Wer sind die besseren bösen – Russen oder Amerikaner?
Als Zeitungen noch auflagensteigernd und zweifelsfrei im „Gewissheitslieferantengeschäft“ (Jakob Augstein) unterwegs waren, warb die “Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) mit dem Bild eines hinter der aufgeschlagenen Zeitung sitzenden Lesers und dem Slogan „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Da mittlerweile die Zweifel an den Gewissheitslieferanten zunehmen, stellt sich die Frage nach den Verfassern der Artikel, also den vermeintlich klugen Köpfen davor. Warum lässt man offensichtlich realitätsverweigernde Journalisten auf die Leser los, die etwas herbeiargumentieren wollen, was ihre Leser längst besser wissen?
In Deutschland ist Kritik an der russischen Staatsführung ebenso erlaubt, wie Ungereimtheiten westlicher „Partner“ anzusprechen. Verlässt Kritik in der Berichterstattung dabei aber den Pfad der Wahrhaftigkeit, bietet statt Sachlichkeit Voreingenommenheit und „doublethink“ a la Orwell, dann verkommt Journalismus in Deutschland zum Schreiben über die Simulation von Wahrheit.
Mit „Von Russland lernen, heißt lügen lernen“ betitelte die online Ausgabe der „Frankfurter Allgemeine“ (FAZ) am 22.Februar einen Artikel zum Thema Fake-News. In ihm versuchte der Autor die Meisterschaft in der Verbreitung „selektiver Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen“ den russischen Geheimdiensten zuzuschreiben.
Doch was die Überschrift vorgab zu liefern, blieb der Artikel schuldig. Die „den Russen“ darin unterstellte Meisterschaft in Desinformation erging sich in „höchstwahrscheinlich“ oder willkürlichen Zuschreibungen aus den vergangenen hundert Jahren.
Man kommt nicht umhin, in der Artikelpassage „andere Staaten tun das auch, aber niemand ist so erfolgreich wie die Russen“, eine gewollte Verniedlichung der aktuelleren, eindeutig und nachweisbar omnipotenten und durchschlagskräftigeren Geheimdienste der USA zu vermuten.
Lustigerweise findet sich in der Druckausgabe der „FAZ“ vom selben Tag, eine grafisch aufbereitete Umfrage des Instituts Allensbach zur Frage „Über welche Themen berichten die Medien glaubwürdig“. Daraus ging zum Beispiel hervor, eine Mehrheit der Bürger (59 %) zweifelt an der Berichterstattung über den russischen Präsidenten Putin. (Eine „forsa“-Umfrage vom Oktober 2016 kommt zum Ergebnis, zwei Drittel der Deutschen missbilligen die Scharfmacherei gegenüber Russland)
Mit dem „Fall Lisa“ wird schon mal die Richtung vorgegeben.
Wird in einem x-beliebigen Artikel über „die Russen“ der „Fall Lisa“ erwähnt, sollen wir durch vorangegangene „Lisa- da war doch was“ Verdachtsberichterstattung ein ganz besonderes Bild vor Augen haben: Mit der eigentlichen Nachricht über eine aufgetauchte, x-beliebige geheime Information oder vermutete Desinformation hat „Lisa“ zwar rein Garnichts zu tun. Aber, nur mal so unter uns, wir alle haben im „Fall Lisa“ doch irgendwie in Erinnerung, das „die Russen“ mit ihrer meisterlichen Fake-News Kompetenz dahinter stecken. Zumindest könnten. Irgendwie, oder so.
Also nutzte der FAZ-Artikel als Einstieg in die Beweisführung dieser angeblichen Meisterschaft russischer Desinformation den Fall der im Januar 2016 in Berlin von ihren Eltern als vermisst gemeldeten dreizehn Jahre alten „Lisa F.“. Einen Tag nach dieser Vermisstenmeldung tauchte das russlanddeutsche Mädchen wieder auf und präsentierte der Polizei „vier verschiedene Versionen“ ihres Verschwindens. Wie sich später herausstellte, waren alle Versionen, darunter die Horrorversion, sie sei von „Südländern“ vergewaltigt worden, allesamt falsch.
Starke Hämatome am Körper des Mädchens stützten zunächst den Verdacht des sexuellen Missbrauchs, doch weitere Polizeiermittlungen ergaben weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung. Das Mädchen hatte nur unerlaubterweise bei seinem Freund übernachtet. (Mit bemerkenswertem Nachspiel. Am 27.Februar 2017, also über ein Jahr später, meldete „Bild„, gegen einen 23-jährigen Deutschen wurde im „Fall Lisa“ Anklage „wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern“ und der Herstellung von Kinderpornografie erhoben).
Deutsche wie russische Medien berichteten im Januar 2016 wechselseitig über eine „vermeintliche Entführung“ oder eine “ totgeschwiegene Vergewaltigung“, worauf sich -russische Fernsehsender und Onlinemedien berichteten besonders reißerisch- der russische Außenminister Sergej Lawrow einschaltete und Deutschland vorwarf, man versuche etwas unter den Teppich zu kehren.
Aus dem Vermissten- oder Vergewaltigungsfall „Lisa“ wurde durch Hysterie und einer von beiden Seiten betriebenen Skandalisierung eine kleine Staats-Affäre, die jedoch durch ein Telefonat zwischen Lawrow und Außenminister Steinmeier schnell beigelegt wurde.
Die Berliner Staatsanwaltschaft erklärte zwischenzeitlich nach Faktenlage den Fall zum „ irrtümlich angenommenen Entführungsfall“, doch „Lisa“ macht seitdem als nicht mehr groß zu hinterfragendes Musterbeispiel für russische Desinformationskampagnen und Propagandakriege in deutschen Medien gern und oft die Runde.
Eine mediale Runde mit „Lisa“ (weiter auf Seite 2)