Wie Propaganda wirkt – Beispiel Beendigung des Zweiten Weltkrieges

Lesedauer 8 Minuten

Von „Orwell´schen Gedächtnisslöchern“

Im Mai dieses Jahres jährt sich in Europa zum 74. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges anlässlich der am 7. Mai 1945 in Reims erfolgten Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reichs.

Nach offizieller Lesart trat diese Kapitulation am 8. Mai 1945 um 23 Uhr in Kraft. Formelle  Gültigkeit erlangte sie wegen einer Übersetzungspanne jedoch erst ab 9. Mai, 00.01 Uhr. Das ist auch der Grund, warum man die Befreiung Europas von der deutschen Schreckensherrschaft in den ehemaligen Sowjetrepubliken am 9. Mai, im Westen am 8. Mai feiert.  (Vier Monate später endete mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945 der 2. Weltkrieg endgültig)

Die Kapitulation in Europa erfolgte gegenüber den später „4 Siegermächte“ genannten  „Obersten Befehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte und gleichzeitig dem Oberkommando der Roten Armee. (Auszug aus der Kapitulationsurkunde)

So weit, so klar. Die Tatsache, dass die Sowjetunion, die USA, Großbritannien und Frankreich die Völker Europas vom Hitlerregime befreiten kann man als geschichtliche Wahrheit abhacken.

Weniger klar scheint dabei die Antwort auf die Frage, wer hatte den größten Anteil an dieser Befreiung?

Nachdem ich in Ulrich Teusch´s  neuen Buch „Der Krieg vor dem Krieg“ über den Begriff der „Orwell´schen Gedächtnisslöcher“ stolperte, eine Umschreibung für geschichtsklitternde Propagandatechniken, mit deren Hilfe historische Wahrheiten „gezielt revidiert“ werden, erinnerte ich mich an zwei  im Jahr 2015 veröffentlichte Umfragen.

Die Ergebnisse dieser Umfragen bestätigen  die Eintrübung des kollektiven historischen Gedächtnisses auf erstaunliche weise.

Auf die Frage –Welches Land hat Ihrer Meinung nach am meisten zur Niederlage Deutschlands im Jahr 1945 beigetragen?- war eine sehr klare Mehrheit (57%) im Mai 1945 im gesamten befreiten französischem Territorium der Ansicht, dass die UdSSR die Nation sei, die am meisten zur deutschen Niederlage beigetragen habe. Und das, obwohl den Befragten bewusst war,  das die Sowjetunion keine große Rolle bei der Befreiung Frankreichs spielte.

(Die selbe Frage wurde der Pariser Bevölkerung bereits  im August 1944, also kurz nach der alliierten Invasion vom 6. Juni 1944 und der abzusehenden Niederlage Nazi-Deutschlands  vorgelegt. Eine klare Mehrheit (61%) war der Ansicht, dass die UdSSR die Nation ist, die am meisten zur deutschen Niederlage beigetragen habe, während die Vereinigten Staaten und England, obwohl sie Befreier des französischen Staatsgebiets waren, nur mit 29,3 % bzw. 11,5 % Berücksichtigung fanden.(Mehrfachnennungen waren möglich)

Das die Pariser durchaus in der Lage waren zu differenzieren, belegt der Umstand, dass mehr als zwei Drittel der Befragten (69%) bei dieser Umfrage angaben, dass es die Vereinigten Staaten sind, die am meisten zur Erholung Frankreichs nach dem Krieg beitragen werden. 13,8 % benennen England und nur 6,2 % nennen die Sowjetunion)

Im Verlauf von Jahrzehnten (1945 – 2015) wendete sich die Sichtweise in Frankreich jedoch dramatisch.   

Das französisches Meinungs- und Marktforschungsinstitut „IFOB“ stellte den Franzosen nach 1945 die identische Frage in den Jahren 1994, 2004 und 2015 erneut. Mit erstaunlichen Ergebnissen.

