Teil (1) Drei Studien und ein Blick auf Grundsätzliches.
Prominent und medial vielstimmig verbreitet konnte man in den letzten Monaten in Deutschland über die Aussagen stolpern, der Antisemitismus in Deutschland nehme zu, sei wieder auf dem Vormarsch und insbesondere im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und den Demos gegen die staatlich verordneten Corona-Maßnahmen würden „antijüdische Verschwörungsideologien“ und hasserfüllte Vorstellungen über Juden wieder zunehmen. (So z.B. die Vorsitzende der „Amadeu Antonio Stiftung“, Anetta Kahane auf einer Pressekonferenz am 24.11.2020 in ihrer unsäglichen Verknüpfung: “Verschwörungsideologien haben Antisemitismus als Betriebssystem“)
Mit Verlaub, aber das sind Fake-News die von mindestens zwei der aktuellsten öffentlich zugänglichen Studien zum Thema „Antisemitismus in Deutschland“ wiederlegt werden.
Und überhaupt: Verschwörungsideologien.
Was auch immer einige unter diesem, bar jeder ernsthaften intellektuellen Substanz daherkommenden Diffamierungsbegriff verstehen mögen, ihn gleichsam einem Naturgesetz folgend sogleich mit „antisemitistisch“ zu apostrophieren, verkennt gezielt -also absichtsvoll- sowohl die Wirkmacht der dabei agierenden belanglosen Kleinstgruppen, als auch deren intellektuelle Flughöhe bezüglich Kenntnis judenfeindlicher Mythen in der Weltgeschichte.
(Anders verhält es sich mit „Antisemitischen Straftaten“. Dazu mehr im zweiten Teil)
Zwei Studien, ein erfreuliches Ergebnis.
Zum einen wiederlegt von der ausschließlich Deutschland behandelnden, zuletzt im November 2020 veröffentlichten repräsentativen „Leipziger Autoritarismus-Studie“ der Universität Leipzig. (Befragungszeitraum 2. Mai 2020 bis 19. Juni 2020) Diese seit 2002 alle zwei Jahre durchgeführte Studie dokumentiert zum Thema Antisemitismus einen annähernd kontinuierlichen Rückgang in der Werteskala der Studie von 13,8 % im Jahr 2002, auf 3,6%, bzw. 3,2% in Westdeutschland im Jahr 2020.
Zum anderen von der in 18 Ländern zwischen April und Juni 2019 durchgeführten Umfrage der „Anti-Defamation League“(ADL). Deren „ADL Global 100 Index“ dokumentiert für Deutschland den Rückgang antisemitischer Einstellungen beginnend im Jahr 2014 mit 27%, bis zum Jahr 2019 mit 15%. (Zum Vergleich: Antisemitische Einstellungen in West-Europa= 24%, Ost-Europa=34%)
Und dann gibt es da noch einen über zahlreiche Pressemeldungen verbreiteten Artikel der „Süddeutschen Zeitung„ (SZ), in dem über Ergebnisse einer Studie des „World Jewish Congress“ (WJC) vom Oktober 2019 mit den Worten „der Antisemitismus breitet sich in Deutschland aus“ befunden wurde.
(Grafik links: SZ-Grafik mit Ergebnissen der WJC-Umfrage)
Im Gegensatz zu den beiden oben genannten Studien wurden die diesen Befund stützen sollenden Zahlen aus dem SZ-Artikel medial ausgiebig rauf und runter zitiert. Zuletzt in der „Aspekte“-Sendung des ZDF vom 29.01.2021.
Die darin gezeigten Ergebnisse zu „Juden sprächen zu viel über den Holocaust, hätten in Weltpolitik und Finanzmärkten zu viel Macht, und werden wegen ihrer Verhaltensweisen gehasst“ kommentierte der Präsentator mit den Sätzen „Der Judenhass war ja nie weg. Im Gegenteil. Er wird stärker„.
