Dumpfbacken-Journalismus macht vor Fachmedien nicht halt.

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Verbrauchertäuschung in Deutschland mit Füllmengenreduktionen in Russland verteidigt.

Haben sie es noch immer nicht verinnerlicht? WIR sind die GUTEN! Die anderen, zum Beispiel Russland, das sind die Bösen. Sollte die Ideologie der unschlagbaren westlichen Werte dennoch Risse bekommen, kann man zur Aufrechterhaltung dieser Anschauung einfach Äpfel mit Birnen vergleichen und zum Beispiel die durch westliche Sanktionspolitik verursachte Mangelwirtschaft in anderen Ländern einfach mal ausblenden.

Aber der Reihe nach.

In einer Online-Abstimmung der Verbraucherzentrale Hamburg wurden die „Chipsletten“ der Lorenz Bahlsen Snack-World GmbH & Co KG zur „Mogelpackung des Jahres 2018“ gewählt.

Grund: Versteckter Preisanstieg zwischen 50% -70% über Reduktion der Füllmenge von 170 auf 100 Gramm bei annähernd gleicher Packungsgröße. (HIER dazu die Stellungnahme der Lorenz Snack-World Holding GmbH) Diese Negativ Auszeichnung  sei ein „Denkzettel, den Hersteller Lorenz völlig zu Recht bekommen hat„, sagte Armin Valet von der Verbraucherzentrale im Tagesspiegel.

Ausriss LZ Nr 4/19

Muss sich der Chipsproduzent jetzt schämen“, fragt sich ein Jörg Konrad in einem Kommentar der Lebensmittel Zeitung (LZ), nach eigenen Angaben die „führende Fach- und Wirtschaftszeitung der Konsumgüterbranche“.

„Das kommt darauf an“, beantwortet sich der Leiter des Redaktionsbereichs Marketing in der LZ-Redaktion die Frage gleich selber und relativierte anschließend sehr eigenwillig drauf los.

In Russland, in Putins Pontemkin Reich, seien doch „kreative Schrumpfpackungen von ganz oben abgesegnete Staatsdoktrin“.

Da haben wir aber Glück. Bei uns in Deutschland dürfen Lebensmittelproduzenten das völlig eigenverantwortlich und ganz ohne staatliche Lenkung bewerkstelligen.

Während also bei uns ein Chipsproduzent seine unmerklich verkleinerte Packung mit 40 Prozent weniger Inhalt füllt, enthält in Russland „seit dem Jahreswechsel der 10er Eierkarton nur noch 9 Eier“ versucht der LZ-Redakteur zu beschwichtigen.

(In Russland dürften die Verbraucher mit Eierkartons ähnlich umgehen wie Verbraucher in Deutschland. Sie öffnen ihn vor dem Kauf und sehen sofort wenn ein Ei -10%- im Karton fehlt. Machen sie das mal mit der verschweißten Chips Packung und schließen bei einer gut gelernten Packungsgröße auf einen plötzlich verringerten Inhalt. Die Grammangabe findet man i.d.R. auf der, der Erde abgewandten Seite des Mondes, also auf dem wesentlich weniger offensichtlichen Teil der Verpackung)

Da dem LZ-Schreiber offenbar die Feinheiten der Prozentrechnung nicht vermittelt wurden, fügt er noch weitere, ungeheure inhaltsreduzierte russische Beispiele an.

„Auch die 950 Milliliter Flasche Milch und das 900-Gramm Päckchen Reis regt … niemand mehr auf“.

Was mag die Intention dieses LZ-Redaktionsleiters gewesen sein, was wollte er mit diesen nicht vergleichbaren Vergleichen ausdrücken? Wenn sich in Russland keiner wegen des Fehlens von 10% Wareninhalt aufregt, warum sollten wir uns in dann in Deutschland wegen 40% weniger Wareninhalt aufregen?

Vielleicht regt sich der getäuschte deutsche Verbraucher deshalb auf, weil man neben den Prozentwerten auch die Umstände nicht vergleichen kann? Ich wüsste nicht, dass ein Chipsproduzent in Deutschland zur Verbrauchertäuschung durch Inhaltsreduktion greifen müsste weil er von Wirtschaftssanktionen betroffen wäre.

„Muss sich der Chipsproduzent jetzt schämen“? Aber sicher. Und der fragende Redakteur wegen seiner Beschwichtigung und der arg hinkenden Vergleiche gleich mit. Doch irgendwie kann man den Redakteur aber auch entschuldigen. Lieferte er doch mit der Kommentarüberschrift „Schrumpfkur“ seine geistige neoliberale Verfasstheit und einem aufschlussreichen Schlusssatz eine Spur Russophobie gleich mit.

„Richtig ernst wird es (mit Verbraucherprotesten in Russland) wohl erst, wenn bei den Wodka Flaschen die Füllmenge sinkt“.

Eine irrige Annahme. „Die“ Russen verzichten zunehmend freiwillig auf Alkohol. Doch als Redakteur ist das Leben einfacher, wenn man sich bei Betrachtung seines Berichtsgegenstands nicht von Fakten beirren lässt.

Meldet doch die Weltgesundheitsorganisation „WHO“ einen „spektakulären“ Rückgang des Alkoholkonsums in Russland. (Die Russen verbrauchen pro Jahr 12,2 Liter puren Alkohol. Das sind 20 Prozent weniger als im Jahr 2012. Dagegen trinken die Franzosen 13,3 und die Deutschen 13,4 Liter Alkohol pro Jahr)

Ach ja, der Artikel fing ja mit unseren „westlichen Werten“ an. Nach der Lektüre des Textes in der LZ müsste man mal nachsehen wo die geblieben sind.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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