Abensberg: Eine Stadt gibt sich die goldene Kugel

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Ein Gastartikel von Beate KREIS-NÜCKEN /Fährt man auf Abensberg zu, so glaubt man zu träumen. Ein ganzes Stück neben dem Kirchturm steht nun ein zweiter Turm mit einer märchenhaften Anmutung wie aus einem Fantasyfilm. Eine biedere Stadt in Niederbayern, die schon seit Jahrhunderten keine baulichen Kühnheiten mehr zustande brachte- und nun dieser heftige Ausbruch in Sachen Architektur? Wie konnte das vor sich gehen?

Dazu brauchte es zweier Querköpfe und Genies und jede Menge Mitwirkende, viele begeisterungsfähige Unterstützer, auf jeden Fall sehr viel mehr, als man in der ländlichen Umgebung von Abensberg vermuten würde.

Ein sonderbarer Bierbrauer auf Erfolgskurs

Da war zunächst eine kleine Brauerei im Niedergang. Leonhard Salleck übernahm sie und beschritt mit ihr neue Wege. Leonhard Salleck ist kein gewöhnlicher Mensch. Er bewegt sich etwas abseits der Normalität. 1985 nahm er als Athlet am Ironman in Hawaii teil. Zeitlebens ist er ein Freund der Künste und der Philosophie, wobei er oftmals auch skurrile Gedankengänge zulässt.

Während in Deutschland der Bierkonsum seit Jahrzehnten kontinuierlich zurückgeht, gelang es Salleck, den Ausstoß seiner Weißbierbrauerei um den Faktor dreißig zu steigern. Unter anderem punktete er über viele Jahre mit liebevoll gestalteten Brauereiführungen. Dann suchte er nach einer besonders augenfälligen Attraktion.

Ein Turm musste her und auf der Suche nach der richtigen Gestaltung stieß der eigenwillige Bierbrauer auf die Bilder und Werke von Friedensreich Hundertwasser.

An dieser Stelle treffen zwei überaus exzentrische Menschen aufeinander: der weltberühmte und zurückgezogen in Australien lebende Künstler und der lokale Bierbrauer mit glühendem Sendungsbewusstsein. Trotzdem wurde Herrn Sallecks Durchhaltevermögen bereits an dieser Stelle auf eine harte Probe gestellt. Hundertwasser lehnte die Idee eines Turmbaus zunächst ab. Erst die Entdeckung einer gemeinsamen Vorliebe für Zwerge war vermutlich der Türöffner für die weitere Zusammenarbeit.

Von Stowasser zum Visionär Hundertwasser

Friedensreich Hundertwasser, geboren als Friedrich Stowasser (sto bedeutet im slawischen Sprachraum hundert), erlebte schon früh und schmerzhaft was blinde Konformität bedeutet. Als Sohn einer jüdischen Mutter hatte er unter den Nazis zu leiden. Das hat ihn vermutlich zu einem extremen Nonkonformisten als Künstler und als Mensch gemacht.

Hundertwasser war kein Architekt. Er war ein Maler, der mit intensiven Farben, besonders mit Kobaltblau und Gold, versuchte, die Betrachter zu erfreuen.

Ein querdenkerischer Maler mischt die Architektur auf

Aber Hundertwasser war darüber hinaus als Vordenker der Menschheit aktiv. Zum Ärger vieler Architekten forderte er Bauten mit mehr Farbe, mit Rundungen, mit Pflanzenbewuchs.

Der Architekt Peter Pelikan, der Mitgestalter des Abensberger Turms erklärt die Philosophie des Malers:

„ Man soll keine scharfen Kanten machen, alles sollte weich und harmonisch und natürlich wirken, das Haus muss Freude bereiten! Die Fußböden in öffentlich zugänglichen Bereichen sollen mit natürlichen Materialien wellig ausgeführt werden. Die Skyline der Gebäude soll nicht eckig sein, sondern durch Türme und Erker und Terrassen und Vorsprünge gegliedert sein.“

Inzwischen gibt es weltweit an die 35 Bauten, die von Hundertwasser inspiriert wurden:

Das berühmte Hundertwasser-Haus in Wien, eine gewaltige Touristen-Attraktion, den preisgekrönten Bahnhof in Uelzen, einen Regenturm in Plochingen,  die Waldspirale in Darmstadt, das Fernwärmewerk Wien-Spittelau,  eine öffentliche Bedürfnisanstalt in Kawakawa (Neuseeland), eine Hundertwasser-Kirche in Bärnbach, um nur einige zu nennen.

Alle diese Bauten kritisieren durch ihre Existenz die uniformierte zeitgenössische Architektur, die nach Hundertwassers Ansicht viel zu industriell, zu monoton, zu farblos, zu naturfeindlich und damit inhuman ist. Die Menschen aber lieben die Gebäude im Hundertwasser-Stil.

Der Kampf um den Turm

Zwölf Jahre sollte es dauern, bis nach Leonhard Sallecks ersten Plänen dann der Turm fertig gestellt wurde. Der Widerstand war riesig, die Mühe schier endlos. Die Sache war nur für einen Langstreckler wie Salleck zu bewältigen. Erstaunlicherweise mochten die Abensberger den Turm von Anfang an. In allen Umfragen stimmten 85 bis 86% der Bewohner für den Turm. Die Rolle der rückständigen Dorfdeppen spielten die Denkmalpfleger, die Regierung von Niederbayern, die Heimatpfleger. Der Turm mit seiner ursprünglichen Höhe von 70m wurde sofort abgelehnt. Auch ein gestutzter Turm von 50m hatte keine Chance. Als die Planungen auf 35m angelangt waren gab es immer noch keine Zustimmung.

Erst als dem Abensberger Bürgermeister und seinen Stadträten der Kragen platzte und als sie den Turmbau vehement forderten, gaben die ewigen Bremser nach.

(Bilder zum vergrößern anklicken)

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Kühne märchenhafte Türme statt verschwendetem Straßenbeton

Während in manchen Kleinstädten schon mal 30 Millionen Euro im sumpfigen Boden versenkt werden für sinnlose und elend laute Umgehungsstraßen, während man andernorts überflüssige und hässliche Turnhallen hinstellt, haben die Abensberger gezeigt, dass es auch anders geht. Sie haben ohne zu zögern die Chance ergriffen, ein einmaliges und berühmtes Bauwerk zu bekommen.

So schimmert nun von weitem die goldene Kugel an der Turmspitze über der Stadt im Sonnenlicht. Echtes Blattgold zeigt allen an, dass diese Stadt lebendig und erfolgreich ist, dass sie nach Jahrhunderten des Dornröschenschlafs wieder Menschen und Ideen herbeizieht.

Der Turm sagt allen, dass man hier Kühnheit und einen Sinn für Poesie gleichermaßen besitzt. Dadurch entsteht eine einzigartige Spannung und Faszination. Man spricht von einer Besucherzahl von fünfzigtausend pro Jahr.

 

Es gibt zahllose Brauereien.

Doch nur die der Brauerei Kuchlbauer hat so einen Turm.

Und unter allen Städten tut sich das kleine Abensberg mit diesem Turm hervor

 

 

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Hier gehts zum Video einer Führung in „Kuchlbauers Bierwelt“  und hier zur offiziellen Internetpräsentation.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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