„Hättest was Gscheit’s g’lernt“, dann kann man auch in den Urlaub fahren.
Gleich zu Beginn dieser Woche konnten wir in Deutschland über 3 entlarvende Aussagen stolpern, die Erstaunen und sogar Empörung auslösten. In Anbetracht des anrollenden Bundestagswahlkampfs nicht wirklich verwunderlich: Alle Aussagen kamen aus der Politik und betrafen denselben Themenkomplex: Geht’s uns Deutschen wirklich gut?
In unserer größtenteils unsolidarisch gewordenen Bundesrepublik, in der man Gekündigten glauben machen will, sie seien an einer Firmenverlagerung selber schuld, und festangestellte Kollegen den niedrigentlohnten Malocher mit Zeitarbeitsvertrag an ihrer Seite nicht als Menetekel ihrer eigenen Zukunft erkennen wollen, in dieser Welt gibt es hin und wieder Aussagen, die sich Lohnempfänger genauer betrachten könnten.
Da stellte die CDU ihr Wahlprogramm mit den dazugehörenden Wahlkampfslogans vor, deren Generalsekretär vergaloppierte sich damit sofort auf Twitter, und EUROSTAT lieferte erschreckende Zahlen ab.
(1) „Voll“ ist nicht besetzt und „gut und gerne“ ist trotz Lohndrückerei nicht besser.
„Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben – CDU“ lautet das Regierungsprogramm und eine der Aussagen auf den CDU Wahlplakaten zur Bundestagswahl am 24. September 2017. Jetzt könnte man erstaunt fragen, warum sich die CDU erst nach dem September 2017 für dieses Ziel einsetzen möchte und mit welchem „gut“ soll man „gut“ vergleichen?
Denn da steht ja nichts von „damit wir weiterhin …“. So gut kann es uns Bürgern oder zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik also nicht gehen, wie man es uns seit Wochen und Monaten einzureden versucht. Eine der Aussagen im Wahlprogramm lautet nämlich, das man bis 2025 Vollbeschäftigung erreichen möchte. Kein Arbeitsplatz soll unbesetzt bleiben.
(Vorsicht: Vollbeschäftigung heißt nicht das alle erwerbsfähigen einen Arbeitsplatz haben. Als Vollbeschäftigung gilt eine Arbeitslosenquote von höchstens drei Prozent)
Da möchte man also zwei Wahlperioden später etwas erreicht haben, dass dieselben Politiker in den zurückliegenden Wahlperioden trotz eines in Europa einzigartigen Wirtschaftswachstums, staatlich begünstigter Lohndrückerei und massivem Ausbau prekärer Arbeitsbedingungen nicht schafften.
Dass das irgendwie nicht für alle gilt, dieses „gut und gerne“, rutschte dem „twitterden“ Historiker und Generalsekretär der CDU, Peter Tauber mal eben so raus.
(2) Während Historiker Tauber gut bezahlt twittert, leben andere Historiker von der Hand im Mund.
Dabei wollte er doch nur eine Jubelmeldung über die angestrebte Vollbeschäftigung und das CDU Parteiprogramm unter seine Follower bringen. Doch kaum hatte er den Tweet über die angestrebte Vollbeschäftigung abgesetzt, wurde er unter seiner Jubelmeldung gefragt: „heißt das jetzt 3 Minijobs für mich“?
Taubers Antwort darauf fiel so derb aus, dass er sich 12 Stunden später dafür entschuldigte, dass er „so blöd formuliert“ habe.
„Wenn Sie was ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs.“
Da der „Schulz Zug“ gerade pausiert, sprang Taubers Generalsekretärs Kollege der ebenfalls wahlkämpfenden SPD, Hubertus Heil sofort auf den in voller Fahrt befindlichen Shitstorm-Zug gegen Tauber auf. „Die pöbelnde Arroganz von Peter Tauber zeigt: der CDU fehlt der Respekt vor Geringverdienern“, schrieb SPD-ler Heil.
Das schrieb der Mann, der seit 1998 als Mitglied des Bundestages (davon erstmals zwischen 2005 bis 2009 Parteisekretär der SPD) die Lebenswirklichkeit von Geringverdienern ab dem Zeitpunkt des von SPD Kanzler Schröder eingeführten „größten Niedriglohnsektors in Deutschland“ mitverantwortet.
Für CDU und SPD dürfte gleichermaßen die Einschätzung eines Twitter-Nutzers gelten: „Das Problem beim „Tauber-Tweet“, er hat nicht „blöd formuliert“, sondern exakt Geisteshaltung und Programm seiner Partei auf den Punkt gebracht“.
Ob es diese vermutete Geisteshaltung oder schlichtweg die Folge schlechter Politik war, eine Aufstellung der EU-Statistikbehörde Eurostat relativierte zumindest die „gut und gerne“ Lebenswelt eines Fünftels der Mitbürger in Deutschland.
(3) Fast jeder Fünfte in Deutschland kann sich nicht einmal eine einwöchige Urlaubsreise leisten
Publik machte das eine Abgeordnete der Partei „Die Linke“, die im politischen Berlin dafür bekannt ist, als einzige Oppositionspartei die wirklich unangenehmen Fragen zu stellen. Die von der Abgeordneten Sabine Zimmermann angeforderte Auswertung von EUROSTATT erbrachte für das Jahr 2016 „erschreckende Zahlen“. (Handelsblatt). Vielen Deutschen reiche einfach das Geld nicht, um einmal im Jahr zu entspannen und dem deutschen Alltag zu entfliehen.
„Nicht verreisen zu können, ist auch Ausdruck von Armut, die endlich wirksam bekämpft werden muss“, sagte Zimmermann. Bei Alleinstehenden konnten sich 29,2 Prozent keine einwöchige Urlaubsreise leisten, bei Alleinerziehenden waren es 39,6 Prozent.
Jetzt habe ich eingangs geschrieben, diese drei Aussagen sollten Lohnempfänger aufhorchen lassen. Damit wären auch alle abhängig Beschäftigten in Bayern gemeint. Doch müssen wir uns in einem prosperierenden Bundesland, genauer gesagt in einem oberbayerischen Landstrich zwischen München und Nürnberg überhaupt darüber Gedanken machen und können es nicht dabei belassen, wie bisher die Augen vor der prekären Lage Anderer zu verschließen?
Nichts bleibt für immer wie es ist und alles war auch für uns schon mal schlechter. Etwas Solidarität in der politischen Betrachtung täte uns schon gut.
Denn: Hochmut kommt auch für uns Bayern vor dem Fall.