Die Franzosen hatten ihre Meinung geändert und sahen nun die USA als diejenigen an, die den größten Beitrag zum Sieg in Europa geleistet hätten.

Anlässlich des damals bevorstehenden 70. Jahrestages der deutschen Kapitulation wurde die identische Frage im April 2015 vom britischen Markt- und Meinungsforschungsinstitut „YouGov„  in weiteren 6  Ländern und erneut in Frankreich gestellt.

Mit leichten Abweichungen zur zuvor von „IPOS“  bereits  in Frankreich durchgeführten Umfrage bestätigte die „YouGov“-Umfrage  die gewandelte Einschätzung der Franzosen. 

Außer bei den Bürgern Norwegens und Großbritanniens (In den Jahren 2018/19 konnte man in der EU die Irrationalität der Inselbewohner beim Brexit noch viel besser beobachten) sahen die in 7 Ländern Befragten die USA als das Land an, das am meisten zur Niederlage Nazideutschlands beigetragen hatte.    

 

Was hatte sich geändert seit 1945?

Noch  immer sind sich die Historiker darüber einig, dass die Sowjetunion den entscheidenden Anteil an der Niederlage Hitlerdeutschlands hatte. Warum also diese Veränderung in der öffentlichen Meinung über ein 70 Jahre zurückliegendes historisches Ereignisses?

  • Waren es die gewollten Bildungslücken der Nachkriegsgeneration, als man die jüngere Deutsche Geschichte in den Schulen bis zur Weimarer Republik, aber unter Auslassung des Zweiten Weltkriegs erst wieder mit dem NATO Beitritt Deutschlands fortführte?
  • War es der sich nach dem Krieg in Westeuropa  ausbreitende „American Way of Life“  und die Dankbarkeit über die Teilhabe daran?
  • War es der Einfluss des Kalten Krieges mit dem klaren Feindbild Sowjetunion?
  • Waren es die unzähligen Hollywoodfilme in denen unzweideutig immer die Amerikaner Europa und Deutschland befreiten? (Sowjetische oder Russische Filme über den „Großen Vaterländischen Krieg“ muss man z.B. im Fernsehen mit der Lupe suchen)
  • Oder war es mit Blick auf die sogenannte „Ostzone“ einfach nur das gute, mehr oder minder subtil vermittelte Gefühl, durch die Westbindung zu den Guten gehören zu dürfen?

Betrachtet man sich diese Aufzählung und addiert noch eine Prise unterschwelliger medialer Propaganda hinzu, liegt der Schluss nahe, es dürfte -wie der Österreicher sagen würde- eine Melange aus allem sein.

Bei allem sollte man aber auch den Einfluss der Politik nicht vergessen. Zum Beispiel Manipulation durch bewusstes Weglassen.

So „faktenbasiert“ sieht zum Beispiel die vom Deutschen Bundestag herausgegebene Zeitschrift „Das Parlament“ in einer in leichter Sprache verfassten Beilage den Zweiten Weltkrieg und seine Beendigung. (Ausgabe 20-21/2015)

Im Jahr 1941 hat die USA in den Krieg eingegriffen. Die USA [haben sich] mit England, Frankreich und der  Sowjetunion zusammengetan. Die Alliierten haben zusammen  gegen Deutschland gekämpft. Und sie haben Deutschland auch besiegt. Denn: Am 6. Juni 1944 landeten  150 Tausend Soldaten der Alliierten in Nord-Frankreich

(Kein Wort über den Einmarsch der deutschen Truppen in die Sowjetunion, zum Vernichtungskrieg im Osten oder zu den durch die „Rote Armee“ unter ungeheuren Verlusten errungenen kriegsentscheidenden Kämpfen die die Sowjetarmeen schlussendlich über Auschwitz bis nach Berlin führten)

Sätze wie den nachfolgenden, er stammt von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“,  liest man so gut wie nie:

„Wir alle, die wir heute leben, verdanken die Grundlagen unseres Lebens in Frieden, Freiheit und Vielfalt den Siegern des 8. Mai. Die alliierten Streitkräfte, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte Last des Krieges in Europa zu tragen hatte“.