Abgesehen davon, woraus er dieses „wird stärker“ aus den eindimensionalen Ergebnissen ableitete, muss man sich mit Ausnahme der letzten Frage doch fragen dürfen, warum man die beiden ersten Fragen originär mit Antisemitismus in Verbindung bringen sollte?
Dazu müsste man wissen, dass man in diesem Zusammenhang gerne von „antisemitischen Stereotypen“ oder „antisemitischen Codes“ spricht.
Oder anders ausgedrückt: Dabei geht es um Deutungsmacht. Also darum, wer bestimmt was antisemitisch sei und was nicht.
Problem: Was antisemitisch ist entscheide noch immer ich.
Zur Verdeutlichung mag eine weitere Sequenz aus dieser „Aspekte“-Sendung dienen. In ihr beschwerte sich der jüdische Pianist Igor Levit über einen Beitrag aus einer früheren „Aspekte„-Sendung der sein Leben behandelte. Er sah sich darin -verbal- antisemitisch angegriffen. Den Einwand des Präsentators, ob er dabei nicht etwas zu sensibel reagiere, quittierte Levit mit „was antisemitisch ist -wenn ich angegriffen werde- entscheide noch immer ich“.
Zurück zum SZ-Artikel. Zum einen geben die lediglich 16 im SZ-Artikel angeführten Ergebnisse -siehe SZ-Grafik oben links- (die Studie umfasste insgesamt 81 Fragen) nur einen rudimentären Eindruck wieder. Zum anderen dokumentieren die abgefragten Einstellungen in ihren Prozentwerten ausschließlich Momentaufnahmen zum Zeitpunkt der Abfrage. Sie standen jedoch in keiner Relation, anhand derer man Veränderungen zu eventuell zeitlich vorrangegangener, gleichgelagerter Umfragen des WJC ablesen könnte.
Was WJC-Präsident Ronald Lauder aber nicht hinderte, die Ergebnisse mit seiner Feststellung zu verbinden, dass „der Antisemitismus in Deutschland einen kritischen Punkt erreicht“ habe. Eine steile These wie ich finde. Besonders wenn man diese alarmistische Haltung ohne Grundlage eigener vergleichender Zahlen vertritt oder mit den Ergebnissen der beiden anderen Studien abgleicht.
Jede der hier angeführten Studien bezieht ihre Ergebnisse aus der Auswertung eines individuell, mehr oder minder umfangreich aufgestellten Fragenkatalogs zu antisemitischen Stereotypen. (Beispiel: „Juden haben in der Geschäftswelt zu viel Macht“. Eine Frage die z.B. in Polen von 74%, in Deutschland von 42% bejaht wurde) Aus Häufigkeit und Prägnanz bejahender Fragen leitet man am Ende einen Index zur Ausprägung antisemitischer Einstellungen ab. Formulierung und Anzahl der Fragen sind in den Studien zwar unterschiedlich, doch gleichen sie sich im Studiendesign und ihren auf Häufigkeit und Ausprägung beruhenden Schlussfolgerungen.
Das Ärgernis.
Es macht betroffen und ich empfinde es als persönliche Beleidung, wenn ein durch aktuelle Studien festgestellter erfreulicher Rückgang antisemitischer Einstellungen in Deutschland in der Öffentlichkeit nicht nur nicht kommuniziert, sondern von offensichtlich informationsverweigernden Journalisten und Politikern in schlafwandlerischer Selbstverständlichkeit ein falscher, in beiden Gruppen vermutlich durch ein tradiertes, festzementiertes vorurteilbehaftetes Weltbild befeuert wird, antisemitische Ressentiments seien, wie für den Osten Deutschlands zeitweise leider zutreffend, in Deutschland insgesamt weiter auf dem Vormarsch.
Ist es nur Faulheit oder schon schiere Dummheit die Existenz antijüdischer Ressentiments in unserem Land Fakten negierend einfach medial fortzuschreiben, statt den dokumentierten, für uns Deutsche erfreulich zu nennenden Rückgang antisemitischer Sichtweisen prominent aufzugreifen?
