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Wie die Wirklichkeit in schwacher Berichterstattung verendet
Viele deutsche Medien leiden. Sie leiden am Verlust ihrer Glaubwürdigkeit und zunehmenden Unvermögen, Nachrichten als solche zu erkennen. Zwei Beispiele -Papst und Merkel- aus der vergangenen Woche zeigen: Das Leiden verstetigt sich!
Beschreibt der Papst in einer öffentlichen Audienz vor 7000 Kindern ausführlich das „perverse Getriebe“ das Kriege am Laufen hält , verbreiten deutsche Printmedien lieber seine Nebensätze zu seiner „Müdigkeit„.
Stellt ein Schüler mit palästinensischen Wurzeln die unbequeme Frage an die seine Schule besuchende Bundeskanzlerin, warum Deutschland Waffen an Israel liefert, werden die Fernsehkameras ausgeschaltet und im anschließend pflichtschuldig ausgestrahlten Merkel-besucht-Schule Fernsehbetrag hört man nichts vom Originalton. Nur den Off- Sprecher. „Es gab auch kritische Schülerfragen„. Holla, wollte da jemand Frage und Antwort nicht im Nachrichtenbeitrag haben?
Der „müde Papst“ war nur in der deutschen Presse müde.
Würde man dem Großteil der deutschen Zeitungen nicht seit geraumer Zeit kritisch gegenüberstehen, könnte man als Leser zu dem Schluss kommen, die Audienz des Papstes vom vergangenen Montag (11. Mai) dürfte eine ziemlich langweilige Angelegenheit gewesen sein. „Papst Franziskus würde sich gerne mehr ausruhen“ konnte man quer durch die Republik als Schlagzeile lesen.
Vom „Flensburger Tageblatt„, der „Berliner Zeitung„, über die „FAZ„, bis zur „Passauer Neuen Presse„: Alle verbreiteten unisono und unredigiert eine Agenturmeldung der „Deutschen Presse Agentur“. „«Oft hätte ich gern ein bisschen mehr Ruhe», sagte der 78-Jährige am Montag bei einem Treffen mit 7000 Kindern im Vatikan.“
Die aus 9 Zeilen bestehende Meldung schloss mit der Antwort des Papstes auf die Frage eines Kindes, ob er mal mit seiner Familie gestritten habe. Ja, habe er. „Aber ich versuche immer, dann gemeinsam Frieden zu schließen“.
So weit, so kurz, so belanglos.
Gäbe es da nicht „Radio Vatikan„. Und dessen Website „radiovaticana„. In mehreren Sprachen berichtet man aus dem Vatikan als „Stimme des Papstes und der Weltkirche“ über alles was es zu Papst Franziskus zu berichten gibt. Also berichtete man am 11. Mai auch über die 3-stündige Audienz mit den 7.000 kleinen „Friedensarbeitern“ der italienischen Bildungsinitiative „Fabbrica della pace“.
Dem Text konnte man zunächst entnehmen, das Franziskus die Fragen „der Kinder ausführlich und humorvoll“ beantwortete, (zum Beispiel die Frage mit dem Streit in der Familie) und dabei „den offiziellen Redetext – wieder einmal – einfach wegließ„.
Die Industrie des Todes. „Das perverse Getriebe das Kriege am Laufen hält„
Nach den „Alltagsgeschichten“ kam der Franziskus auf etwas zu sprechen, was diesen Papst in den Augen Vieler so bemerkenswert macht (und einen US-Senator und Sympathisanten der amerikanischen Waffenlobby Tage später in den amerikanischen Medien Gift und Galle spucken ließ)
Originaltext:
„Doch nicht nur auf Situationen aus dem Alltag kam der Papst zu sprechen, sondern auch auf das „große Ganze“ und das, was das Leben vieler Kinder in der Welt heute so schwer macht – den Krieg, die Ungerechtigkeit und knallharte Machtinteressen.
Ein Sohn ägyptischer Einwanderer wollte etwa vom Papst wissen, warum für die Kinder von Migranten in Schulen nicht mehr getan werde. „Man kann die Frage auch größer machen“, antwortete ihm Franziskus und kam auf den Grund der Abwanderung zu sprechen: den Krieg in Nordafrika und im Nahen Osten und das perverse Getriebe, das ihn am Laufen hält:
„Warum wollen so viele Regierenden nicht den Frieden? Weil sie vom Krieg leben! Es ist die Waffenindustrie – das ist schwerwiegend! Einige Mächtige verdienen mit der ,Fabrik der Waffen‘, verkaufen Waffen an verfeindete Länder. Das ist die Industrie des Todes.“
Und der Papst riet den Kindern, sich die Welt der Macht, des Geldes und der Interessen, mit der auch sie in Berührung kommen, genau anzusehen:
„Wenn wir sehen, dass das Wirtschaftssystem um das Geld kreist, und nicht um die menschliche Person… Man opfert viel und führt Krieg, um das Geld zu verteidigen! Deshalb wollen so viele Menschen keinen Frieden: Sie verdienen mehr mit dem Krieg. Man verdient Geld, aber verliert Leben, Kultur, Erziehung, so viele Dinge.“
Ende Originaltext
Starke Aussagen! (HIER der vollständige Text) Nur warum standen die in keiner Zeitung?
