Auf Entdeckungs-Trip beim „bösen Nachbarn“ und seiner „desolaten Wirtschaft“.
Möchte man etwas verstehen, sollte man die heimische „Berichterstattung“ ausblenden und sich vor Ort ein Bild (oder ein Video) machen. Zum Beispiel über „den bösen, rückständigen Russen“. Also ab in Russlands Hauptstadt nach Moskau. Nebenbei noch ein politisches Interview über Russlands derzeitigen und zukünftigen Weg mit einem russischen Politikwissenschaftler führen (Dr. Pjotr Fedosov) und alles auf sich wirken lassen. Und was soll man sagen: Moskau ist toll, lebenslustig, modern und westlicher als man es eigentlich möchte. Trotz Embargo und westlicher Besserwisserei!
Moskau, Flughafen Scheremetjewo. Vor den vielen Schleusen zur Einreisekontrolle stehen unterschiedlich lange Schlangen mit Einreisewilligen. An den per Leuchtanzeige für russische Staatsbürger zugewiesenen Abfertigungsschleusen sind die Schlangen kürzer, an der für Ausländer ausgewiesenen Schleuse wesentlich länger. Dennoch steuert man mit seinem gut sichtbar gehaltenen Pass natürlich die Kontrollschleuse für Ausländer an.
Plötzlich versperrt einem eine stattlich gebaute Uniformierte den Weg zur Ausländerabfertigung, und verbindet in schrillem russischem Tonfall ihr fuchteln mit einem verdächtig nach Schlagstock aussehenden Gegenstand mit einer ruppigen, an Lautstärke nicht zu überhörenden Aufforderung, sich in die kurzen Schlangen für die Einheimischen einzureihen.
Aha, denkt man sich, so sind sie also die Russen. Selbst wenn sie einem einen Vorteil verschaffen sind sie laut, autoritär und dulden keine Diskussion über sich widersprechende Informationen.
Doch ich sollte mich irren. Diese herrische „Platzanweiserin“ an der Einreisekontrolle des Flughafens sollte während meines gesamten Aufenthalts in Moskau die Ausnahme bleiben.
Uniformierte oder Security Guards vor und in den Geschäften, der Stadt, im Kreml, in Museen und Klöstern, den Bahnhöfen oder in einer der 200 Metro-Palast-Stationen: Sie alle waren aufgeschlossen, hilfsbereit und im Tonfall sehr, sehr verbindlich.
Solange man sich zu benehmen wusste. Als ich im Kreml tourimäßig eine breite Straße in Richtung Putins Amtssitz überqueren wollte (über diese Straße führte weit und breit kein Zebrastreifen), trillerte mich ein Uniformierter mit seiner Pfeife unmissverständlich zurück.
Kreuz und quer durch Moskau fahren. Am besten geht das mit der Metro. Preiswert und schnell. Deren Züge fahren im Minutentakt und transportieren von den 12,5 Millionen Moskauern täglich ca. 8 Millionen. Stationen und Züge haben kostenlosen Internetzugang und solange man das gesamte Netz mit seinen palastartigen Stationen erkunden möchte (also das Netz der Metro nicht verlässt und stundenlang im Untergrund bleibt) kann man das mit einer einzigen Fahrkarte für 50 Rubel erleben. (1 Euro = ca. 75 Rubel)
(Apropos Metro. Deren Fahrer haben ein höheres Gehalt als ein Lehrer. Ihre Belastung sei höher und der Job sei insgesamt anstrengender)
Die digitale Revolution, also dieses „Neuland“ von dem die deutsche Kanzlerin vor kurzem noch sprach, ist zumindest in Moskau bereits alltäglich. Selbst Haltestellen und Oberleitungsbusse (Trolleybusse) für die Fahrt in die Moskauer Außenbezirke haben „free WiFi“.
