Eine Umfrage und die merkwürdige Interpretation des Ergebnisses

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Am Beispiel „ Jens Spahn ist beliebtester Politiker Deutschlands“

 „Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist einer aktuellen Umfrage zufolge der beliebteste Politiker Deutschlands“. So stand es Ende Dezember von Flensburg bis Berchtesgaden auf allen Online-Zeitungs-Portalen die diese Meldung der Nachrichtenagentur „AFP“ abdruckten.

Diese Meldung bezog sich auf eine „repräsentative“ Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar für die „Bild am Sonntag“. Im abgefragten Feld der üblichen Verdächtigen, die Auswahl umfasste von Baerbock Annalena bis Söder Markus insgesamt 18 Personen, belegte Spahn mit 52 Prozent den Spitzenplatz.  Ihm folgte Kanzlerin Merkel mit einem Prozentpunkt weniger.

Bei Spahn dürfte die Zuschreibung „beliebtester Politiker“ Freude, bei aufmerksamen Lesern jedoch Irritationen ausgelöst haben. Zumindest sobald sie diese Feststellung  mit der ihr zugrunde liegenden Fragestellung in Einklang bringen wollten. (Der Wortlaut der Frage folgt weiter unten)

Die Redaktionen vor Ort sind durch die Großhändler von Nachrichten (Nachrichtenagenturen) geschützt.

Das Meldungen die von Nachrichtenagenturen in die Zentralredaktionen flattern, dort nur selten bis gar nicht redigiert, allenfalls noch Absätze in ihrer Reihenfolge umgestellt oder Schlagzeilen noch etwas umformuliert  werden, dürfte Nachrichtenkonsumenten hinlänglich bekannt sein. Zumindest denjenigen, die bei der Sondierung der aktuellen Nachrichtenlage nicht nur über sich gleichende, sondern meist vollkommen identische Artikel in den unterschiedlichsten Nachrichtenportalen stolpern.

Das liegt zum einen daran, dass Agenturen die wichtigsten Stofflieferanten der Massenmedien sind.

Zum anderen liegt es, und das betrifft die unbearbeitete Weiterverbreitung von Agenturmeldungen in den Medien,  am sogenannten „Agenturprivileg“.
Der Grundsatz der Presseberichterstattung, nachdem Journalisten verpflichtet sind, Informationen sorgfältig zu überprüfen und gegebenenfalls nachzurecherchieren entfällt, sobald die übernommene Information aus einer privilegierten Quelle, z.B. einer seriösen Nachrichten- und Presseagentur stammt.

Das ist die eine Seite der Nachrichtenvermittlung.

Die andere Seite ist die Sorglosigkeit, vermutlich sogar der mangelnde Intellekt der Redakteure, offensichtlich widersprüchliches nicht mehr vom Denkrichtigen unterscheiden zu können. Denn hätte er konkrete Zweifel an der Richtigkeit einer Agenturmeldung, wäre der Journalist/Redakteur verpflichtet zu recherchieren. Also hat man eben keine „Zweifel“.

Der Umgang mit der oben angerissen „Spahn-Meldung“ ist ein Musterbeispiel dafür.

Fangen wir bei der Abweichung  zwischen der Feststellung in der Schlagzeile und der ihr in der Umfrage zugrunde liegenden Frage an.

Wie kann man aus dem Ergebnis zur Frage  „Von welchem der folgenden Politiker wünschen Sie sich im kommenden Jahr 2021 eine möglichst große Wirkung in der deutschen Politik?“ ableiten, die Person mit der höchsten Punktzahl sei demzufolge „der beliebteste Politiker Deutschlands“? Seriöserweise kann man das bei dieser Fragestellung nicht. (Außer man ist eventuell Nachrichten Redakteur)

And the most unpopular is ……

Interessanterweise gab es im Oktober eine -von keiner Zeitung aufgegriffene- seriöse Umfrage, die verdeutlicht, wie man mit einer klar gestellten Frage zu einem wirklich aussagekräftigen Ergebnis kommt.

Welche derzeit aktive Politikerin bzw. welchen derzeit aktiven Politiker auf Bundesebene lehnen Sie am entschiedensten ab?

Wer hat hier gewonnen? Angela Merkel vor dem drei Plätze hinter ihr liegenden Jens Spahn!

Und diese Umfrage war, im Gegensatz zur „Spahn Umfrage“ wirklich sehr „repräsentativ“. (Das Meinungsforschungsinstitut INSA befragte 2084 Menschen ab 18 Jahren in Deutschland)

Und da sind wir beim zweiten Kritikpunkt. Der Sorglosigkeit und dem vermutlich mangelnden Intellekt bei so manchem Redakteur.

Laut der repräsentativen Umfrage …..“ konnte  man den Artikeln zur medialen Spahn Inthronisation entnehmen. Damit aber auch jeder sehen konnte -nur die Redakteure nicht- das diese Umfrage gängiger Praxis zufolge eben nicht repräsentativ war, veröffentlichte man, wie auch schon die oben angeführte Frage, die genaue Anzahl der Befragten. Es waren 500! Nach Ansicht von Fachleuten eine Stichprobengröße, die bei Umfragen dieser Art als alles andere, nur nicht als repräsentativ angesehen würde.

Ich habe keine Ahnung was Journalisten oder angehende Redakteure heute auf den Journalistenschulen so lernen. Doch der Umgang mit Statistiken oder die Besonderheiten bestimmter Datenerhebungen (Empirie) dürften dort noch immer in den Lehrplänen stehen.

So auch die Kenntnisvermittlung zu wissenschaftlich anerkannten Verfahren, die z.B. für die Grundgesamtheit der deutschen Bevölkerung ab 18 Jahren eine Stichprobengröße von n=1000 als „repräsentativ“ vorsieht. (Daran ändern auch die Klick-Tools bei Online-Umfragen nichts, die wegen der Selbstselektion ihrer Teilnehmer nach Ansicht von Fachleuten keine repräsentativen Ergebnisse liefern)

Doch was soll´s, das rutscht eben so durch sobald es sich um eine Agenturmeldungen handelt. Die Zeit derartiges wie am Fließband in die Redaktionen reinschwappendes auf Sinnhaftigkeit abzuklopfen, diesen Aufwand betreiben Redaktionen nicht.(oder nicht mehr) Man kann sich in derartigen Fällen ja auf das Agenturprivileg zurückziehen.

Der hier beschriebene Fall oberflächlicher Nachrichtenvermittlung beleuchtet ein medial stark verbreitetes Umfrageergebnis, das keinesfalls spektakulär Falsches wiedergibt, sondern in seiner Bewertung „nur“ propagandistisch überzogen war.

Man kann das nun als Petitesse oder als kleines störendes Steinchen sehen, das die Nachrichtenvermittler in den Schuh des Nachrichtenkonsumenten legten. Oder man weitet den Blick und erkennt, dass dieses Steinchen Bestandteil einer viel größeren Geröllhalde ist, auf der unsere Medien mit zunehmender Geschwindigkeit talwärts rauschen.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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