Deutschland im Herbst – Eine Zusammenfassung unangenehmer Wahrheiten

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„Die deutsche Binnennachfrage ist viel zu schwach“ stellte Wirtschaftsforscher Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat fest und beschrieb damit das seit Jahren in Deutschland vorherrschende Dilemma. Um im Inland Nachfrage erzeugen zu können, bedarf es einer breiteren Einkommensverteilung. Doch die ist nicht vorhanden. Die Entlohnung der geleisteten Arbeit gibt es nicht her.

Zum Beispiel im Niedriglohnsektor. Zwischen 1995 und 2010 ist die Zahl der Menschen in Deutschland, die weniger als 9,15 brutto pro Stunde verdienen, um mehr als 2,3 Millionen gewachsen.( Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen)

Damit fiel das Einkommen von gut 23 Prozent aller Beschäftigten unter die Niedriglohnschwelle. Die Durchschnittslöhne im Niedriglohnbereich liegen noch deutlich tiefer: Jahr 2010: Westen 6,68 Euro, Osten 6,52 Euro. (Davon 2,5 Millionen weniger als sechs Euro in der Stunde, fast 1,4 Millionen unter fünf Euro)

Die Altersarmut steht bereits vor der Tür.

Die am Wochenende verlautbarten Zahlen ergeben ein düsteres Bild. „Ab 2030 droht Arbeitnehmern, die 2500 Euro brutto im Monat verdienen und 35 Jahre Vollzeit gearbeitet haben, nur eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbetrags von 688 Euro“ berichtet die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Berechnungen des Arbeitsministeriums. Durch die Rentenreform sinke das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent des Nettolohns. Den Tag des Renteneintritts beginnen die Rentner mit dem „Gang zum Sozialamt“, schreibt Sozialministerin von der Leyen.

Diese innerdeutschen Probleme verstetigten sich seit Jahren und wurden auch in finanziellen Schönwetterperioden von den „Angestellten“ nicht angefasst. Und jetzt kommen noch exogene europäische Probleme hinzu.

Der sich durch das Abflauen deutscher Exporte in die südlichen Problemstaaten andeutende Absatzrückgang setzte sich Ende August in ganz Europa fort. Auf breiter Front brechen die deutschen Exporte ein. Investitionszurückhaltung und -in derartigen Fällen wie immer zuerst- Stellenabbau sind die zu erwartenden Folgen im Herbst. (Das Allheilmittel Autoindustrie wird uns doch retten? Vielleicht, aber nicht durch Inlandsverkäufe. Gehen sie zu einem deutschen Autohändler und erfühlen die dortige Stimmung. Danach sind sie schlauer. Aber auch ernüchtert)

Und dann steht da noch eine Zahl im Raum. Eine große, eine besonders große. Sie beziffert die Außenstände Deutschlands beim Auseinanderbrechen der Eurozone:

Eine Billion Euro = oder 1.000.000.000.000,- Euro oder 1.000 Milliarden Euro
(Zum Vergleich: Im Bundeshaushalt 2012 wird mit Ausgaben von 312,7 Milliarden Euro geplant. Bei Steuereinnahmen von 249,70 Milliarden Euro)

Nach Ansicht von wohlmeinenden Experten (aber auch von Experten, die im Auftrag ihrer Staaten Deutschland nur in die Tasche greifen wollen) kann dieses Szenario vermieden werden.
Mit für uns Deutsche nicht gewollten Folgen. Die bisher von Deutschland vehement abgelehnte sogenannte „Vergemeinschaftung“ der Schulden aller europäischen Länder, wird kommen. Durch die Hintertür wird sie von der Europäischen Zentralbank (EZB) bereits praktiziert.

Die Folge davon dürfte ein neues Europa, eine Volksabstimmung und eine neue Regierung in Deutschland sein. Wer bisher nicht den Mut aufbrachte, seinem Volk die nur in internen Zirkeln angedachte Richtung zu erklären, der der sich mit Europa solidarisch erklärenden SPD nur „dümmliche Kritik“ entgegenhält (Peer Steinbrück) und sich hinter Worthülsen wie „Stabilitätsunion statt Schuldenunion“ versteckt, versucht nur Zeit zu gewinnen und baut auf die Vergesslichkeit der Wähler.

Kleinlautes Einknicken nach starken Ankündigungen als erfolgreiche Politik verkaufen zu wollen sollte nicht auch noch belohnt werden. Wer dem Volk nicht erklären kann, wo die Reise hingeht oder zumindest hingehen soll, diese Konzeptlosigkeit aber wortreich durch Schlagworte und Nebensächlichkeiten vernebelt, taugt nicht zur Lösung der jetzt heraufziehenden Probleme.

Die „Angestellten“ haben sich schon zu lange Fleißbildchen geben lassen, obwohl sie ihre Hausaufgaben nicht machten.
Eine kalte Jahreszeit kündigt sich nun an. Nicht nur meteorologisch.

Über Bernd Schuhböck

Nicht nach heutigen, jedoch nach den Maßstäben der Ära Willy Brandt politisch eher linksliberal. Wer ihn missverstehen möchte, nennt ihn einen Sozialromantiker. Wer ihn kennt, wertkonservativ und mit zu viel Ethos für einen Bayer. Der Mann für´s kommunale, soziale oder sonstwie politische. Oder für Themen, für die sich keiner fand, der sie aufgreifen wollte.

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