Eine in Sonntagsreden und Betroffenheitsartikeln beschworene Normalisierung des durch nationalsozialistische Barbarei geschichtlich schwer belastete Zusammenleben zwischen Deutschen und Juden zwar zu fordern, den Rückgang antisemitischer Einstellungen in unserem Land dann aber nicht zur Kenntnis nehmen wollen um ihn ……. nicht kommunizieren zu müssen?
Oder ist es subtiler?
Antisemitismus und das Versprechen die Juden Heim zu holen.
Dem israelischen Staatsgründer und Premierminister David Ben-Gurion wird folgende Aussage zugeschrieben: „Wir brauchen den Antisemitismus, er treibt uns die Juden nach Israel zu. Und wenn er schwächelt müssen wir dafür sorgen dass er aufgepäppelt wird“. (Zu diesem Zitat kann ich leider keine Fundstelle anbieten. Es korrespondiert jedoch mit belegten Aussagen anderer Personen und Vorkommnissen, auf die ich in Teil Zwei ausführlich eingehen werde)
Der Zionismus, die jüdische Nationalbewegung, welche die Errichtung einer nationalen Heimstätte für die Juden im „Land Israel“ (Palästina) zum Ziel hat, brauchte und braucht Antisemitismus!
Egal in welchen Teilen der Welt er in Erscheinung tritt. Denn bisher ist „der“ Zionismus“ am Versprechen „die Juden Heim zu holen“ gescheitert. Gut 50 Prozent der Juden leben noch immer außerhalb Israels, in der sogenannten „Diaspora“. Sie fühlen sich besonders in den USA, Frankreich oder auch in Deutschland heimisch. Selbst unter den jüdischen Kontingentflüchtlingen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ausreisen durften, zogen es nicht wenige vor statt nach Israel lieber nach Europa auszuwandern. Trotz massivster Bemühungen des Staates Israel doch bitte zur Stärkung und Vergrößerung des „gelobten Landes“ beizutragen. (Ca. 90 Prozent der jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland kommen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion)
Die „subtile“ Holzhammermethode
Als Beispiel bietet sich hier das 1987 in Kiew geborene, und 1994 mit ihren Eltern nach Deutschland ausgewanderte „Tschernobylkind“ (Zuschreibung von Ukrainischen Ärzten) Marina Weisband an. (Obwohl sie „in ungefähr jedem Städtchen Israels eine Tante oder einen Onkel“ hat. Zitat M.Weisband)
Als Vertreterin der jüngeren jüdischen Generationen hielt sie -neben Charlotte Knobloch –eine Rede bei der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag am 27. Januar.
„Das Gefühl willkommen zu sein ist [auch über die positiven Erfahrung bei ihrer Ankunft hinaus] bei mir geblieben und hat mich später dazu inspiriert, dieser Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen“, so Weisband in ihrer Rede. Sie sprach aber auch – wenn man so will in einer wenig schmeichelhaften Bestandsaufnahme- ihre Sicht auf jüdisches Leben in Deutschland an. „Jüdin in Deutschland zu sein heißt zu verstehen, dass es passiert ist, [der Holocaust] und folglich wieder passieren kann“.
(An dieser Stelle zuckte ich zum ersten mal) Diese, einer vermeintlichen Zwangsläufigkeit folgende Schlussfolgerung, „es kann wieder passieren“, kann man -gemünzt auf Deutschland- als Zumutung empfinden.
Antisemitismus beginne nicht erst, so Weisband in ihrer Rede, wenn auf eine Synagoge geschossen wird oder Gaskammern errichtet werden. „Es beginnt mit Verschwörungserzählungen. Es beginnt mit Tiraden über eine angebliche jüdische Opferrolle“. (Hier zuckte ich erneut. Wie kann man nur die irren Äußerungen vereinzelt auftauchender Idioten als Beleg für drohende Gefahren in einer vollkommen anders denkenden Gesellschaft heranziehen?)
