnissen bestätigt zu finden, die die desaströsen Vertrauensverluste in Politik und Medien abbilden. Eventuell gleichen sie die so gewonnenen Informationen, Erkenntnisse und Zusatzinformationen noch mit einer der Hauptnachrichten aus den ÖR-Sendeanstalten ab, sehen sich dadurch dem Mainstream gegenüber in ihrer Skepsis bestätigt, und fühlen sich -völlig in sich gekehrt und stillschweigend- Tag für Tag etwas unwohler in diesem zunehmend als Absurdistan empfundenen Deutschland.

Und so schreiben und reden Mainstream- Journalisten und Politiker im Chor an der sogenannten schweigenden Mehrheit und deren Befindlichkeiten vorbei, halluzinieren von einem Land des guten Lebens, der schier unendlich strömenden Geldflüsse und Bürgern, die sich wegen der guten Arbeit ihrer Regierung keine Sorgen machen müssten.

Bis auch sie abends in ihren eigenen Vier Wänden ankommen und noch die Muße finden, sich neueste Umfragen zu ihrem Tun anzusehen. Die dort aufscheinenden negativen Beurteilungen dürften anschließend die Umsätze von Schnapsläden und anderen Drogenverkäufern in der Umgebung beflügeln. Aber was soll´s. Hauptsache die eigene Pluralismus negierende Blase, in der Regierungsmeldungen apportiert und zu Artikeln verwurstet werden, sieht in einem einen nie zweifelnden journalistischen Gefolgsmann.

Und wenn Politiker mit einer intoleranten Haltung bei den Bürgern auf abnehmende Gegenliebe stoßen, verschafft man sich eben, wie die Abgeordnete Strack-Zimmermann, ein „Top Gun -Feeling“ mit einem Flug im Eurofighter auf dem „Beifahrersitz“. Das stählt und anschließend glaubt man vor Kraft nicht mehr laufen zu können. Andere wiederum stolpern verbal von Stuss zu Stuss mit 360 Grad Wendungen hetzend durch hunderttausende von Kilometer entfernt liegende Länder, und sehen unverändert hohe Butterpreise als Indikator zur Fortführung diplomatischer Fehlleistungen an. „Schau Mama, ich bin wer. Ich hab jetzt ein eigenes Flugzeug“, scheint die Haltung unserer Oberdiplomatin zu vermitteln.   

Derweil klammern sich die Bürger in ihrem Kinderglauben an das Gelernte. Dass die Macht auch in einer repräsentativen Demokratie vom Volke ausgeht und es ohnehin nichts besseres als diese Form von Demokratie gäbe. Nur sie sichert Bürgerrechte, Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit. Und würde man sich mal schlecht regiert fühlen, gar etwas aus dem Ruder laufen, würde sich das System -nach dem Willen der Bürger- schon von innen heraus reformieren.

Doch wie soll das mit dem gegenwärtigen Personal dieser Regierung gehen?

Es wird noch eine spannende Zeit dieser Regierung beim Kippen zuzusehen. Weil so eine Regierung, mit so einem wackligen Untergrund, mit so einem politisch ungebildeten Personal, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben“. (Frank Wahlig, ehemaliger Hauptstadt Korrespondent für die ARD in Bonn und Berlin)

Ein Parteiensystem, das sich die Republik zur Beute machte und auf Grund überbordender staatlicher Alimentierung zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz nicht mal mehr Parteimitglieder bräuchte, wird jedoch nichts tun, was dem Bürger Machtzuwachs ermöglichen könnte und damit womöglich den Zugang ihrer Funktionsträger zu den Futtertrögen gefährden könnte.

Die Bürger wollen Neuwahlen? Wieso?
Hatte doch bisher auch ohne Bürger ganz gut geklappt.
Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die großen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden“ stellte die ehemalige Kanzlerin Merkel in einer Rede bereits 2009 fest.

Da war sie ganz nah bei Walter Lippmann, einem der einflussreichsten Propagandisten des Neoliberalismus, der bereits in seinem 1922 erschienen Buch „Publik Opinion“ (Die Öffentliche Meinung) darüberschrieb, dass der Durchschnittsbürger damit überfordert sei, gesellschaftliche Zusammenhänge durchschauen zu können, da die Welt zu komplex und dynamisch sei. Es wäre eine Illusion anzunehmen, so Lippmann, informierte Bürger seien fähig, über die großen aktuellen Themen des Tages zu urteilen.

Deshalb bräuchte es eine gelenkte Demokratie.
Es reiche völlig, wenn die Bürger das Gefühl von Demokratie haben. Entscheidungen treffen Eliten. (Wenig schmeichelhaft für das Personal einer repräsentativen Demokratie, es setzt sich ja ebenfalls nur aus Bürgern zusammen, machte er das Funktionieren einer repräsentativen Demokratie davon abhängig, dass „es eine unabhängige, sachkundige Organisation gibt, welche die [vom Personal] ungesehenen Tatsachen für diejenigen verständlich macht, die die Entscheidung zu treffen haben“).

Auf einen Nenner gebracht: Für eine funktionierende Demokratie sind die Bürger zu einfältig, und deren Repräsentanten zu unfähig!

Und so werden wir einfältigen Bürger von der Politik nicht mit Allgemeinwohlorientierten Lösungsansätzen für rationales Regierungshandeln beglückt, sondern, wie zuletzt in den Wahlkämpfen in Hessen und Bayern, von den Unfähigen mit banalen, trivialen und inhaltsleeren Worthülsen geflutet. „Unser Land in guter Hand“, „Anpacken für Bayern“, „Radikal vernünftig“, „Aus Erfahrung gut“, „Wähl Herz statt Hetze“, oder „Hol dir deine Zukunft zurück“.

Was für ein Glück, dass keiner fragt, wie man etwas zukünftiges in die Gegenwart holen könnte.

Doch um die Gegenwart geht’s den Bürgern. Damit das Heute zufriedenstellender verläuft. Wenn das geschafft wäre, würde es eventuell auch mit der Zukunft klappen.

Doch dafür müssten sich die Bürger bewusst werden, wie machtlos sie im derzeit erodierenden System sind, und sich Gedanken darüber machen, wie eine Toolbox aussehen könnte, damit man diese Systemkrise unserer repräsentativen Demokratie fixen könnte.

Ich für meinen Teil frage jetzt mal in der einzig funktionierenden Demokratie Europas nach. Hallo Schweiz. Habt ihr da mal einen Tipp für mich?  

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* Update 20.10.2023

– Markus Söder, CSU-Chef und Bay. Ministerpräsident, forderte Bundeskanzler Scholz auf, FDP und Grüne aus der Regierung zu werfen und mit der Union eine Regierung zu bilden. Söders Initiative fußt auf seiner Einschätzung, dass die Ampel-Regierung „stehend k.o.“ sei. Es gebe inzwischen „Null-Vertrauen“ in der deutschen Bevölkerung in die Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Ihn treibe die Sorge um die Demokratie.

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/soeder-ampel-regierung-union-100.html

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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