Ein Gastartikel von Beate KREIS-NÜCKEN / Bischof, Bischof, ich kann fliegen,— sagte der Schneider und er stieg mit so`n Dingen— die aussah`n wie Schwingen— auf das große große Kirchendach…..
Schon Berthold Brecht demonstrierte in seinem genialen Gedicht, dass die Welt der Phantasten und Künstler für alle von entscheidender Bedeutung ist. Erst kommt der kulturelle Flug und dann erst der Flug der Ingenieure.
Für überforderte Zeitgenossen, die sich angestrengt an den äußeren Erscheinungen festklammern, für Gehetzte, für Naive, Narren und Einfältige ist die Welt das, was sie vor sich sehen: eine von materiellen dicht Körpern ausgefüllte Szenerie mit einem durch getakteten zeitlichen Ablauf.
Strenge Regeln herrschen hier, wenig ist möglich und das Wenige wird vorgegeben von den physikalischen, wirtschaftlichen und sozialen Umständen. Also früher wurde alles vom Bischof und den weltlichen Herren bestimmt. Heute lenken die politischen Verhältnisse und geheimnisvolle Mächtige die Abläufe: Banker, Wirtschaftslenker, Konzerne….
Insgesamt besteht der Eindruck, dass alles im Wesentlichen gleich bleibt. Die Welt schreitet linear und berechenbar voran.
Die Realität als Traum längst verblichener Pioniere
Aber begeben wir uns doch einmal auf eine bequeme Liege in einem sommerlichen Garten. Schließen wir die Augen, atmen wir tief durch und beginnen wir zu ahnen, wie die Wirklichkeit hinter den Erscheinungen sein könnte.
Ist es nicht vielmehr so, dass alles, was wir wahrnehmen bzw. zu erleben glauben, zutiefst von unseren Fantasien beeinflusst wird? Wenn wir uns auf der Liege vorstellen, dass wir durch die Luft flögen? Wenn diese Vorstellung zu dem starken Wunsch nach Verwirklichung führte? Könnte dann nicht fast jeder- sogar noch manche entschlossene Großmutter- in wenigen Wochen am Gleitschirm im Himmel schweben?
Vor zigtausend Jahren haben die Schamanen ihre Flüge halluziniert. Dann kamen die Griechen mit ihrer Traumgeschichte von Dädalus und Ikarus , dann Leonardo mit seinen Flugapparaten, dann der Schneider von Ulm, die Herren Berblinger, Lilienthal , Wright, Zeppelin und Bleriot.
Von der Fantasie zur Wirklichkeit: oft ein langer Weg. Jetzt an dieser Stelle kann der werte Leser erahnen, wie sehr unsere gegenwärtige Welt von den geisteigen Vorstellungen- in diesem Fall denen der Vergangenheit- geschaffen wird.
Der kluge Umgang mit Fantasien, Interpretationen und Wünschen, das ist Kultur.
Blicken wir nach Eining. Eining was? Eining wo? Nun nach Eining, den Stadtteil von Neustadt an der Donau, 250 Einwohner. Ist an einem solchen Ort Kultur möglich? Sehen wir mal von einer Kultur des Fischbratens am Donauufer ab.
DONAU km 2426,9 rechts
Eining, Seilfähre, Weltenburger Bier, Sa u.So. sowie an Feiertagen frisch
gegrillter Fisch, jede Menge Brotzeiten, alles in allem recht bayerisch, Ausstieg
bei Fährstelle, manchmal am Wochenende sogar Musik.
Tel. 09445/1622, bzw. 01733871617. Montags Ruhetag außer an Feiertagen.
Reste eines römischen Castells ca. 5 Fussminuten vom Biergarten
Immerhin stammt, das sei an dieser Stelle vermerkt, von Lao-Tse der Spruch: „Das Lenken großer Reiche ist wie das Braten kleiner Fische.“
Wenn es also in Eining oder auch in der Stadt Neustadt (12800 Einwohner) eine(n) Kulturreferenten(in) gäbe, was hätten dann diese Herrschaften wohl zu bieten?
VHS-Kunst? Hopfenaquarelle und schwülstige Zigeunerinnen? Ein kleiner Ort mit wenig Finanzkraft, selbst wenn man die Kleinsttadt Neustadt dazurechnet, muss man da nicht auf Hausfrauenkunst und Hobbygebastel zurückgreifen?