Doch damit nicht genug. Wohl um die Ernsthaftigkeit ihrer Aussage zu unterstreichen fügte sie an:
„Um es klar zu sagen: Wir können den Anfängen nicht wehren, weil es ein stetiger Prozess ist“.
Mit anderen Worten beschwört sie hier etwas, was von den zwei oben zitierten Studien bereits widerlegt wurde. Ja, Antisemitismus ist zweifelsohne auch in Deutschland vorhanden. Aber das „stetige“ daran ist der stetige Rückgang des Antisemitismus in Deutschland.
Warum konnte Marina Weisband das nicht erkennen? Meine Vermutung dazu: Mehr scheinen als sein!
Weisband erwähnte das von Juden für den Holocaust benutzte Wort „Shoa“ 5 mal in ihrer Rede. Alle 5 mal betonte sie es nicht nur falsch, sondern schrieb es auch in ihrem Manuskript an jeder der 5 Stellen falsch. Richtig geschrieben hieße es „Shoah„. (mit „h“ ergibt sich ein langgezogenes „a“ am Ende)
Das sie, wie in ihrer Rede angeführt „nie eine Expertin in Antisemitismus sein“ wollte, jedoch Aufklärungsvideos dazu auf YouTube einstellt und „angerufen wird, wenn irgendwo was passiert“ lässt vermuten, dass sie von der Öffentlichkeit als ernstzunehmende Warnerin vor Antisemitismus wahrgenommen werden will. Egal wie fundiert, egal wie faktenfrei. Mit Warnungen, oder artikulierter Angst vor Antisemitismus bekommt man, besonders in Deutschland, schnell mediale Aufmerksamkeit.
Und damit diese Warnungen auch auf einen gewissen Resonanzboden treffen, kleidet Weisband sie in eine nach alltagsprägender Grundstimmung klingende Äußerung. Wie z.B. in einem Einspieler in der oben bereits erwähnten „Aspekte“-Sendung:
„Ich muss immer wissen wo mein Koffer steht. Wie schnell ich ihn packen kann. Und wo ich mich und meine Familie in Sicherheit bringen kann„. Das muss man jetzt als Ausdruck eines Gefühls einfach mal so stehen lassen. Denn Gefühle kann man nicht weg argumentieren. Sofern sie nicht vorgtäuscht sind, sind Gefühle selten Produkt rationaler Überlegung. Gefühle sind einfach da.
Marina Weisband und allen -die hoffentlich nur vermeintlich- so wie sie empfinden mögenden Jüdinnen und Juden in Deutschland wünsche ich, dass sie ihre Koffer aus den Augen lassen können. Denn … auch wenn es sich noch nicht rumgesprochen hat, der Antisemitismus in Deutschland nimmt ab.
Um Missverständnissen vorzubeugen,
(also das, was man neuerdings immer tun muss, um Fehlinterpretationen bei denjenigen zu vermeiden, die beim Lesen dieses Textes eventuell mit ihrem Textverständnis und dem Sinnverständnis nicht zurecht kommen) aber auch im Vorgriff auf den zweiten Teil, hier am Ende des ersten Teils der Betrachtung „Antisemitismus“ noch einige Anmerkungen.
Im Privatleben ist Antisemitismus, ebenso wie Rassismus nicht strafbar. Außer beide Weltanschauungen gehen mit strafbaren Handlungen einher. Jeder kann jeden mögen oder auch nicht! Selbst wenn seine Ansichten auf Vorurteilen beruhen.
„Wer einem Juden etwas übel nimmt, was er einem anderen durchgehen lässt, ist ein Antisemit„. Dieser Satz von Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, beschreibt in einfachen, für jeden verständlichen Worten die Definition für Antisemitismus.