Ein Erklärungsversuch wäre der, dass man sich in den personell ausgedünnten und finanziell ausgebluteten Redaktionen von Kiel bis Passau aus betriebswirtschaftlich gebotener Zurückhaltung lieber mit fertig geschriebenen „Pseudo -Nachrichten“ aus dem bereits gezahlten „Agentur-Abo“ zufrieden gibt, ohne einen in Redaktionen üblicherweise schlechtbezahlten Volontär die Relevanz dieser „Meldung“ abklopfen zu lassen.
Ein halbwegs aufrecht gehender Redaktionsleiter hätte bei dieser „müden“ Agenturmeldung ahnen können, dass bei „Kinder und Papst“ mehr drin sein könnte. Blöd nur, wenn man die Internetseite des Papstes nicht greifbar hat und „Google“ bis Redaktionsschluss auch nichts anderes ausspuckt. (Wie auch. Hatte doch jede Redaktion „nur“ die dürre dpa-Meldung online gestellt)
Wer braucht eine Zeitung die über gefundene Streichhölzer berichtet, den lodernden Brand am Fundort als Nachricht aber übersieht?
„Tagesschau“ oder „Aktuelle Kamera“ aus DDR-Zeiten
Wer braucht Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wenn diese mit angezogener Handbremse berichten?
Wenn in der „Welt„, eine der Bundeskanzlerin eher gewogenen Zeitung, steht, Merkels Besuch der Berliner Röntgen-Schule „erinnert an die Besuche Honeckers bei den Jungen Pionieren„, könnte man hellhörig werden.
Wenn bei Schülerfragen nach dem Warum zu Waffenlieferungen an Israel die Kameras abgeschaltet, und weder Schülerfrage noch die Antwort der dabei herumlavierenden Kanzlerin aufgezeichnet werden, zeige das „wie weit die Kooperation zwischen der Regierung und den öffentlich-rechtlichen Medien mittlerweile gediehen ist„.
„DDR mit menschlichem Antlitz“ nennt Henryk M. Broder diese Darstellungsform der „Tagesschau“ in seinem Artikel . Indirekte Rede zu stummen Bildern. Diese für den Staatschef nützliche Nachrichtenform kenne man aus der „Aktuellen Kamera“, der staatlichen Fernsehsendeanstalt „Fernsehen der DDR“. („Legitime Frage – dünne Antwort„ HIER nachzulesen)
Der „Welt„-Artikel merkt noch an, dass die Kameras auf Weisung der Kanzlerin abgeschaltet wurden. (Dieser Umstand wurde auch im Nachrichtenbeitrag der „Tagesschau“ erwähnt.)
Warum aber folgte man der Anweisung? Musste man sich unbedingt einreihen in die affige human touch „Kuschel-Kanzlerin besucht Berliner Schule“ Berichterstattung (BILD) mit den unzähligen „Schüler mit Kanzlerin“ Selfies? Die Quintessenz der Printmedien zum Schulbesuch gipfelte in der Feststellung, dass die gelernte Physikerin Merkel wusste, dass der Namensgeber und Träger des Nobelpreis für Physik „die Strahlen in Würzburg entdeckte„.
Schöne Bilder, schöne Bilder bitte
Eventuell folgte die Abschaltung auch einer diskreten Intervention des Kanzleramtes, da man dort bei der Durchsicht des täglich erstellten „Pressespiegels“ die in den letzten Wochen gehäuft aufschlagenden Bilder mit einer „unvorteilhaft“ abgebildeten Regierungschefin „entdeckte“?
Da möchte man auch mal etwas Positives haben im Kanzleramt! Zumindest menscheln „Schüler-Selfies-mit-Kanzlerin“ besser und lenken ab von Merkels eigentlicher Aufgabe als Interessenwahrer Deutschlands. Dieser Aufgabe wird sie nach Meinung von politischen Berichterstattern zurzeit nämlich nicht gerecht.
Kanzlerin Merkel sah schon mal besser aus
Merkel mit aufgerissenem Mund, Merkel mit Omagrimasse oder besonders tief hängenden Mundwinkeln. Fotos, die in der Regel im Giftschrank der Redaktionen verschwinden, finden sich plötzlich in der Bebilderung zur politischen Berichterstattung.
Ein Zeichen für die einsetzende Götterdämmerung im Kanzleramt? „Warum lässt Merkel es zu, dass uns die NSA ausspioniert“ greifen zum Beispiel die Wirtschaftsredaktionen die Sorgen deutscher Firmen auf? Mag sich der Bürger noch so sehr über die Spitzelaktionen des Geheimdienstgespannes BND/NSA aufregen, ein richtiger Aufreger wird es erst, wenn deutsche Firmen ihre Wirtschaftsinteressen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit durch Spionage bedroht sehen.
Könnte es sein, das man in den Nachrichtenredaktionen der ARD die “unvorteilhaften“ Bilder der Kanzlerin noch nicht als subtile Hinweise einflussreicher Wirtschaftskreise auf Merkels „geliehene Macht“ interpretieren kann, und journalistische Grundsätze auf Kanzlerweisung hin auch weiterhin „kooperativ“ folgsam über Bord wirft?
Einerlei. Der Bürger kann derzeit weder mit vielen Medien noch mit der Regierung zufrieden sein. Daran ändert auch Wohlfühl-Berichterstattung nichts!
(Bild oben– Maurizio Lupi (CC BY 2.0)