Wie gesagt, das Denken bestimmt die Geschehnisse. Deshalb haben die Eininger/Neustädter den großen kulturellen Flug gewagt. Sie haben zehn renommierte Künstler aus fünf Ländern eingeladen, auf dem Weinberg von Eining auf ihre Art Flugobjekte vorzustellen. Damit bewegt sich das kleine Neustadt auf der künstlerischen Höhe der Zeit und nicht weit unter der Augenhöhe der großen Museen und Biennalen der Welt.
10 Werke auf einer Wiese mit Bombenkratern
Die Ausstellung läuft noch bis zum 31. Oktober. Bei gutem Wetter geht man den lang gezogenen Hügel hinab. Man riecht Erde, Gras, Schafsdung und Kräuter. Auf der viel Hektar großen Trockenwiese sind in lockerer Folge die Exponate platziert:
Eine Flugtonne, eine Wolkenliege, eine Himmelsschleuder, ein Feldhubschrauber, ein Flugstein, ein Schleudersitz, ein abgestürztes Flugzeug, ein Flugturm mit Piste und Flugplan im Internet und Schmetterlingsflügel aus Stahl und Glas. Dazu Bienenstöcke in einer „Hommage an Mondrian“, ein optischer Flug via Fernrohr in eine fiktive Vergangenheit und Brandon Ballengees „Camping for Insects“.
Die zehn ausstellenden Künstler sind allesamt Professionals. Sie leben von und mit ihren Projekten. Jeder von ihnen hat zahlreiche Ausstellungen in der ganzen Welt hinter sich, so dass sie den freien Flug der Gedanken in der erforderlichen Qualität beherrschen. Sie verstehen es, den Betrachter mitzunehmen bei ihren luftigen Erkundungen.
Man muss das Gesicht eines sechsjährigen Mädchens gesehen haben, wie sie auf der zu einem Schleudersitz umfunktionierten Gartenbank sitzt und durch die Arme der riesigen Schleuder zum Horizont blickt., dann kann man sich vorstellen, was für Gedanken in ihrem Kopf angeregt werden.
Worin aber besteht der Unterschied zwischen der bestechenden Schau in Eining und den tölpelhaften Kunstbemühungen zahlloser lokaler Kulturpolitiker?
Kunst braucht wie alles andere auch Sachverstand
Zunächst wäre Sachverstand und Kenntnis kein Nachteil. Kulturreferent(inn)en, die bei dem Begriff „Haus Brandhorst“ an eine Ausbildungseinrichtung für Feuerwehren denken, sollten eventuell rechtzeitig das Fach wechseln. Schon mal was vom schönsten Museum der Welt gehört? Auch wären gelegentliche Besuche der Documenta in Kassel sowie der Biennale in Venedig nicht direkt von Nachteil. Ferner gibt es zahllose andere Museen und ein umfangreiches Schrifttum zur Kunst, so dass man nicht für immer dumm bleiben muss. Auch ist für Kulturpolitik Mut und Leidenschaft nötig. Die billigeren Lösungen aus dem Bereich der Hobbykünstler sind meist den Aufwand nicht wert, weil man damit weit hinter die Gegenwart zurück fällt.
Seit Jahrzehnten bewegt sich die Gegenwartskunst hin zu skulpturalen Arbeiten, zu Installationen und zur Performance. Wer das ignoriert, gerät leicht in den Anschein des Dumpfbackentums.
Selbst die Kosten des Projekts in Eining (man spricht von 25.000 Euro) sind kein Gegenargument. Erhalten die Neustädter dafür neben der Eröffnung noch zehn interessante Veranstaltungen und eine Schau, die sie weit über ihre Grenzen hinaus berühmt macht.
Verführung zu einem Picknick
Wie wäre es also mit einem Picknick auf dem Weinberg von Eining, verbunden mit einem Besuch der kostenlosen Freiluftausstellung „Flugobjekte“?
Dabei wäre dann nachzusinnen, wohin unsere jetzigen Träume die Menschheit in den nächsten Jahrhunderten führen werden. In andere Universen? Über Raum und Zeit hinaus? In die tiefen unserer Träume?