Diese Beschreibung erfordert keine Suche nach antisemitischen Codes oder antisemitischen Stereotypen. Gradliniger und unverschwurbelter kann man Antisemitismus nicht beschreiben. Diese klare Beschreibung fordert auch keine besondere Rücksichtnahme auf Handlungen des israelischen Staates. Damit weicht sie im Kern auch nicht von der unter Antisemitismus vereinbarten internationalen Arbeitsdefinition der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) ab.
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die im Hass auf Juden Ausdruck finden kann. Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nicht-jüdische Individuen und/oder ihr Eigentum, gegen Institutionen jüdischer Gemeinden und religiöse Einrichtungen.“
Doch dieser rechtlich nicht bindenden „Arbeitsdefinition“ wurde eine Erweiterung beigefügt. Eine Erweiterung, die „israelbezogenen“ Antisemitismus beinhaltet.
Kritiker sehen in dieser z. B. von der Deutschen Bundesregierung ausdrücklich als Zusatz zur „Arbeitsdefinition“ übernommen Erweiterung einen unzulässigen, die Meinungsfreiheit beschneidenden Maulkorb. Mit dem Satz „darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein“, soll der Kritik am Umgang Israels bezüglich der besetzten Palästinenser Gebiete als antisemitisch entgegen wirken. Die Klarstellung im Zusatz „Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden“ wurde von der Bundesregierung nicht übernommen.
Wie weit die Auffassung gehen kann, selbst berechtigte Kritik an Israel sei anti-israelisch (also antisemitisch), kann man aktuell an einer u.a. von der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) begrüßten Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) vom 5. Februar 2021 beobachten.
Nach über sechsjähriger Beratung wird der Strafgerichtshof „Verfahren wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in den seit 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebieten eröffnen“.
Damit mache sich der Strafgerichtshof zum „politischen Werkzeug der anti-israelischen Propaganda“ erklärte der israelische Außenminister Gabi Ashkenazi. „Der Staat Israel wird jede notwendige Maßnahme ergreifen, um seine Bürger zu schützen.“ (Mit dieser Drohung befindet sich Ashkenazi auf einer Wellenlänge mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Auch der drohte dem IStGH als dieser 2020 Ermittlungsverfahren gegen US-Streitkräfte und CIA zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen in Afghanistan ankündigte)
Was ist Antisemitismus? Nicht so einfach wie manche es haben wollen.
Und selbst die eigentlich so klare Definition des „Wer einem Juden etwas übel nimmt“ von Jo-Achim Hamburger entbehrt bei genauerer Betrachtung nicht einer gewissen semantischen Unwucht.
Man kann auch einer Jüdin oder einem Juden, ganz egal ob man von ihr oder ihm das „jüdisch sein“ kennt, etwas übel nehmen das man eventuell anderen durchgehen ließe.
Das hat schlichtweg etwas mit Sympathie oder Antipathie zu tun. Also mit Gefühlen.
In ihrer Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 27.Jannuar 2021 im Deutschen Bundestag, sprach die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch diese „Gefühle“ in einem anderen Zusammenhang an.
Mit Blick auf intolerantes Gedankengut islamistischer, sowie rechts- als auch linksradikaler Gruppen in Deutschland, wandte sie sich in ihrer Rede explizit an die jüngere Generation. „Lasst euch von niemandem einreden, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt!“
„Den, die, das mag ich nicht“-Aussagen eines Erwachsenen müsste einem doch bekannt vorkommen und wären in der Bewertung doch ziemlich leicht von einem hier beispielhaft angeführten kindlichen „Spinat hasse ich“ abzugrenzen. Die Aussage zu Spinat dürfte ausschließlich von persönlichem Kontakt herrühren, wobei beim „mag ich nicht“ eines Erwachsenen nicht nur Verhalten, Ausstrahlung und Physiognomie einer Person, sondern auch Vorurteile, Hörensagen, Berichte, Nachrichten und ähnliches nicht zwangsläufig im eigenen Erleben zu findendes eine Rolle spielen dürften.