Wohin man kommt, überall wird gebaut oder erneuert, werden die ohnehin breiten Straßen noch etwas breiter gezogen. In den Himmel strebende neue Hotels oder Wohnkomplexe wurden/werden im Stil des Moskau prägenden „stalinistischen Klassizismus“ errichtet.
Unterhält man sich mit den Moskauern sind sie wissbegierig und sehr interessiert an der westlichen (deutschen) Sichtweise. Gleichzeitig sind sie stolz auf das Interesse das man ihrem Land entgegenbringt. (Nur in der Metro sollten die Touris bitte nur am Wochenende fahren). Sobald es die finanziellen Möglichkeiten zuließen, wolle man Deutschland, speziell Berlin besuchen.
Das mit der Krim und der Ukraine („das sind ja Russen wie wir“) wird man schon irgendwie lösen. Seit der „Wende“ im Jahr 1991, also dem Übergang von der Russischen Sowjetrepublik zur demokratischen Russischen Föderation, lebe man in schwierigen Zeiten.
Jetzt wird vieles Privatisiert. Jedes Jahr bangt man jetzt auch in den solide gebauten alten „Stalin-Häusern“ der nächsten, wenn auch moderaten Mieterhöhung entgegen. Der Sozialstandart (z.B. Gesundheitsversorgung) sei (gegenüber westlichen Verhältnissen) hoch und die Lebenshaltungskosten noch erträglich.
Trotzdem leben im größten Flächenland der Erde von den derzeit etwas über 143 Millionen Russen knapp 21 Prozent an oder unter der Armutsgrenze. (Vergleich Deutschland: 81 Millionen Einwohner, 13 Prozent leben an der Armutsgrenze + 13 Prozent auf Hartz IV-Niveau)
Aus Gesprächen mit dem russischen Politikwissenschaftler Dr. Pjotr Fedosov und Mitarbeitern einer deutschen NGO (Moskauer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung) erfahre ich etwas über das derzeitige Klima der Deutsch-russischen Zusammenarbeit.
(Meiner Meinung nach haben die amerikanischen NGO´s sehr stark zur Beeinträchtigung des politischen Austausches beigetragen. Welche Regierung sieht es gerne, wenn die Destabilisierung des eigenen Landes unter dem Deckmantel einer Demokratie fördernden „Interessengruppe“ in einem vom Westen unverhohlen befeuerten „Regime Chance“ münden könnte)
Die Rückgabe der Krim, „ein Szenario das außerhalb des Wahrscheinlichen liegt“, wäre „keine Voraussetzung dafür, dass die derzeitige Situation sich grundsätzlich verändert“, so Dr. Fedosov.
(Das komplette Interview mit Dr. Fedosov HIER auf Youtube)
Es wäre wünschenswert, die Lage zwischen Europa, Deutschland und Russland würde sich demnächst entspannen. Die neuere Geschichte zeigt, immer wenn Russen und Deutsche zum beiderseitigen Vorteil zusammen arbeiteten, also kein „befreundeter, geostrategisch geleiteter Hegemon“ einen Keil zwischen beide Völker treiben konnte, dann ging es beiden Ländern und ihren Völkern besser.
Ein Russland, das in seiner Fortentwicklung nicht politisch willkürlich ausgebremst wird ist ein Gewinn für Deutschland, Europa und unserem gemeinsamen Kontinent in Frieden.
Moskau ist schon jetzt ein Gewinn. Zumindest für die Augen. Wer kann sollte hinfliegen.
Aber Achtung, nicht enttäuscht sein bei der Rückkehr und der Ankunft auf dem heimischen Flughafen.
Beim Hinflug und der Landung am Moskauer Flughafen konnte ich mir meinen Koffer zehn Minuten nach der Passkontrolle vom Laufband nehmen. Bei der Rückkehr nach München durfte ich auf denselben Koffer nach der Landung eine gute Stunde warten.
Ja Saxndi, is München jetz scho rückständiger als Moskau!
Reisen öffnet einem die Augen.