Doch der allgemeine Tenor „die Amerikaner waren es“ stützt die Ergebnisse der oben angeführten Umfrage.

Auch und besonders bei der sich politisch engagierenden jüngeren Generation.  Ist es Dummheit, mangelnde Geschichtskenntnis oder einfach nur die Wirkung der „Melange“  wenn zum Beispiel die Münchner Gewerkschaftsjugend in einem Aufruf zur Demonstration „Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus!“  aus dem Jahr 2017 folgendes schreibt:

Unsere Befreiung verdanken wir den Streitkräften der Antihitlerkoalition, allen vorran der Soldaten aus den USA, aus Großbritanien und der Sowjetunion“. (Man beachte nicht die Rechtschreibfehler sondern die Reihenfolge der Beteiligten die offensichtlich keiner alphabetischen Reihung unterlag)

Wenn also in den Köpfen „der Ami war´s“  -wodurch auch immer- verankert wurde, kann man doch auch im Fernsehen noch etwas dicker auftragen. In der ARD zum Beispiel. Wie man gleich lesen kann, es merkt ja keiner mehr.  

In der Sendung  „Günther Jauch“ vom 25. Januar 2015, 21:45 Uhr (Zum 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung) zeigt man ein Interview mit der Holocaust-Überlebenden Eva Erben. In diesem Interview-Einspieler wird durch die Art des Schnitts der Eindruck vermittelt, die Amerikaner hätten Auschwitz befreit. (Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von…. ACHTUNG … der Sowjet-Armee befreit.)

An der im Anschluss von der Presse ausführlich besprochenen Sendung wurde zwar der überfordert wirkende Moderator kritisiert, jedoch ging man mit keinem Wort auf den geschichtsverfälschenden Schnitt des Interviews ein. (Auch an den Leserkommentaren ging dieser Fakt vorbei)

Selbst die Deutsche Wiedervereinigung, und dieses historische Ereignis haben noch weit mehr heute lebende Menschen miterlebt als das Ende des Zweiten Weltkriegs, möchte so mancher Politiker den „Orwell´schen Gedächtnisslöchern“ übereignen.

(Gab es da nicht einen Russen mit Namen Gorbatschow. Der Außenminister betreibt durch eine gewollte Verkürzung einfach nur Propaganda)

Doch am Schluss etwas, das verdeutlicht: Nicht alle sind vergesslich. Etwas Positives aus der Politik. Aus der Politik eines östlichen Bundeslandes. Aus dem Brandenburger Landtag.

Die Präsidentin des Landtages in Brandenburg, Britta Stark, lud 2017 zum Gedenktag „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa“ in den Plenarsaal ein. In ihrer Einladung erinnerte sie an eine historische Wahrheit:

„Am 8. Mai 1945 wurden Deutschland und Europa von dem schrecklichsten aller Kriege und von der nationalsozialistischen Diktatur befreit.  Das verdanken wir der Roten Armee und den Armeen der Alliierten“.

Es gibt sie also noch, die Personen, die eventuell Orwell als Autor im Bücherregal, jedoch nicht als namengebendes Loch im Gedächtnis haben.

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Update 12. Mai 2023

– Rund um den „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus“ im Jahr 2023 –  „Es ist unglaublich, aber zum Gedenken an den Sieg über den Nationalsozialismus wurden die sowjetische und russische Flagge in Deutschland verboten“, schreibt Thomas Röper im nachfolgenden Artikel und geht darin auch auf die durch Politik und Medien aktuell und in der Vergangenheit vorgenommene „Vergewaltigung“ der Deutschen Geschichte ein.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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