Ich zum Beispiel mag –jeder Antisemiten Jäger dürfte jetzt vor Zorn im Gesicht rot anlaufen– den überwiegend in der MSP als Philanthrop gepriesenen George Soros nicht. Weil er Jude ist? Nein, weil er mit den Finanzwetten seines Hedgefonds Steuergelder anderer Staaten vernichtet und ganze Volkswirtschaften an den Rand des Ruins trieb. „Nie weiß man so recht, welcher Finanzwette seine „Ratschläge“ und Meinungsbeiträge gerade dienen“, befand der „Tagesspiegel“ in einem Betrag zu zum 90. Geburtstag von Soros.
Überdies mag ich G. Soros nicht, da er mit seiner Open Society Foundation sogenannte NGOs finanziert, die im Zusammenspiel mit westlichen Geheimdiensten Desinformationen verbreiten um sich nicht genehmen Regierungen durch „Regime Change“ zu entledigen.
Doch allein schon die Erwähnung seines Namens in Verbindung mit seinem Finanzgebaren reicht aus, um jemand der das anspricht, mit einer gedanklichen Verknüpfung „Soros + Finanzwelt + Jude = antisemitische Chiffre“ als Antisemit zu brandmarken. (Und trotzdem werde ich nicht gleich nach jeder Bekundung den Mann nicht zu mögen eilfertig anfügen, das ich auch jeden anderen -ob Jude oder nicht- als ekelhaft empfinden würde der gleichgelagertes tun würde)
Auch „Hänschen“ Rosenthal mit seiner Sendung „Dalli Dalli“ mochte ich nicht. Weil er Jude war? Nein! Ich „mochte“ ihn nicht weil er auf mich so bieder und täppisch wirkte und die von ihm präsentierte Sendung ein einziger Kindergeburtstags-Spiele-Reigen war. Den Showmaster Wim Thoelke hingegen, er präsentierte ebenfalls eine Quiz-Sendung, mochte ich. Nicht weil er kein Jude war, sondern wegen seiner seriös-liebenswürdigen Art. Und das obwohl er ähnlich täppisch auf mich wirkte wie sein Showmaster Kollege Rosenthal.
Wohlstandsverwahrlosung
Nach obiger Definition wäre ich jetzt ein Antisemit weil ich den gleichen Wesenszug „täppisch“ dem einen „übel nahm“, dem anderen aber nicht. Doch bin ich weit davon entfernt -zumindest in diesem aber auch ähnlichen Fällen- mir diesen Schuh anzuziehen.
Liest man zum Beispiel Nachrichten oder betrachtet Informationssendungen scheint es bereits eine persönliche Leistung zu sein, sich in der persönlichen Ausdrucksweise nicht einem „den hasse ich“ hinzugeben, und sich stattdessen mit „den mag ich nicht“ einer gewissen Wohlstandsverwahrlosung zu entziehen.
Gut zu beobachten an Berichten über Demonstrationen auf denen dem Berichterstatter nicht näher erläutert „Hass und Hetze“ begegneten. Oder an politischen Spitzentreffen. Da wird von „Streit“ berichtet, obwohl in diesen Runden über Lösungen „debattiert“, „gerungen“, „diskutiert“, „verhandelt“, „Diskurse geführt“ oder auch nur ein reger „Meinungsaustausch“ stattfand.
Wenn ein dermaßen beschränktes Vokabular zunehmend die aktuelle Berichterstattung domminiert, muss man sich nicht wundern, wenn „ich mag den, die, das nicht“ von Journalisten oder Politikern als Ausdruck von Hass, Hetze oder Antisemitismus gesehen wird.
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Hier gehts zum Zweiten Teil: „Antisemitismus in Deutschland – Steigende Straftaten und der Zahlensalat.
Und hier der Hinweis auf einen früheren Artikel zum Thema:
„Warum diese Häufung an realitätsverzerrender Berichterstattung über Antisemitismus?“